Titel
Luftschiffahrt
[* 1] (Aeronautik), die Kunst, mittels geeigneter Apparate sich in die Luft zu erheben und in bestimmter Richtung in derselben sich fortzubewegen. Der Wunsch, das Flugvermögen des Vogels zu erreichen, ist uralt; eingebildeten höhern Wesen legte man als Attribut ihrer Vollkommenheit Flügel bei, und die Mythe erzählt von den verunglückten Versuchen des Dädalos [* 2] und Ikaros. Bellerophontes soll im Flug den Olymp erreicht haben, und Archytas von Tarent konstruierte eine Taube, die durch mechanische Mittel in der Luft schwebte. 1306 soll sich in Peking [* 3] ein Luftballon in die Luft erhoben haben, und Battista Danti in Perugia, der Benediktinermönch Oliver Malmesbury und der portugiesische Physiker Guzman werden als Erfinder von Flugmaschinen genannt.
Letzterer soll sich 1769 mit einem aus
Weiden geflochtenen und mit
Papier überklebten
Korb, unter welchem
er ein
Feuer entzündete, in
Lissabon
[* 4] bis zu 200
Fuß erhoben haben, während der Jesuitenpater
Lana 1670 vorgeschlagen hatte,
eine
Barke durch vier luftleer gemachte
Kugeln aus
Kupferblech in die
Luft zu heben.
Schon diese Vorgeschichte der Luftschiffahrt
läßt zwei
Richtungen unterscheiden: die Ballonaeronautik (Aerostation) und die Aviation, welche den
Flug des
Vogels
(avis) nachzuahmen sucht.
Textfigur: [* 1] Fig. 1. Montgolfiers Luftballon.
Die erstere beginnt, wenn man von der Vorgeschichte absieht, mit der Erfindung des Luftballons durch die Brüder Stephan und Joseph Montgolfier.
Textfigur: [* 1] Fig. 2. Luftballon von Charles und Gebrüder Robert.
Nach wiederholten Versuchen im kleinen ließen sie zu Annonay (Departement Ardèche) einen mit Papier gefütterten kugelförmigen Ballon [* 5] aus Leinwand von 10 m Durchmesser, in welchem sie die Luft durch Feuer erhitzten, aufsteigen. Charles in Paris [* 6] kam auf den Gedanken, den Ballon durch ein möglichst leichtes Gas zum Aufsteigen zu bringen, und wählte ¶
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hierzu Wasserstoff. Er füllte hiermit einen birnförmigen Ballon aus Seidentaft, welcher mittels aufgestrichenen Gummis gedichtet war, und ließ denselben auf dem Marsfeld aufsteigen. Die überraschenden Erfolge der Montgolfièren (mit erwärmter Luft) und der Charlièren (mit Wasserstoffgas gefüllt) ermunterten zu weitern Versuchen. Montgolfier erbaute auf Veranlassung der Akademie einen Ballon (Fig. 1) von 26 m Höhe und 15 m Durchmesser, mit einer Galerie für Luftreisende.
Textfigur: [* 7] Fig. 3. Petins Luftschiff.
Pilâtre de Rozier war der erste, der im Oktober d. J. mit diesem Ballon aufstieg, mit dem Marquis d'Arlandes unternahm er bald darauf die erste freie Luftfahrt (vgl. seine Schrift »Première expérience de la Montgolfière«, 1784). Charles und die Gebr. Robert hatten inzwischen einen Gasballon gebaut [* 7] (Fig. 2), mit dem sie 1. Dez. die erste Luftfahrt unter wissenschaftlichen Beobachtungen ausführten und eine Höhe von 3400 m erreichten.
Textfigur: [* 7] Fig. 4. Giffards Luftschiff.
Die ungünstigen Ausgänge mancher Luftfahrten führten zur Benutzung des Fallschirms. Nachdem Leonardo da Vinci 1514 die Idee des Fallschirms ausgesprochen, machte erst Lenormand 1783 den Versuch, sich mit einem aufgespannten Regenschirm aus dem Fenster seines Hauses herunterzulassen. Der glückliche Erfolg wurde von den Luftschiffern (Blanchard, Garnerin) vielfach bei Schaustellungen verwertet, um sich aus größern Höhen herabzulassen. Der Physiker Guyton de Morveau suchte den Ballon durch Segel und Ruder zu lenken.
Seinem Beispiel folgten Blanchard und die Brüder Robert mit einer Charlière. Letzterer Ballon war nicht kugel-, sondern walzenförmig, um ohne Verminderung der Tragfähigkeit dem Luftwiderstand eine möglichst geeignete Fläche zu bieten. In demselben war nach Angabe des Ingenieuroffiziers Meunier ein mit Luft gefüllter kleiner Ballon angebracht, der mit einem Schlauch zur Gondel reichte, um Luft nach Bedarf einblasen zu können. Sein Zweck war die Regulierung des Aufsteigens und Sinkens ohne Gasverlust und ohne Mitführung von Ballast.
Man hatte erfahren, daß beim Steigen das Gas den Ballon infolge verminderten Luftdrucks immer mehr ausdehnte und die Hülle sprengte. Wurde Gas abgelassen, so verminderte sich die Steigkraft, und man mußte, um von neuem zu steigen, Ballast auswerfen. Aus dem Meunierschen Innenballon drückt das Füllgas mit zunehmender Ausdehnung [* 8] die Luft hinaus. Wird wieder Luft hineingepumpt, so bewirkt die Verdichtung des Gases ein Fallen [* 9] des Ballons. Hiermit war der Luftballon in seinen Grundzügen fertig und behielt diese Einrichtungen bis in die neueste Zeit.
Der größte Luftballon war der gefesselte auf der Pariser Weltausstellung von 1878. Er hatte 36 m Durchmesser, 250,000 cbm Inhalt und hob 42 Personen 500 m hoch. Ohne Erfolg blieben nur die Einrichtungen zum Lenken des Luftschiffs, weil man irrtümlich den Vorgang des Segelns der Schiffe [* 10] auf dem Wasser auf das Luftschiff übertrug: man übersah die Konsequenzen des Umstandes, daß sich das Schiff [* 11] in zwei, der Luftballon aber nur in einem Medium bewegt;
auch war es ein Irrtum, durch schiefe Ebenen unter Benutzung des Windes bei geringer Eigenbewegung den Auftrieb, [* 12] die Vorwärtsbewegung und die Lenkung unterstützen und bewirken zu wollen.
Ein merkwürdiges, seiner Zeit viel Aufsehen erregendes Beispiel hierfür ist Petins Luftschiff vom Jahr 1847 [* 7] (Fig. 3). Zwei Dampfmaschinen [* 13] von je drei Pferdekräften sollten mittels ¶
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Luftschrauben dasselbe bewegen. Ein Fortschritt war die Anregung zur Verwendung einer Dampfmaschine, [* 15] und den ersten Erfolg erreichte Henry Giffard, welcher mit einem Luftschiff aufstieg, dessen spindelförmiger Ballon (Fig. 4) bei 44 m Länge und 12 m größtem Durchmesser 2500 cbm Inhalt hatte.
Textfigur: [* 14] Fig. 5. Dupuy de Lômes Luftschiff.
In der Gondel hatte er eine Dampfmaschine von drei Pferdekräften aufgestellt, die eine dreiflügelige Luftschraube trieb und bei Windstille dem Luftschiff eine Geschwindigkeit von 3 m in der Sekunde gab; der starke Wind ließ dieselbe indes nicht zur Geltung kommen. Giffard verbesserte dieses Luftschiff und gab ihm einen 72 m langen, 12 m dicken Ballon, mit dem aber der erste Aufstieg verunglückte.
Textfigur: [* 14] Fig. 6. Haenleins Luftschiff.
Die bei der Belagerung von Paris 1870/71 mit frei fliegenden Ballons gemachten Erfahrungen drängten zu weitern Versuchen mit
lenkbaren Luftschiffen. Am stieg Dupuy de Lôme in Vincennes mit einem Luftschiff auf
[* 14]
(Fig. 5),
dessen spindelförmiger Ballon 36,12 m Länge, 14,84 m Durchmesser und 3454,7 cbm, der Innenballon 345 cbm Inhalt hatte. Die Bewegung
erhielt es durch eine zweiflügelige Luftschraube von 9 m Durchmesser mit Handbetrieb, die ihm eine Geschwindigkeit von 2,22
m in der Sekunde geben sollte. Da bei der Auffahrt ein Wind von 12-17 m herrschte, so konnte die Wirkung
der Schraube nicht zur Geltung kommen; das Fahrzeug trieb mit dem Wind, zudem sich die Unzulänglichkeit der Menschenkraft
für die Bewegung erwies. Dieser Mißerfolg war mit Veranlassung, in Chalais bei Meudon, südlich von Paris, eine Luftschiffahrt
skompanie
zur Ausführung von Versuchen zu errichten. Inzwischen hatte der Ingenieur Haenlein in Brunn ein Luftschiff
gebaut, dessen Ballon (Fig. 6) bei 50,4 m Länge einen Durchmesser von 9,2 m und einen Inhalt von 2408 cbm hatte. Zum
Betrieb der
vierflügeligen Schraube von 4,6 m Durchmesser diente eine Lenoirsche viercylindrige Gaskraftmaschine
[* 16] mit
elektrischer Zündung, welche bei der Auffahrt im Dezember 1872 dem Luftschiff eine Eigenbewegung von 5,2 m erteilte.
Textfigur: [* 14] Fig. 7. Luftschiff von Renard und Krebs.
Das Gas für die Maschine [* 17] wurde aus dem Füllgas des Ballons entnommen. Es zeigte sich bei der Probefahrt, daß das Luftschiff dem Steuer gehorchte, also in der That lenkbar war. Ungünstige Verhältnisse verhinderten leider die Fortsetzung der Versuche. Einen neuen Weg betrat Gaston Tissandier mit seinem 1881 in Paris ausgestellten Luftschiff, dessen Ballon dem Giffardschen nachgebildet war, indem er eine Siemenssche Dynamomaschine mit Sekundärbatterie als Motor verwendete.
Mit einem nach diesen Grundsätzen vervollkommten Luftschiff, dessen Propellerschraube 2,85 m Durchmesser hat, und bei dem er für die Dynamomaschine von 55 kg Gewicht eine Chromsäurebatterie von 24 Elementen verwendete, mit welcher er 150 Umdrehungen der Schraube in der Minute erreichte, stieg Tissandier auf. Gegen den herrschenden Wind von 3 m vermochte er nicht anzukämpfen, zumal sich das einfache Segel als Steuer unzureichend erwies. Auf dem von Tissandier betretenen Weg weiter gehend, erreichten die Kapitäne Renard u. Krebs [* 18] im Militär-Luftschifferetablissement zu Meudon günstigere Erfolge. Der Ballon (Fig. 7) hat Tropfenform, bei 50,42 m Länge 8,4 m größten Durchmesser. 4 m unter demselben ist die aus Bambus gebaute, 33 m lange, 1,5 m breite u. 2 m hohe Gondel, mit gefirnißtem Ballonstoff bekleidet, an den Auslaufleinen des Netzhemdes aufgehängt. Der Ballon hat einen Innenballon. Der Motor ist eine Dynamomaschine mit Batterie von 32 Chlorsilberelementen von 8,5 Pferdekräften, welche der Schraube von 7 m Durchmesser 46 Umdrehungen in der Minute gibt. Die zweiflügelige Schraube sitzt ¶
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Luftschiffahrt.
[* 1] Die Renard-Krebsschen Versuche in Paris haben zwar den Beweis geliefert, daß das Problem
des lenkbaren Luftschiffs lösbar ist, technische Schwierigkeiten haben dieselbe indes noch nicht über die Verwendbarkeit
bei Windstille und sehr schwachem Winde
[* 19] hinaus gelangen lassen. H. de Graffigny stellt sich deshalb in seinem Buche »Die und
die lenkbaren Ballons« (deutsch von A. Schulze, Leipz. 1888) auf den Standpunkt der 1863 von Nadar in Paris
ausgesprochenen Idee, das Luftschiff müsse schwerer sein als die Luft und dürfe nicht von einem mit Gas gefüllten Ballon getragen
werden, weil dieser dem Winde eine so unverhältnismäßig große Fläche bietet, daß keine vom Ballon getragene Maschine im
stande sein werde, diesen dem Winde entgegenzutreiben. Graffigny will deshalb sein Luftschiff ohne Ballon,
nur durch Luftschrauben heben und fortbewegen und hat die Möglichkeit der Ausführung durch Rechnung, aber noch nicht durch
Versuch nachgewiesen. - Die meisten Heere besitzen jetzt Luftschifferabteilungen und Ballontrains, welche mit Fesselballons
ausgerüstet sind. In Frankreich wurde 1886 die Luftschifferschule in Chalais (Meudon) in eine Zentralanstalt
für Militärluftschiffahrt
umgewandelt und bei jedem der vier Genieregimenter eine Luftschifferabteilung eingerichtet.
Inzwischen haben jedes Armeekorps und eine Anzahl Festungen einen Luftschifferpark nach Yons System erhalten, welcher aus fünf Fahrzeugen besteht. Der erste Wagen trägt den Apparat zur Erzeugung des Wasserstoffgases aus Eisen [* 20] und verdünnter Schwefelsäure, [* 21] der zweite eine Dampfmaschine von 5 Pferdekräften mit Windetrommel und Haltetau für den Ballon; der dritte den Ballon von 550 cbm Inhalt aus chinesischer Seide [* 22] (Ponghee) und einem Netze aus neapolitanischem Hanf; die beiden andern Wagen tragen die Materialien zur Gaserzeugung.
Letztere ist des großen Wasser- und Materialienbedarfs wegen sehr umständlich und zeitraubend. In Deutschland [* 23] ist deshalb das Verfahren von Majert-Richter eingeführt worden, nach welchem das Wasserstoffgas aus einem Gemisch von Zinkstaub und trocknem Kalkhydrat in verlöteten Blechhülsen durch Erhitzung in einem Ofen, welcher 120 solcher 18 kg schweren Hülsen aufnehmen kann, die in zwei Stunden etwa 250 cbm Gas geben, erzeugt wird. Zur Gaskühlung sind 500-600 Lit. Wasser erforderlich.
Wie die Engländer für den Sudân, so haben die Italiener für die Verwendung in Abessinien das zur Füllung des Ballons nötige Wasserstoffgas nach der Gebrauchsstelle in 2,4 m langen Stahlcylindern von 13 cm Durchmesser und 3 mm Metallstärke, in welchen das Gas auf etwa 120 Atmosphären verdichtet war, mitgeführt. Jeder Cylinder wiegt 30 kg. Das Verfahren an sich hat sich bewährt, nur muß man für jede neue Ballonfüllung frisch gefüllte Rezipienten herbeischaffen.
Soviel bekannt, sollen Österreich [* 24] und Italien [* 25] das Majert-Richtersche Verfahren angenommen haben. Rußland, Belgien, [* 26] Holland, Dänemark [* 27] haben Yonsche Apparate. Der Ballon wird an einem 500 m langen Tau gehalten, in welches Drähte für telephonische Leitung eingeschlossen sind, so daß die Beobachter sich mit der Station auf dem Wagen und nach Anschluß auch direkt mit dem Hauptquartier verständigen können. Kartenskizzen oder schriftliche Mitteilungen werden in Büchsen am Haltetau heruntergeschickt.
Mittels Flaggen [* 28] können am Tage, mittels Laternen und Glühlampen nachts Signale gegeben werden. Bruce hat im Innern eines 4-5 m großen Ballons mehrere, auch verschiedenfarbige Glühlampen angebracht, die, von der Erde aus zum Glühen gebracht, weithin sichtbare Zeichen geben oder durch kürzere oder längere Lichtblicke nach dem Morsealphabet Mitteilungen machen können. Der Gebrauch des Fesselballons wird insofern durch Wind beschränkt, als derselbe um so niedriger gehalten werden muß, je stärker der Wind ist; bei einer Windstärke von 7-8 m in der Sekunde kann er sich höchstens in einer Höhe von 100 m halten, stärkerer Wind verbietet das Aufsteigen überhaupt, während bei stillem Wetter [* 29] sich der Ballon bis zu 600 m so ruhig verhält, daß Beobachtungen möglich sind. Infolge Einführung des rauchlosen Pulvers ist dem Fesselballon vermehrte Aufmerksamkeit zugewendet worden, weil er unter Umständen das einzige und weithin reichende Mittel bietet, Stellungen des Feindes zu erkunden und seine Bewegungen zu verfolgen. Bei klarer Luft lassen sich aus dem Ballon auf 15 km mit dem Fernrohr [* 30] noch die Uniformen der Truppen unterscheiden. Man hat deshalb vielfach mit Erfolg versucht, schwebende Ballons durch die ¶
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Artillerie auf Entfernungen bis zu 4000 m mit Schrapnells zu beschießen. Um gegen Artilleriefeuer sicher zu sein, ist ein Abstand von 5 km, gegen Infanteriefeuer von 1500 m erforderlich. Der getroffene Ballon fällt übrigens nur sehr langsam und kann leicht ausgebessert werden. Um das Beschießen zu erschweren, empfiehlt es sich, daß die Ballons möglichst viel ihren Standort und, wo dies nicht angeht, wie in Festungen, ihre Höhe ändern. Schwebende Ballons folgen ihren Maschinenwagen. Unter Brücken, [* 32] Telegraphendrähten geht man mit gespaltenem Tau fort. In Frankreich hat man 1888 den Fesselballon an der Küste, auf Deck eines Schiffes gehalten, zu Beobachtungen der See und zum Signalisieren der gemachten Beobachtungen auf große Entfernungen mit Erfolg benutzt. Auf der Reede von Toulon [* 33] hat man so Marseille [* 34] (50 km), Nizza [* 35] (130 km) und die Nordküste von Corsica [* 36] (240 km) beobachtet. - Zur Litteratur: H. Hoernes, Die Luftfahrzeuge der Zukunft (Wien [* 37] 1890).