Lüge
,
die
durch ein Zeichen, nicht gerade notwendig durch die
Sprache,
[* 2] vermittelte Unwahrheit mit dem
Bewußtsein derselben
und dem Vorsatz, zu täuschen, weshalb auch absichtliche
Zweideutigkeiten und Unbestimmtheiten, Zurückhaltung, wo der andre
einen Anspruch auf Mitteilung hat, Verstellung, Wortbrüchigkeit, Verräterei dahin zu rechnen sind.
Man unterscheidet verschiedene Abstufungen der Lüge.
So nennt man eine erlaubte Lüge (Notlüge
) diejenige,
wodurch man andre täuscht, um sie oder sich selbst einem drohenden Übel zu entziehen; eine edle Lüge
die, durch
welche man z. B. einem wütenden Verfolger nicht ohne eigne
Gefahr den Gegenstand seines
Hasses zu verheimlichen
sucht; eine fromme Lüge
endlich die, welche die Unwahrheit in der Absicht verbreitet, um religiöse
Zwecke dadurch zu befördern.
Sogenannte Höflichkeitslügen
, welche zwar eine Unwahrheit enthalten, von welchen aber niemand, der mit der
Sitte bekannt
ist, etwas andres erwartet, und Scherzlügen
, die nur zur Unterhaltung dienen sollen, sind keine wirklichen
Lügen
, weil die Absicht zu täuschen fehlt. Strenge
Moralisten, wie
Kant (Ȇber ein vermeintes
Recht, aus Menschenliebe zu
lügen«
, 1797) und
Fichte,
[* 3] verwerfen jede, auch die beiden letztgenannten
Arten der Lüge
als
»Verletzung der vollkommenen Selbstpflicht«;
moralische Kasuisten erklären nach dem
Grundsatz, daß der
Zweck das
Mittel heilige, zum mindesten die
»fromme« Lüge
für erlaubt. Im allgemeinen läßt sich behaupten,
daß, die
Wahrheit zu sagen, nicht immer eine
Pflicht, aber, die Unwahrheit zu sagen, immer
Verletzung einer
Pflicht sei.
Vgl.
Heinroth, Über die Lüge
(Leipz. 1834);
Locke, Über die Begriffsbestimmung der Lüge
(das. 1886).