4. Sept. wieder zuerkannt hatte, beschwor er die inzwischen vollendete
Verfassung.
Über das Gesetz betreffs der eidweigernden
Priester, dem er sein Veto entgegenstellte, kam er mit der neuen Gesetzgebenden Versammlung in
Konflikt, deren republikanische
Elemente, darunter auch die
Girondisten, seitdem auf seinen
Sturz sannen. Es half ihm nichts, daß er aus
dieser Partei seine Minister nahm, in die Maßregeln gegen seine emigrierten
Brüder willigte und sogar an
Österreich
[* 3] den
Krieg erklärte.
Zwar gelang es den Gegnern der
Gironde, vom König und der Königin unterstützt, die
Girondisten noch einmal aus
dem Ministerium zu verdrängen; aber das war nur das Signal zu neuer Anspannung der revolutionären Kräfte,
die sich in dem
Aufstand vom 20. Juni offenbarten. Als der Pöbel in die
Tuilerien eindrang, ließ Ludwig, nur von einigen
Dienern
umgeben, die
Thüren öffnen und ertrug mit Würde ein paar
Stunden lang die
Beschimpfungen der Menge.Der von
den Jakobinern sodann förmlich organisierte
Aufstand vom 10. Aug. traf
Hof
[* 4] und König nicht ohne Vorbereitung.
Das Schloß war mit Linientruppen und Nationalgarden umgeben; das
Innere verteidigten 1600
Schweizer. Doch war auf die
Truppen
der Nationalgarden kein Verlaß, so daß der König mit seiner Familie Schutz in demSchoße der Nationalversammlung
suchte. Am folgenden
Tage brachte man endlich den König als Gefangenen mit seiner Familie nach dem
Palast Luxembourg und von
hier 18. Aug. in den festen
Turm
[* 5] des
Temple. Die eigentliche Absetzung und das Gericht über den Unglücklichen überließ die
Versammlung dem 21. Sept. zusammentretenden Nationalkonvent.
Nachdem der
KonventFrankreich zur Republik umgewandelt, begannen die Verhandlungen über das
Schicksal
des Königs. Am 11. Dez. erschien Ludwig vor den Schranken der Versammlung. Er verteidigte sich in würdiger Haltung
mit dem Hinweis auf sein konstitutionelles
Recht. Am 26. Dez. erschien er zum zweitenmal
vor der Versammlung und nahm selbst das
Wort, um seine Unschuld zu beteuern. Der
Konvent erklärte zunächst Ludwig
Capet, wie man den König hieß, der Verschwörung
gegen den
Staat und die Sicherheit der Nation schuldig.
Seit dem 16. Jan. wurde unter dem Zudrange wütender Pöbelmassen über die
Strafe selbst entschieden und am 17. das Todesurteil
mit 361
Stimmen gefällt; am 19. wurde beschlossen, das
Urteil ohne
Aufschub zu vollstrecken. Am fiel
sein Haupt auf dem Revolutionsplatz unter der Guillotine. Sein
Leichnam wurde auf dem Kirchhofe
Ste. Madeleine bestattet, nach
der Restauration 1815 aber nach St.
Denis in die Königsgruft gebracht. Ludwig hinterließ zweiKinder: den
Dauphin (s. Ludwig XVII.) und die spätere Herzogin von
Angoulême (s. d.).
Vgl.
Bertrand deMolleville, Histoire de la révolution
de
France (14 Bde., Par. 1801-3);
Soulavie, Mémoires historiques et politiques du règne de Louis XVI (6 Bde.,
ebd. 1802);
Bournisseaux, Histoire de Louis XVI (2 Bde., ebd. 1829);
Droz, Histoire du règne de Louis
XVI (3 Bde., ebd. 1838-42);
Falloux, Louis XVI (ebd. 1840; 4. Aufl. 1860);
Nicolardot, Journal de Louis XVI (ebd. 1873);
Taine, Les origines de la
France contemporaine (5 Bde., ebd. 1876 fg.; deutsch, 3 Bde.,
Lpz. 1877-91);
Jobez, La
France sous Louis XVI (Bd. 1-3, Par.
1877-93; 2. Aufl. 1893 fg.);
Chérest, La chute de l'ancien régime (2 Bde., ebd. 1884);
DeBeaucourt, Captivité et derniers
moments de Louis XVI (ebd. 1892-93);
Karl, zweiter Sohn
Ludwigs XVI. von
Frankreich und der Königin Marie Antoinette, wurde zu
Versailles
[* 6] geboren und erhielt den
Titel eines
Herzogs der
Normandie, nach dem
Tode seines
Bruders aber, die Würde
des Dauphin. Infolge der
Katastrophe vom kam auch er mit seinen Eltern in den Tempelturm. Nach der Hinrichtung
Ludwigs XVI. wurde er von seinem Oheim, dem spätern Ludwig XVIII., zum König von
Frankreich
erklärt. Er teilte noch mehrere
Monate die Gefangenschaft mit seiner
Mutter. Im Juni jedoch wurde der Prinz im
Temple einem
rohen Jakobiner, dem Schuster
Simon, übergeben, der mit seiner Frau darauf ausging, ihn physisch und geistig zu
Grunde zu richten.
Seit Jan. 1794 ließen ihn die Schreckensmänner in einsamer Zelle
[* 7] verkommen. Zwar setzten die Wärter seit Febr. 1795 den
Gemeinderat wiederholt von dem Siechtum des Prinzen in Kenntnis; doch wurde ihm noch monatelang jeder ärztliche
Beistand
versagt. Erst im Mai, nachdem sich
Geschwülste am Knie und Handgelenk eingestellt, erhielt der
Arzt Desault
Zutritt. Nach Desaults plötzlichem
Tode behandelten ihn die
Ärzte Pelletan und Dumangin. Allein der Zustand des Prinzen verschlimmerte
sich von
Tag zu
Tag, so daß er starb. Der
Leichnam wurde auf dem Kirchhofe
Ste. Marguerite in die gemeinschaftliche
Grube versenkt und mit Kalk bedeckt, so daß 1815 die Reste nicht mehr aufgefunden werden konnten. -
Vgl. Eckard, Mémoires historiques sur Louis XVII (Par. 1817);
Beauchesne, Louis XVII,
sa vie, son agonie,
sa mort (2 Bde.,
ebd. 1852; 9. Aufl. 1876);
Nettement, Histoire populaire de Louis XVII (ebd. 1864);
Ad. Schmidt,
Pariser Zustände
während der Revolutionszeit 1789-1800 (3 Bde.,
Jena
[* 8] 1874-75);
Chantelauze, Louis XVII, son enfance,
sa prison et
sa mort au
Temple (Par. 1883; Nachtrag 1887; neue Ausg. 1895);
Étude historique sur Louis XVII (Brüss.
1884);
Provins, Le
[* 9] dernier roi légitime de
France (ebd. 1889);
Evans, The story of Louis XVII. of
France
(Lond. 1893).
Ungeachtet der damalige
Tod des Prinzen eine unzweifelhafte
Thatsache ist, verbreitete sich dennoch der
Glaube, daß er aus
dem Gefängnis errettet worden sei.
Bald tauchte eine ganze Reihe von Abenteurern auf, welche die Rolle L.s XVII. übernahmen.
Der erste war
Jean Marie Hervagault, der Sohn eines Schneiders zu St. Lô, der 1812 als Landstreicher
im Gefängnis starb. Ein anderer, Mathurin Bruneau, geb. 1784 zu Vezins bei
Cholet in
Anjou, erlitt während der Restauration
mehrfache Bestrafungen und verscholl nach der Julirevolution.
Größeres Aufsehen erregte 1833 und 1834 der sog.
Herzog von Richmont, der sich auch Ludwig Hector
Alfred,
Baron von Richmont,
Herzog von der
Normandie, nannte. Dieser Abenteurer hieß
Henri Hébert, war aus der Gegend von Rouen
[* 10] gebürtig,
forderte seit 1828 seine angeblichen
Rechte zurück, wurde 1834 zu zwölfjähriger Einsperrung verurteilt, floh aber aus dem
Gefängnis
Ste. Pélagie in
Paris
[* 11] nach
London,
[* 12] wo er 1845 starb. Während Hébert vor den
Assisen stand,
trat ein gewisserMorel de
Saint-Didier auf, der im
Namen des «wahren, echten Ludwig XVII.» gegen
¶
mehr
die Anmaßungen Héberts protestierte. Dieser angeblich «echte Ludwig» war
ein Deutscher, Karl Wilhelm Naundorff. Früher Uhrmacher und Vater einer zahlreichen Familie in Spandau,
[* 14] später in Brandenburg,
[* 15] dann in Crossen,
[* 16] stand er im Rufe eines rechtlichen und arbeitsamen Mannes. Schon längst gab er sich für den Herzog von der
Normandie aus, erzählte seine romantische Flucht aus dem Temple und wandte sich an die Regierungen und
die Herzogin von Angoulême. Nach der Julirevolution ging er mit seiner Familie nach Frankreich, wo er wegen seines bourbonischen
Gesichtsschnittes und der Ähnlichkeit
[* 17] seiner Tochter mit Marie Antoinette viele Anhänger fand. Er wandte sich an die
Kammern, wollte aber auf die Krone zu Gunsten der Dynastie Orléans
[* 18] unter der Bedingung verzichten, daß man ihn standesgemäß
unterhielte. Im Febr. 1836 wurde er beim Zuchtpolizeigericht zu Paris als Betrüger verklagt.
Das Gericht sah in ihm nur einen Verblendeten und sprach ihn von der Anklage frei; doch wurde er ausgewiesen.
Seitdem lebte er mit seiner Familie in ziemlich günstigen Verhältnissen bald in Belgien,
[* 19] bald in England und starb in
Delft. Sein Sohn, der das Prätendententum fortsetzte und Offizier in der niederländ.
Armee war, veranlaßte 1851 und 1873 einen Prozeß gegen den Grafen von Chambord, wobei Jules Favre seine
Sache vertrat, wurde aber beidemal mit seinen Ansprüchen zurückgewiesen; er starb im Nov. 1883 in Breda. 1893 bildete sich
in Paris eine Société d'études sur la question Louis XVII, die zu dem Zweck, die IdentitätNaundorffs mit dem Dauphin nachzuweisen,
monatliche «Bulletins» herausgiebt. -
StanislausXaver, König von Frankreich (1814-24), geb. zu Versailles, war der vierte Sohn
des Dauphin Ludwig, des einzigen SohnesLudwigs XV. aus der Ehe mit Marie Josephe von Sachsen.
[* 20] Er erhielt den Titel eines Grafen
von Provence und verheiratete sich 1771 mit Marie Josephine Luise, der Tochter Victor Amadeus' III. von
Sardinien.
[* 21] In der Nacht vom 20. zum begab er sich zugleich mit seinem Bruder, dem König Ludwig XVI., auf die Flucht
und gelangte unangefochten nach Brüssel.
[* 22]
Jetzt erklärte er sich offen gegen die Nationalversammlung, rief die Hilfe der fremden Mächte an und
sprach mit seinem BruderArtois (spätern Karl X.) durch die Deklaration von Pillnitz dem König das Recht ab, die Verfassung
anzunehmen. Diese feindseligen Schritte der Prinzen, um die sich zu Koblenz
[* 23] ein förmlicher Hof bildete, ihr Eifer in der
Bildung eines Emigrantenheers richteten Ludwig XVI. vollends zu Grunde. Durch Dekret vom erklärte
die Nationalversammlung den Grafen von Provence des Rechts auf die Thronfolge verlustig. Im Juli 1792 vereinigte der Prinz ein
Emigrantenkorps von 6000 Mann mit dem preuß. Invasionskorps. Nach dem Rückzüge aus der Champagne wandte er
sich nach Hamm
[* 24] in Westfalen.
[* 25] Auf die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs XVI. veröffentlichte er ein Manifest, worin er
den Dauphin als Ludwig XVII. ausrief, sich selbst aber zum Regenten und den Grafen von Artois zum Generallieutenant von Frankreich
ernannte. Er begab sich nach Verona
[* 26] und nannte sich Graf von Lille.
[* 27]
Nach dem Tode seines Neffen nahm er 1795 den Königstitel an. Die Drohungen, die Bonaparte an die venet.
Republik richtete,
hatten die Ausweisung des Prinzen zur Folge. Er ging im April 1796 über den St. Gotthard und vereinigte sich mit dem Korps
des Prinzen Condé, das mit der österr. Armee verbunden war, begab sich aber bald darauf nach Dillingen
in Schwaben und dann nach Blankenburg im Braunschweigischen. Nach den Ereignissen vom 18. Fructidor in Frankreich
gewährte ihm der KaiserPaul von Rußland ein Asyl zu Mitau,
[* 28] wo er im März 1798 eintraf.
Die Verhandlung Pauls mit der franz. Konsularregierung hatte jedoch zur Folge, daß
der Graf von Lille Mitau 1801 verlassen mußte, worauf er sich nach Warschau
[* 29] wandte. Mit Genehmigung des KaisersAlexander I.
kehrte er von Kalmar, wohin er 1804 gegangen war, 1805 nach Mitau zurück; aber der Friede zu Tilsit
[* 30] nötigte ihn, 1807 Zuflucht
in Schweden
[* 31] und endlich in England zu suchen. Hier kaufte er 1809 das Schloß Hartwell (GrafschaftBuckingham),
das er fortan bewohnte, und wo 1810 seine Gemahlin starb.
Als der Sturz Napoleons I. in Aussicht stand, erließ er mit dem Grafen von Artois und dem Herzog von Angoulême eine vom datierte
Proklamation, worin er liberale Einrichtungen versprach. Der Senat ernannte hierauf eine provisorische Regierung, an deren
SpitzeTalleyrand stand. Diese veröffentlichte einen vom Senat angenommenen Verfassungsentwurf, wonach die Bourbons
auf den Thron
[* 32] zurückgerufen wurden. Ludwig landete 26. April zu Calais,
[* 33] hielt 3. Mai als König von Frankreich seinen
Einzug in Paris und erließ 4. Juni die konstitutionelle Charte.
Ludwig würde sich bei der Milde seiner Gesinnung und seiner guten Bildung mit dem neuen Zustande versöhnt haben, hätte sich
nicht die alte Adels- und Priesterpartei, an ihrer Spitze derGraf von Artois, zwischen ihn und das Volk gestellt.
Die wichtigsten Bestimmungen der Charte, Preßfreiheit, Eigentumsrecht, Rechtsschutz, wurden zugleich mit Füßen getreten
und die Anhänger des Kaisers, die Republikaner und die Protestanten verfolgt. Erst auf die Nachricht von der Landung Napoleons
lenkte der König selbst um, beschwor aufs neue die Charte und erließ vergeblich freisinnige Proklamationen.
Bei der Annäherung Napoleons floh er mit seiner Familie in der Nacht vom 19. zum nach Lille,
von wo aus er sich nach Gent
[* 34] begab. Nach der Schlacht von Waterloo
[* 35] erließ Ludwig zu Cambrai25. Juni eine Proklamation, in der er
eine allgemeine Amnestie, mit Ausnahme der Verräter, und die Sicherung der Charte durch neue Bürgschaften
versprach. Unter dem Schutze des Herzogs von Wellington hielt er seinen Einzug in Paris. Dennoch vermochte er anfänglich
fast nichts gegen die Ultraroyalisten. Erst als er die aus den extremsten Elementen bestehende sog.
«Chambre introuvable» aufgelöst hatte, begann
eine ruhigere Entfaltung des öffentlichen Lebens. (S. Frankreich, Bd. 7, S. 99 b.) Ludwig starb Die «Mémoires de
Louis XVIII» (12 Bde., Par. 1831-33)
sind ein apokryphes Werk, welches mehrern Autoren sein Entstehen verdankt. - Über Ludwig in der Verbannung in Rußland vgl. E. Daudet,
Histoire de l'émigration. Les Bourbons et la Russie pendant la révolution (Par. 1886). Über seine Regierung: Duvergier de Hauranne,
Histoire du gouvernement parlementaire en France, 1814-48 (7 Bde., Par. 1857-65);
Biel-Castel, Histoire de la Restauration (ebd. 1860 fg.).
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