(deutsch Luggarus), bis 1881 einer der drei Hauptorte des schweizer. Kantons Tessin,
208 m ü. M.,
in reizender, aber ungesunder
Lage am
Lago Maggiore, in welchen hier das
ValMaggia und
ValOnsernone münden,
und an einem
Zweig der
Gotthardbahn (Cadenazzo-Locárno). Bemerkenswerte Gebäude sind: das
Schloß (ein Langobardenbau, seiner Zeit
Sitz der
Landvögte) und die
KircheSan Francesco mit vorzüglichen Gemälden. Der
Hafen ist ein Werk neuerer Zeit. Locárno zählt
(1880) 2645 Einw. In der
Nähe auf hohem
Felsen die Wallfahrtskirche
Madonna del Sasso, ehemals mit Franziskanerkloster,
mit schöner Aussicht. Früher war ein blühender
Ort, der bis ins 13. Jahrh. mit
Mailand
[* 2] zur welfischen
Partei hielt. 1513 wurde
es vom
HerzogMaximilianSforza an die Eidgenossen abgetreten, und seitdem war die Stadt bis zur französischenRevolution
Sitz eines schweizerischen
Landvogts.
Grösster Fluss ist die Verzasca, die dem
Bezirk mit ihrem ganzen Einzugsgebiet angehört; dann folgen die Melezza, der Onsernone und auf eine ganz kurze Strecke auch
die Maggia. Die die Einzugsgebiete dieser Flüsse voneinander trennenden Ketten erreichen nirgends mehr 3000 m Höhe. Die höchsten
Gipfel sind der Pizzo Barone (2861 m), die Corona di Redorta (2802 m), Cima Bianca (2630 m), Cima di Gagnone
(2516 m), der Pizzo Medaro (2551 m), Rosso die Ribbia (2548 m) und Gridone (2191 m). Der Bezirk Locarno ist eine der gesündesten
und fruchtbarsten Landschaften des Kantons. Da seine Höhenlage zwischen 197 und weit über 2000 m schwankt, sind hier alle
Vegetationsgürtel vertreten.
Beinahe alle Gemeinden haben günstige hygienische Verhältnisse; die Dörfer sind gut gelegen, vor den N.-Winden geschützt,
haben gutes Trinkwasser und sind von Aeckern, Wiesen, Weingärten und Wald umrahmt. Das in der Tessinebene zwischen Gordola
und Magadino einst herrschende Sumpffieber ist vollständig verschwunden, seitdem man nach der Ueberschwemmung von 1868 verschiedene
Meliorationsarbeiten und seit 1886 die grossartige Verbauung des Tessin
und seiner Nebenflüsse durchgeführt hat. Die Flora ist
ausserordentlich reich und mannigfaltig: die Ufer des Langensees umsäumen Zedern, Orange, Oelbaum, Lorbeer und Granatapfel;
bis zu 700 m steigen Feige, Pfirsich, Aprikose, Kastanie, Maulbeerbaum und Weinrebe;
Getreide (besonders Roggen) wird bis
zu 1300 m hinauf gebaut, und Pflaume, Kirsche und Apfel reifen stellenweise noch bis in 1400 m. Der Bezirk bildet für
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den Botaniker ein wahres Dorado, da hier die alpine Flora sich mit derjenigen der insubrischen Seenregion vereinigt. Das
Edelweiss z. B. geht bis zu 1200 m hinab, wo es seine weissen Blütensterne neben der rostblätterigen Alpenrose entfaltet,
die selbst wieder bis zum Ufer des Zangensees hinabsteigt und hier in Gemeinschaft mit Kakteen, amerikanischer
Agave, Zistrose (Cistus salvifolius) und den schönen Gramineen Bartgras (Andropogon glaber) und Grannenhirse (Oplismenusundulatifolius) auftritt.
Besonders reich entfaltet sich die Vegetation an den Felshängen zwischen Muralto und Ponte Brolla, Losone und Brissago. Die
rote Spornblume (Centranthus ruber) blüht in Masse an den Mauern der Madonna del Sasso. Hier kann man
auch die seltensten Farne der Schweizer Flora sammeln, wie Osmunda regalis, Pteris cretica, Adiantum capillus Veneris, NotholaenaMarantae und Gymnogramme leptophylla (1903 entdeckt), ferner die Zypergräser Carex praecox und Fimbristylis annua.
Die anbaufähige Fläche des Bezirkes wird zu 30940 ha veranschlagt und umfasst somit 56% der Gesamtfläche.
Der Gartenbau wäre trotz der gerade in dieser Hinsicht besonders eifrigen Tätigkeit des landwirtschaftlichen Vereins noch
grösserer Ausdehnung fähig. Sehr geschätzt wird der im Bezirk gekelterte Rotwein, von dem jährlich im Durchschnitt 20000 hl
im Wert von einer halben Million Franken gewonnen werden. Die einst bedeutende Zucht der Seidenraupe
ist von einer Produktion von 16705 kg
Cocons im Jahr 1871 auf 2500 kg jährlich zurückgegangen.
Der Wiesenbau wird noch lange nicht so rationell und intensiv betrieben, wie dies in andern Kantonen der Schweiz der Fall
ist, da der Grundbesitz dafür zu stark zerstückelt ist. Die Wälder umfassen eine Fläche von 11000 ha
und bestehen der Hauptsache nach aus Kastanienbäumen, Eichen(Robur sessiliflora und Quercus robur). Weiss- und Rottannen,
Lärchen, Eschen, Weiden, Ulmen, und Haselsträuchern. Diese Waldungen liefern Brennholz, Pfähle für die Weinreben, Rinden
für die Gerberei und Holzkohle, die über den Langensee und auf dem untern Tessinfluss nach Mailand ausgeführt
wird. Die unsinnige Waldverwüstung, die während der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts allgemein üblich war,
hat grosse Ueberschwemmungen zur Folge gehabt, so dass die kantonale Forstverwaltung mit Hilfe von eidgenössischen Subventionen
die Aufgabe der Aufforstung aller kahlen Hänge energisch an Hand hat nehmen müssen.
Die Viehstatistik ergibt folgende Resultate:
1886
1896
1901
Rindvieh
9696
8132
8004
Pferde
139
295
338
Schweine
1109
1632
1581
Schafe
2409
1580
1553
Ziegen
17425
13503
13959
Bienenstöcke
1002
1862
1957
Eine grosse Anzahl von jüngeren und älteren Männern
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pflegt nach Kalifornien, Italien, Frankreich und periodisch auch in die übrigen Schweizerkantone auszuwandern, um sich als
Sennen, Hirten, Maurer, Pflasterträger, Kastanienbrater, Kaminkehrer, Kellner, Gastwirte, Küchenchefs, Maler, Architekten,
Ingenieure etc. ihr Brot zu verdienen. Neuerdings beginnt sich auch die industrielle Tätigkeit im Bezirk zu entwickeln.
Es bestehen Bierbrauereien, Zigarren-, Teigwaren-, Konserven- und Zuckerwarenfabriken, Papier-, Bürsten-
und Pinselfabriken, Schreinereien und Möbelfabriken.
Zwei grosse Sägen und Parketterien und verschiedene Mühlen. Im Verzascathal gewinnen die Granitbrüche immer mehr an Bedeutung.
Die durch ein sehr mildes Klima ausgezeichneten und vor den Nordwinden geschützten Orte Muralto und Locarno sind wichtige
Fremdenstationen. Den Verkehr erleichtern die Eisenbahnlinie Bellinzona-Locarno, die Dampfschiffe auf
dem Langensee und ein vollständiges Netz von Poststrassen, das bis in die entlegensten Thäler hinaufreicht.
Ueber die erste Besiedelung dieser Gegenden durch den Menschen herrscht noch Dunkel; doch glaubt man, dass an den Ufern des
Langensees zuerst die Lepontier und später die Etrusker gesessen haben. Ums Jahr 600 v. Chr. nahmen
die Kelten oder Gallier Besitz von diesen Gebieten und erbauten hier Burgen (Gordola, Locarno, Ascona). Sie wurden 198-196 v. Chr.
von den Römern unterworfen, die nun das Land als Herren besetzten. Eine grosse Anzahl von Grabstätten bezeugt, dass die
Herrschaft der Römer bis zum Einfall der Goten (400 n. Chr.) gedauert haben muss.
Dann folgten als Herren des Landes der Reihe nach die Longobarden, Karl der Grosse, der Bischof von Como, der Herzog von Mailand,
Barbarossa und Otto IV., die Geschlechter Orelli, Muralti und Magoria und endlich die Grafen Rusca und Rusconi, bis der Herzog
Maximilian Sforza 1513 Locarno an die 12 alten Kantone abtrat, die es bis 1798 als Landvogtei regierten. 1510 predigte
Giovanni Beccaria in Locarno die
Reformation, der eine Anzahl von Familien beitrat. Dies hatte zur Folge, dass im Land selbst
und mit den herrschenden Kantonen schwere Streitigkeiten ausbrachen.
Die als Schiedsrichter bestellten Kantone Appenzell
und Glarus
verfügten, dass die Anhänger des neuen Glaubens entweder zur
katholischen Kirche zurückkehren oder auswandern müssten. Nun verliessen (nach Franscini) 93 Familien mit zusammen 211 Köpfen
ihre Heimat und begaben sich nach Zürich,
wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden. Diese Familien (die Muralti, Orelli, Duni
etc.) führten in der Folge in ihrer neuen Heimat die Seidenindustrie ein. 1803 wurde der Bezirk Locarno
dem neugegründeten Kanton Tessin
einverleibt.
Am zählte die Gemeinde eine Wohnbevölkerung von 3603 und eine ortsanwesende Bevölkerung
von 4314 Personen. Davon sind 744 Bürger von Locarno selbst, 1412 übrige Tessiner, 195 übrige Schweizer und 1252 Ausländer.
Es wandern immer mehr Ausländer ein, so dass heute schon die Italiener allein 35% der Gesamtbevölkerung ausmachen. 59 Ew.
sind reformierten Bekenntnisses. Locarno erfreut sich einer der schönsten und malerischsten Lagen am
Langensee. Die auf den kleinen Bodenwellen am Fuss des PizzoTrosa und PizzoCardada sich aufbauende, farben- und lichtreiche
Stadt macht auf den Reisenden, der sich ihr an einem Frühlingsmorgen oder an einem schönen Herbstabend vom See her nähert,
einen unvergesslichen
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(Kt. Tessin,
Bez. Locarno).
Seit dem Jahre 1907 ist die Stadt mit dem Maggiathal, mit Bignasco, durch eine
malerische, 27,1 km lange elektrische Bahn verbunden, die ihrerseits mit der Station der Gotthardbahn und den Gemeinden Muralto
und Minusio in Verbindung steht.