[* 1] (spr. liwwerpuhl, v. kymrischen Llyr-pwl, »Seepfuhl«),
Stadt in der engl.
GrafschaftLancashire, liegt unter 53° 23' nördl.
Br. und 2° 54' westl. L. v. Gr., am nördlichen
Ufer des schiffbaren
Mersey, welcher hier eine
Breite
[* 3] von 700 m hat, sich aber oberhalb Liverpool seeartig bis
über 3 km
Breite erweitert und unweit der Stadt in die
IrischeSee mündet. Vor seiner Mündung liegen
Sandbänke, zwischen
welchen hindurch der
Crosby und andre
Kanäle führen. Mehrere
Leuchtschiffe (das äußerste, Formby Light, 14 km von der Mündung
des
Mersey) und
Leuchttürme bezeichnen die Einfahrt, und neuerdings errichtete starke
Befestigungen verteidigen
dieselbe.
Die Stadt erhebt sich amphitheatralisch am sanften Abhang eines Sandsteinhügels und bietet mit ihren
Docks und
Kais und dunkeln
Häusermassen einen imposanten Anblick dar. Vorstädte mit freundlichen Landhäusern und
Gärten umgeben die Stadt nach allen
Seiten. Nach S. liegt
Toxteth mit dem 156
Hektar großen
NeuenPark und dem
Prince'sPark, im O.
Wavertree,
West-Derby, Everton und
Edgehill, im N. Kirkdale mit dem
StanleyPark und
Walton on the
Hill, am
Mersey selbst, unterhalb der Stadt,
Bootle und
Waterloo.
[* 4]
Selbst
Birkenhead (s. d.), Liverpool gegenüber, kann als Vorstadt desselben
gelten und gehört thatsächlich zum Hafengebiet der Stadt. Die Hauptstraßen der innern Stadt, wie
Dale,
Bold,
Castle,
LordStreet und die über 1 km lange Scotland Road, sind breit und äußerst belebt; doch münden auch enge, schmutzige
Seitengäßchen, wo der
Kleinhandel sich bewegt und das
Elend wohnt, in sie ein. Die zahlreichen
Armen wohnen inKellern
(ca. 20,000
Personen) oder in sogen.
Courts, kleinen Sackgäßchen, die, nach allen vier Seiten zugebaut, einen meist überwölbten
Zugang haben.
Unter den öffentlichen
Plätzen verdient nur der unregelmäßige, bei der St. Georgshalle im
Mittelpunkt der Stadt gelegene
Lime
Hill Erwähnung. Zwei
Wasserleitungen versorgen die Stadt mit
Wasser, die ältere vom Rivington
Pikeher, der 32 km nördlich von der Stadt liegt, die andre, erst jüngst vollendete, aus
Wales. Das große
Reservoir der letztern
liegt 10 km vom Balasee, bei den
Quellen des Vyrnwy und 238 m ü. M. Von dort aus führt ein 108 km langer
Aquädukt über
Oswestry und
Prescot nach Liverpool. Unter den 150 kirchlichen Gebäuden Liverpools ist keins von
Bedeutung. Das älteste unter ihnen, die St. Nicholaskirche, hat einen 1810 erbauten
Turm.
[* 5] Die St. Georgskirche nimmt die
Stelle des von
Heinrich II. erbauten
Forts ein und wurde 1821 völlig umgebaut. Unter den
Kirchhöfen ist der von St.
James, mit
dem Denkmal des Parlamentsmitglieds
Huskisson, der bemerkenswerteste.
Als architektonischen
MittelpunktLiverpools darf man wohl den Platz beim
Bahnhof in der Lime
Street ansehen.
Dort steht das
schönste Gebäude der Stadt, die St. Georgshalle, 1841-55 mit einem Kostenaufwand von 8 Mill. Mk.
von
Elmes in Gestalt eines griechischen
Tempels erbaut. Sie bedeckt eine
Fläche von 183
m
Länge bei 51,8
m Tiefe und enthält eine große
Halle
[* 6] für
Konzerte und Versammlungen, die
Gerichtshöfe etc. Die korinthischen
Säulen des
[* 7] westlichen
Portikus sind 13,7 m hoch.
Die
Bevölkerung
[* 9] ist in rascher Zunahme begriffen. Während sie 1700 noch nicht 6000
Seelen betrug, zählte Liverpool 1801: 82,295,
1851: 375,955, 1881 aber 552,426 Einw. Mit den Vorstädten, die zwar nicht zum städtischen
Gebiet, aber thatsächlich zur Stadt gehören, hatLiverpool wenigstens 652,000 Einw.
Diese Vorstädte sind:
Bootle,
Waterloo,
Walton on the
Hill,
West-Derby,
Wavertree und
Toxteth Park. Die Gesundheitsverhältnisse
lassen viel zu wünschen übrig, und von 1000
Kindern, die geboren werden, erreichen nur 540 das fünfte Lebensjahr. Zahlreich
sind die Katholiken (fast nur
Irländer), denn sie bilden nicht weniger als 12,8 Proz.
der Gesamtbevölkerung und tragen nicht wenig zum schlechten
Ruf bei, den Liverpool vom polizeilichen Standpunkt aus einnimmt.
ist ganz überwiegend Handelsstadt, indessen finden sich auch bedeutende industrielle Anstalten, besonders solche, die sich
auf
Schiffahrt beziehen, wie große Schiffswerften (namentlich auch für eiserne
Dampfschiffe), Maschinenfabriken,
Uhren- und
Chronometerfabriken,
Eisengießereien, Seilerbahnen,
Dampfkessel- und Messingfabriken, Zuckersiedereien,
Brauereien etc. 1881 zählte man 13,974 Kaufleute mit
Gehilfen, 4936
Maschinenbauer, 4841
Schiffbauer und 5505
Eisenarbeiter,
Spengler und
Schmiede. In Hinsicht seiner Ausfuhr ist Liverpool der bedeutendste aller britischen Häfen, wenn ihm auch
neuerdings
London
[* 10] (s. d.) seiner gesamten Handelsbewegung nach den
Rang abgelaufen hat. Es ist der Speditionsplatz
für die vielen
Güter, welche aus den fabrikreichen
GrafschaftenLancashire und
Yorkshire zur Verschiffung nach allen
Weltteilen
dahin gelangen, anderseits Importhafen, namentlich für alle
Produkte, welche die
Vereinigten Staaten
[* 11] von
Nordamerika
[* 12] an
Europa
[* 13] abgeben, wie
Baumwolle,
[* 14]
Petroleum,
Tabak
[* 15] etc. Außerdem unterhält es ausgedehnte
Verbindungen mit dem
SüdenEuropas und der
Levante, mit
China,
[* 16] der Westküste
Afrikas und mit
Irland, dessen Schlachtvieh,
Mehl,
[* 17]
Butter und
Leinwand größtenteils
über Liverpool gehen. Im J. 1846 besaß die Stadt erst 1461 Seeschiffe (darunter 55
Dampfer) mit 387,008
Ton.
Gehalt; 1886 hatte sie 2470 Seeschiffe
mit 1,864,387 T.
Gehalt, worunter 871
Dampfer mit 826,387 T., und außerdem 196 Fischerboote. Im J. 1886 liefen
16,744 Seeschiffe im
Gehalt von 7,566,234 T. ein (darunter 4367
Schiffe
[* 18] von 5,017,815 T. vom
Ausland). Der
Wert der
nach dem Ausland verschifften britischen Produkte belief sich 1886 auf 86,029,310 Pfd. Sterl. (1853 erst 47 Mill. Pfd. Sterl.).
Darunter waren Baumwollwaren für 42,7 Mill., wollene Waren für 9,4 Mill., Metalle für 8,4 Mill., Maschinen für 3,1 Mill.,
leinene Waren für 3 Mill. Pfd. Sterl.; ferner Alkali, Töpferwaren, Kurzwaren, Seidenwaren, Lederwaren und Kleider.
Die Einfuhr vom Ausland (einschließlich der britischen Kolonien) erreichte einen Wert von 88,931,927 Pfd. Sterl. Darunter
waren 14,022,695 Ztr. Baumwolle, 73,268,518 Pfd. Wolle, 42 Mill. Pfd. Tabak, 4,605,260 Ztr. Rohzucker, 81 Mill. Lit. Petroleum, 27 Mill.
Ztr. Getreide,
[* 21] 2,651,701 Ztr. Schinken und Speck, 9,1 Mill. LiverpoolSpirituosen und 6,740,000 LiverpoolWein.
Auch die Beförderung von Auswanderern ist von Bedeutung für die Reederei Liverpools. Unter den Dampfschiffahrtsgesellschaften,
die von aus regelmäßige Dampfschiffsverbindungen über den
Ozean unterhalten, stehen die weltbekannte Cunardlinie (seit
1840) und die nicht minder angesehenen Inman- (seit 1850), Allan-, WhiteStar- und Pacificlinien obenan. Eisenbahnen und Kanäle
verbinden Liverpool mit allen Teilen Englands. Von Edgehill aus führen drei Schienenstränge unter den Häusern
weg nach dem Bahnhof und den Docks, während die Yorkshirebahn über die Häuser hinweg nach dem großartigen Bahnhof in Tithebarn
Street führt, wo ein einziges Glasdach eine Fläche von 9400 qm bedeckt. Von den Docks aus führt ein seit 1879 erbauter
Eisenbahntunnel von 3 km Länge nach dem gegenüberliegenden Birkenhead. Der Mersey ist nur bis Warrington für größere Schiffe
schiffbar, aber Kanäle verbinden die Stadt mit Manchester,
[* 22] Leeds,
[* 23] Birmingham
[* 24] und den Salzbezirken Cheshires. Ein Kanal
[* 25] für Seeschiffe,
der Liverpool mit Manchester verbinden soll, ist im Bau (s. Manchesterkanal), und
man arbeitet an einem ausgedehnten Netz von Dampftramways, das Liverpool mit allen Fabrikstädten Lancashires in Verbindung setzen
soll.
Unter den dem Verkehr gewidmeten Anstalten Liverpools fallen dem Fremden am meisten die Docks in die Augen. Das erste Trockendock
wurde 1710 eröffnet, als das erste seiner Art in England, aber 1825 wieder zugeschüttet, und an seiner
Stelle steht seit 1839 das erwähnte Gebäude des Steuer- undZollamtes. Die namentlich seit 1845 hergestellten künstlichen
Hafenwerke sind Meisterstücke der Wasserbaukunst. Gegenwärtig zählt Liverpool 29 Docks, 4,9-7,9 m tief, die sich eine Strecke von
über 7 km weit am Flußufer hinabziehen und eine Wasserfläche von 274 Hektar einnehmen.
Vielfach sind diese Docks von großen Warenspeichern umgeben. Bemerkenswert sind ferner die bei Liverpool liegenden schwimmenden
Landungskais, wovon der neueste und großartigste (Ostern 1876 vollendet) eine Länge von 629 m und eine Breite von 25 bis 30 m
hat. Außer nassen und trocknen Docks (letztere namentlich für Küstenfahrer bestimmt) gibt es auch zahlreiche
Kalfaterdocks zur Ausbesserung von Seeschiffen. Das Grundkapital für die Hafenanlagen stellt gegenwärtig eine schwebende Schuld
von 16 Mill. Pfd. Sterl. dar (wovon 6 Mill. auf die Anlagen in Birkenhead entfallen), der als Verzinsung des Kapitals eine Einnahme
an Hafengeldern von mehr als 1 Mill. Pfd. Sterl. gegenübersteht.
Im Vergleich mit den Hafenbauten treten die andern dem Handel gewidmeten Gebäude in den Hintergrund, so die Börse, die Getreidebörse,
die zahlreichen, meist stattlichen Banken etc. Unter den bedeckten Markthallen
[* 27] ist die 1822 erbaute von St. John die wichtigste.
Sie liegt mitten in der Stadt, ist 168 m lang, 42 m breit, und ihr Dach
[* 28] ruht auf 116 gußeisernen Säulen.
Fleisch, Geflügel, Obst und Gemüse werden hier feilgeboten. Ihr gegenüber liegt der Fischmarkt.
Groß ist in Liverpool der Wohlstand, aber gleich groß die Armut. Unter den zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten sind hervorzuheben: 2 große
Krankenhäuser, ein Irrenhaus, Anstalten für Blinde und Taubstumme;
ein Matrosenheim (Sailors Home, seit
1850), ein Nachtasyl für Obdachlose, großartige Armenhäuser und mehrere städtische Bade- und Waschanstalten.
Unter öffentlichen Sammlungen verdienen Beachtung die von W. Brown 1857 gestiftete Freibibliothek mit Museum und die von Walker
[* 29] 1874 gestiftete
Gemäldegalerie. Ferner sind zu erwähnen: der botanische und zoologische Garten,
[* 30] die Sternwarte,
[* 31] ein Kunstverein, ein naturwissenschaftlicher
Verein und die den beiden politischen Parteien gehörigen Klubhäuser, Athenäum und Lyceum, welche große
Bibliotheken besitzen. Liverpool hat ferner drei Theater
[* 32] und mehrere sogen. Musikhallen. Es hat Munizipalverfassung und ist in 16 Distrikte
geteilt, deren jeder einen
Alderman und drei Räte ernennt, welche mit dem Mayor an der Spitze den Stadtrat bilden. Es
ist Sitz eines anglikanischen und eines kath. Bischofs sowie eines deutschen Konsuls.
Geschichte. Der Name (auch Litherpool in ältern Urkunden) wird zuerst um 1190 unter der RegierungRichards I. genannt. Die Ableitung
des Namens ist unsicher. Den ersten Freibrief erhielt die Stadt 1209 von Johann, den zweiten 1229 von Heinrich
III., worin dieser den Ort für eine Freie Stadt (borough) erklärte. Diese Freibriefe trugen indes zum Wachstum der Stadt wenig
bei, die noch zur Zeit Elisabeths nur etwa 1500 Einw. hatte. 1644 ward Liverpool mit einer Erdmauer und
einem Graben umgeben, aber nach einer standhaften Verteidigung von den Royalisten unter dem PrinzenRuprecht
erobert und geplündert.
Kurz darauf wüteten Pest und Hungersnot daselbst. 1699, als Liverpool zu einem selbständigen Kirchspiel erhoben wurde, hatte es erst 5000 Einw.
Zehn Jahre später wurde das erste Dock
[* 33] eröffnet; aber die Stadt fing erst an, sich rascher zu entwickeln, als die Kaufleute
sich auf den Sklavenhandel legten. Liverpools Negerschiffe eröffneten an den afrikanischen Küsten den
englischen Manufakturwaren (Eisen-, Stahl- und wollenen Waren) frequente Märkte, führten dann die Sklaven nach den Antillen
und brachten nach EuropaRum, Zucker
[* 34] und Tabak mit zurück, eine dreifache Operation, welche mit jeder Reise das Vermögen der Reeder
verdoppelte.
Man rechnet, daß von 1730 bis 1770: 2000 Negerschiffe den Hafen Liverpools verließen und im Verlauf von elf Jahren 304,000
Sklaven nach den Antillen brachten, die den Reedern einen Reingewinn von 8 Mill. abwarfen. Doch nahm der Sklavenhandel, da ihn
die Konkurrenz weniger einträglich machte, mehr und mehr ab, und die Abschaffung desselben 1806 schädigte
daher den Handel von Liverpool wenig. Die neuen großen Unternehmungen geschahen im Interesse der Manufakturen und waren nach der Neuen Welt
gerichtet, denn eine mächtige Kompanie besaß das Monopol des indischen und chinesischen Handels.