Lichanos
,
s. Griechische Musik, S. 730.
Lichanos
6 Wörter, 40 Zeichen
Lichanos,
s. Griechische Musik, S. 730.
Musik. Von der Musik der alten Griechen haben wir in der Hauptsache nur aus den Schriften der Theoretiker Kunde, die uns in ziemlich großer Anzahl erhalten sind. Daß die musikalische Kunst im Altertum gleich den übrigen Künsten im höchsten Ansehen stand und die Musiker nicht etwa wie im Mittelalter zu den Vagabunden und rechtlosem Gesindel gehörten, ist bekannt. Bei den großen Festspielen der Griechen (den Olympischen, Pythischen, Nemeischen und Isthmischen) spielten die musischen (poetischen und musikalischen) Wettkämpfe eine hervorragende Rolle.
Speziell die Pythischen Spiele waren ursprünglich nur musikalische zu Ehren des Apollon [* 3] zu Delphi; der Sieger wurde mit einem Lorbeerkranz geschmückt, zu welchem die Zweige im feierlichen Aufzug [* 4] aus dem Thal [* 5] Tempe geholt wurden. Die ältere Geschichte der griechischen Musik ist so mit Sagen und Märchen durchsetzt, daß der historische Kern nur sehr schwer kenntlich ist; die Erfindung der musikalischen Instrumente wie der Musik überhaupt wird den Göttern zugeschrieben (Apollon, Hermes, [* 6] Athene, [* 7] Pan). [* 8]
Amphion, [* 9] Orpheus, [* 10] welche Steine belebten und Tiere bezwangen, Linos, der wegen seines schönen Gesanges, Marsyas, [* 11] der wegen seines trefflichen Flötenspiels von Apollon aus Eifersucht getötet wurde, sind mythische Gestalten (vgl. Musik, Geschichte). Die griechische Theorie der Musik ist eine sehr entwickelte und hat den Theoretikern des Abendlandes viel Geistesarbeit erspart; das Wesentlichste derselben werden wir in kurzen Worten darzustellen suchen.
I. Das System. Während unser ganzes modernes Musiksystem in der Auffassung im Dursinn, im Sinn der Durtonleiter und des Durakkords wurzelt, war den Griechen gerade die umgekehrte Auffassungsweise die natürlichere. Den Kernpunkt ihres Systems bildete eine Tonleiter, welche durchaus das Gegenteil unsrer Durtonleiter ist; die Griechen dachten sich dieselbe von oben nach unten gehend, wie wir gewohnt sind, uns die Durtonleiter nach oben gehend vorzustellen. Die Auffassung dokumentiert sich in beiden Fällen durch die Ordnung der Tonbuchstaben (vgl. unten IV). Abgesehen natürlich von der nicht genau nachweisbaren absoluten Tonhöhe, entsprach die mittlere Oktave unserm e'-e:
^[img]
was, wie die Bogen [* 12] für die Halbtonschritte verraten, das Gegenteil unsrer Durtonleiter (C'-c) ist:
^[img]
Jene Skala hieß die dorische. Die Auffassung im Sinn von Akkorden (Klängen, Dreiklängen, s. Klangvertretung) war den Griechen fremd, da sie Mehrstimmigkeit nicht kannten. Deshalb sind alle ihre Theoreme nur auf das Melodische bezüglich. Sie faßten diese Skala daher, wenn sie dieselbe näher zergliederten, auf als aus zwei gleichen Tetrachorden (Stücken von je vier Tönen) zusammengesetzt. Ein solches Tetrachord, das in absteigender Folge aus zwei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt bestand, hieß ein dorisches.
Das sogen. vollständige System erstreckte sich durch zwei Oktaven, d. h. es trat an obige Skala noch ein gleiches Tetrachord in der Höhe und Tiefe an, aber derart, daß der Schlußton des einen zugleich den Anfangston des andern bildete (verbundene Tetrachorde), und in der Tiefe wurde noch ein Ton hinzugenommen (Proslambanomenos), der die Unteroktave des mittelsten und die Doppelunteroktave des höchsten Tons des ganzen Systems war; die Tetrachorde erhielten folgende Namen:
^[Siehe hierzu Abbildungen]
a' g' f' e' | Tetrachord der Hohen (Tetrachordum hyperbolaeon) |
e' d' c' h' | Tetrachord der Getrennten (T. diezeugmenon) |
Diazeuxis (Trennung). | |
a g f e | Tetrachord der Mittlern (Tetrachordum meson) |
e d c H | Tetrachord der Tiefen (T. hypaton) |
A | Proslambanomenos. |
Die beiden mittlern Tetrachorde waren also getrennt; indessen benutzte man für Modulationen nach der ¶
Tonart der Unterquinte (die den Griechen ebenso das Nächstliegende war wie uns die nach der Tonart der Oberquinte) den Halbton über dem höchsten Ton des Tetrachords der Mittlern und unterschied daher ein besonderes Tetrachord der Verbundenen (Synemmenon) im Gegensatz zu dem der Getrennten, bestehend aus den Tönen a b c' d'. Besondere Wichtigkeit legen die Theoretiker dem höchsten Ton des Tetrachords der Mittlern bei, welcher vorzugsweise der Mittlere hieß (Mese) und Tonikabedeutung hatte. Die vollständigen Namen der sämtlichen Stufen waren:
↗ a' die höchste der Hohen | = Nete | ↘ |
| g' die zweithöchste der Hohen | = Paranete | Hyperbolaeon |
| f' die dritte der Hohen | = Trite | ↗ |
↘ e' die höchste der Getrennten | = Nete | ↘ |
↗ d' die zweithöchste der Getrennten | = Paranete | Diezeugmenon |
| (resp. höchste der Verbundenen) | Nete | ↘ |
| c' die dritte der Getrennten | = Trite | ↘ |
| (resp. zweithöchste der Verbundenen) | Paranete | Synemmenon |
| h die neben der Mitte | = Paramese | ↗ |
| [b die dritte der Verbundenen] | Trite | ↗ |
↘ a die Mittelste | = Mese | |
↗ g der Zeigefingerton der Mittlern | = Lichanos | ↘ |
| f die vorletzte der Mittlern | = Parhypate | Meson |
↘ e die tiefste der Mittlern | = Hypate | ↗ |
↗ d der Zeigefingerton der Tiefen | = Lichanos | ↘ |
| c die vorletzte der Tiefen | = Parhypate | Hypaton |
↘ H die tiefste der Tiefen | = Hypate | ↗ |
A der hinzugekommene Ton | = Proslambanomenos |
^[Ausdehnung [* 14] der geschwungenen Klammern: [* 15] siehe Bildansicht dieser Seite, meyers_b7_s0730.jpg]
Dieses System liegt den theoretischen Betrachtungen nicht nur der Griechen, sondern auch der mittelalterlichen Musikgelehrten zu Grunde. In seiner vollständigen Gestalt wie hier hieß das System das vollkommene (Systema teleion) oder das veränderliche, d. h. modulationsfähige (Systema metabolon), sofern die Benutzung der Synemmenon eine Modulation nach der Unterdominante bedeutete; ohne die Synemmenon hieß es unveränderlich (ametabolon).
II. Oktavengattungen (Tonarten). Da die Griechen Harmonie in unserm heutigen Sinn nicht kannten, so sind ihre Begriffe von Tonart, Tongeschlecht etc. rein melodischer Bedeutung, und ihre sogen. Tonarten sind daher eigentlich nichts andres als verschiedene Oktavenausschnitte (Oktavengattungen) aus derselben Tonleiter, nämlich der oben gegebenen von zwei Oktaven. Das Tetrachord synemmenon kommt dabei nicht in Betracht. Als Mittelpunkt des Systems erwies sich die dorische Oktavengattung e'-e; die Oktave von d'-d hieß dagegen die phrygische, c'-c lydisch, h-H mixolydisch.
Diese vier waren in ähnlicher Weise die vier Haupttonarten der Griechen, wie die vier gleichnamigen (aber nicht gleichbedeutenden) Kirchentöne (s. d.) die vier authentischen waren. Die zu ihnen gehörigen, durch den Zusatz »hypo-« unterschiedenen Seitentonarten sind so vorzustellen, daß die Lage der Quinte und Quarte, aus denen sich die Oktave zusammensetzt, vertauscht ist: e'..a..e ist dorisch; wird die Quinte e' a eine Oktave tiefer versetzt oder die Quarte a e eine Oktave höher, so ist die neue Oktavengattung die hypodorische.
Bei den Kirchentönen ist die Grundanschauung die entgegengesetzte, z. B. dorisch (d-d') ist aus der Quinte d a und Quarte a d' zusammengesetzt; wird die Lage der beiden Stücke vertauscht, so ist A..d..a = hypodorisch. Während also die griechischen Seitentonarten eine Quinte unter den Haupttönen liegen, liegen die plagalen Kirchentöne nur eine Quarte unter den authentischen. Die Kirchentöne sind eben aufsteigend gedacht, und es spielen schon harmonische Begriffe hinein. Die sieben Oktavengattungen der Griechen sind:
1. Dorisch (e'-e).
3. Lydisch (c'-c).
4. Mixolydisch (h-H)
5. Hypodorisch (äolisch, a-A).
6. Hypophrygisch (g'-g).
7. Hypolydisch (f'-f).
8. Hypomixolydisch (dorisch, e'-e).
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Daß die Griechen durchaus nicht so, wie das später bei den Kirchentönen der Fall war, dem phrygischen etc. eine ähnliche grundlegende Bedeutung beimaßen wie dem dorischen, d. h., daß sie nicht d oder g als Hauptton des phrygischen betrachteten (sozusagen als Tonika oder Dominante), sondern daß sie vielmehr wirklich alle Oktavengattungen als verschiedene Ausschnitte aus einer dorischen Skala betrachteten, geht zur Evidenz aus der Unterscheidung der Thesis (Stellung) und Dynamis (Bedeutung) hervor. d' ist der Stellung nach (kata thesin) in der phrygischen Tonart Nete, g Mese und d Hypate; der Bedeutung, Wirkung nach (kata dynamin) aber ist d' Paranete, g Lichanos meson, d Parhypate, d. h. die Dynamis ist immer die der dorischen Tonart. Wenn daher Aristoteles der Mese eine besondere Bedeutung beimißt, so meint er stets die dorische Mese.
III. Transpositionsskalen (eigentliche Tonarten in unserm Sinn). Benutzt man für die Oktavengattung d'-d das Tetrachord synemmenon statt diezeugmenon, also b statt h, so ist dieselbe nicht mehr die phrygische, sondern die hypodorische, denn das Eigentümliche der verschiedenen Oktavengattungen ist die verschiedene Stellung der Halbtonschritte. Da nun aber die hypodorische Oktavengattung als von der dorischen Mese bis zum Proslambanomenos sich erstreckend anzusehen ist, so gehört d'-d mit b in ein transponiertes System, dessen Proslambanomenos nicht A, sondern d ist.
In der That war die griechische Musik nicht wie der Gregorianische Gesang an die diatonische Skala A-a' ohne Vorzeichen gebunden, sondern benutzte sämtliche chromatische Zwischenstufen und auch eine Anzahl höherer und tieferer Töne. Entsprechend unsern Dur- und Molltonarten auf 12 oder mehr verschiedenen Stufen, hatten die Griechen ihre Transpositionen des oben (I) erklärten Systems und zwar in späterer Zeit 15, von denen die ältesten die gleichen Namen hatten wie die sieben Oktavengattungen. Wie aus der unten gegebenen Tabelle der griechischen Notenzeichen hervorgeht, ist die Grundskala der Griechen die hypolydische: f' e' d' c' h a g f; das System A-a' ohne Vorzeichen heißt daher das hypolydische; die transponierten sind benannt je nach der Oktavengattung, welche der Ausschnitt f'-f ergibt, z. B. f' e' d' c' b a g f ist eine lydische Oktave, das ¶
System d-d'' mit einem b heißt daher das lydische. Also die Oktave f'-f gehört
ohne Vorzeichen ins System | A-a' | = hypolydisch |
mit 1 b | d-d'' | = lydisch |
2 b | G-g' | = hypophrygisch |
3 b | c-c'' | = phrygisch |
4 b | F - f' | = hypodorisch |
5 b | b-b'' | = dorisch |
6 b | es-es'' | = mixolydisch (hyperdorisch). |
Die (zweifellos jüngern) Kreuztonarten bringen dagegen lauter neue Namen; es gehört fis'-fis
mit 1 # ins System | e-e'' | = hyperiastisch (hoch mixolydisch) |
2 # | H-h' | = iastisch (hoch dorisch). |
3 # | Fis-fis' | = hypoiastisch oder lokrisch (hoch hypodorisch) |
mit 4 # ins System | cis-cis' | = äolisch (hoch phrygisch) |
mit 5 # | Gis-gis' | = hypoäolisch (hochhypophrygisch) |
mit 6 # | dis-dis'' | = hyperdorisch (hoch lydisch). |
Das System dis-dis'' mit 6 # ist enharmonisch identisch mit es-es'' mit 6 b; beide werden hyperdorisch genannt; hier schließt sich der Quintenzirkel.
IV. Griechische Notenschrift (Semantik). Die Griechen besaßen zweierlei Arten der Notation, eine ältere, von Haus aus diatonische, welche später als Instrumentalnotation sich noch hielt, als die jüngere, gleich enharmonisch-chromatisch angelegte Notierung für den Gesang eingeführt wurde. Die Notenzeichen sind teils intakte, teils verstümmelte und verdrehte Buchstaben des griechischen Alphabets:
^[img]
Übersicht der griechischen Notenschrift, mit Übersetzung in die heutige Notation.
Ausführlicheres darüber s. in den Spezialschriften von Fortlage, Bellermann, Riemann (»Studien zur Geschichte der Notenschrift«, Leipz. 1878) etc. Leider sind nur dürftige Reste altgriechischer Kompositionen auf uns gekommen, so daß die Kenntnis der Bedeutung der Noten bisher wenig praktischen Wert hat.
V. Die Tongeschlechter der Griechen waren nicht harmonische Unterscheidungen wie die unsrigen (Dur und Moll), sondern melodische. Die Griechen zerlegten, wie bereits erwähnt, die Skalen in Tetrachorde; das normale Tetrachord war das dorische, aus zwei Ganztonschritten und einem Halbtonschritt bestehend, z. B.: e' d' c' h. Dieses diatonische Geschlecht war das älteste. Neben ihm kam noch im grauen Altertum (nach der Sage eine Erfindung des Ulympos) das (ältere) enharmonische Tongeschlecht auf, bei welchem die beiden mittlern Töne des Tetrachords durch Herabstimmung des höhern auf gleiche Tonhöhe gebracht wurden, so daß also die Lichanos, resp. die Paranete fortfiel, z. B.: e' c' c' h ^[img].
Als drittes Geschlecht kam das chromatische hinzu, welches die Lichanos oder Paranete nicht ausließ, sondern um einen Halbton erniedrigte, so daß zwei Halbtonschritte einander direkt folgten: e' bd' c'h ^[img]. Endlich teilte die (neuere) Enharmonik den Halbton des diatonischen Tetrachords, oder, vielleicht richtiger, sie führte neben dem diatonischen den chromatischen Halbton ein: e' # h' c' h ^[siehe Bildansicht]. Im Hinblick auf die verschiedenen Tongeschlechter, welche die Paranete, Trite, resp. Lichanos und Parhypate veränderten, unterschieden die Griechen diese Töne als veränderliche, während die Grenztöne des Tetrachords (Nete und Hypate, resp. Mese, Paramese und Proslambanomenos) unveränderliche waren.
Außer diesen drei Tongeschlechtern stellten die Theoretiker noch eine große Anzahl andrer Tetrachordenteilungen auf, welche Färbungen (Chroai) genannt wurden und in der Notenschrift keine Darstellung fanden. Dieselben sind zum Teil wunderlichster Art, und es ist nichts andres als eine Zufälligkeit, daß sich darunter auch die unsern heutigen Bestimmungen genau entsprechenden mit 15:16 für den Halbton und 4:5 für die große Terz befinden (bei Didymos und Ptolemäos).
Bekanntlich beziehen sich Fogliano und Zarlino, welche diese Verhältnisse zuerst endgültig aufstellten, auf Ptolemäos. Näheres s. bei O. Paul, Die absolute Harmonik der Griechen (Leipz. 1866). Die vollständige Entwickelung des Systems geben F. Bellermann, Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen (Berl. 1847), und R. Fortlage, Das musikalische System der Griechen (Leipz. 1847). Sehr interessant, aber in vieler Beziehung irre führend sind die bezüglichen Schriften von R. Westphal (s. d.).
Vgl. auch Gevaert, Histoire et théorie de la musique de l'antiquité (Gent [* 17] 1875-81, 2 Bde.).
VI. Die praktische Musikübung der Griechen war entweder bloßer Gesang oder Gesang mit Begleitung von Saiteninstrumenten (Kitharodie) oder Blasinstrumenten (Aulodie), oder bloßes Saitenspiel (Kitharistik) oder Flötenspiel (Auletik). Die wichtigsten und für die Kunstmusik beinahe allein in Frage kommenden Instrumente waren die Lyra, [* 18] Kithara [* 19] und der Aulos. Die Lyra hatte einen gewölbten, die Kithara einen flachen Resonanzkasten; die Saitenzahl beider war lange Zeit 7, später stieg sie erheblich. Die Magadis war ein größeres Saiteninstrument mit 20 Saiten, auf welchem in Oktaven gespielt wurde. Sämtliche Saiteninstrumente der Griechen, auch die ältern ¶