Aragonien
(Aragon), sonst selbständiges span. Königreich, welches die ganze Ostecke der Halbinsel einnahm und die sogen. aragonischen Provinzen Aragon, Katalonien und Valencia [* 2] nebst der Balearengruppe, zusammen 106,755 qkm (1939 QM.) mit 2,5 Mill. Einw., umfaßte; jetzt spanische Landschaft mit dem Titel eines Königreichs, 46,565 qkm (845,7 QM.) groß mit (1883) 909,261 Einw., wird gegen N. von Frankreich, gegen W. von Navarra, Alt- und Neukastilien, gegen S. und O. von Valencia und Katalonien begrenzt.
Der Aragonese haßt alles
Fremde und zeichnet sich durch ein finsteres, hinterlistiges, rachsüchtiges
und grausames, dabei extrem bigottes
Wesen aus. Zugleich aber besitzt er einen glühenden
Patriotismus, edlen Freiheitssinn,
hohen persönlichen
Mut, große
Energie und eine wahrhaft spartanische
Enthaltsamkeit in betreff sinnlicher Vergnügungen. Die
Männer sind meist groß, hager und sehr gebräunt, die tapfersten
Soldaten der
Armee, die tüchtigsten
Jäger, die verwegensten
Räuber; die
Frauen schön gewachsen, mit großen, schwarzen
Augen und reichem, glänzend weichem Lockenhaar.
Der ursprüngliche rauhe
Dialekt der Aragonesen hat sich allmählich mit dem kastilischen verschmolzen. Aragonien
zerfällt in die
Provinzen
Saragossa,
[* 3]
Huesca und
Teruel (Genaueres s. unter den einzelnen
Provinzen). Hauptstadt des
Landes
ist
Saragossa.
Geschichte. Das jetzige Aragonien
kam nach Aufhören der römischen Herrschaft in den
Besitz der Westgoten, seit dem 8. Jahrh. in
den der Araber, Anfang des 9. Jahrh. nebst
Katalonien teilweise unter fränkische Herrschaft. Die
Grafschaft Aragonien
, als deren erster
Graf Azenar, ein Sohn des aquitanischen
Herzogs
Eudo, genannt wird, kam nach Erlöschen des gräflichen
Hauses um 1000 durch
Erbrecht an den König
Sancho
Mayor von
Navarra (970-1035), der bei seinem
Tod Aragonien
seinem natürlichen Sohn
Ramiro I. zuwies.
Dieser erweiterte sein Gebiet durch die Erwerbung von Ribagorza und Sobrarbe sowie durch glückliche
Kämpfe gegen die
Mauren
und nahm den Königstitel an. Seine Nachfolger
Sancho Ramirez (1063-94) und
Pedro (1094-1104) setzten den
Krieg gegen die
Mauren mit Erfolg fort; endlich eroberte
Alfons I. (1104-34)
Saragossa 1118 und erhob es zur Hauptstadt Aragoniens.
Sein
Testament, worin er das
Land den geistlichen
Ritterorden vermachte, wurde von den
Ständen Aragoniens
nicht anerkannt,
dagegen sein
Bruder Ramiro II. auf den
Thron
[* 4] von Aragonien
erhoben.
Dieser verlobte seine Tochter Pedronella (1137) mit dem
Grafen
Raimund
Berengar I.,
Grafen von
Barcelona,
[* 5] der den
Grund zur Vereinigung
Kataloniens mit Aragonien
legte, indem sein älterer Sohn,
Alfons II. (1162-96), ihm 1162 in
Katalonien, 1163 auch in Aragonien
folgte.
Unter ihm und seinen Nachfolgern ward Aragonien
, durch die Erwerbung
Roussillons,
Montpelliers,
Cerdagnes,
Carcassonnes und andrer Pyrenäenlandschaften,
Valencias und der
Balearen vergrößert, schnell die zweite christliche Macht
Spaniens neben
Kastilien.
Pedro II. (1196-1213) nahm seine
Krone vom
Papst zu
Lehen. Die von König
Jakob I. (1213-76), von welchem die
Konstitution Aragoniens
herrührt, beabsichtigte
Teilung des
Landes kam nicht zur Ausführung, da dessen ältester Sohn,
Peter
III. (1276-85), seinem
Bruder
Jakob II., welcher die
Balearen,
Roussillon,
Cerdagne etc. bekommen hatte, die Lehnspflichtigkeit
aufzwang.
Peter III. erwarb später (1282)
Sizilien,
[* 6] ward aber infolge davon mit
Frankreich in
Krieg verwickelt.
Als die hierdurch und durch sonstige
Fehden hervorgerufene finanzielle
Not ihn zur Ausschreibung drückender
Steuern bewog, traten die
Stände von Aragonien
1283, um ihre alten
Freiheiten zu wahren, zur ersten
Union zusammen und zwangen dem
König das Generalprivilegium von
Saragossa ab, das, später noch erweitert, die monarchische
Gewalt zu einem
Schatten
[* 7] verminderte.
Ihm folgte 1285 sein ältester Sohn,
Alfons III. (1285-91), in den spanischen
Reichen, der jüngere,
Jakob, in
Sizilien.
Alfons entsetzte seinen Oheim
Jakob von
Majorca, geriet mit
Kastilien und
Frankreich in langwierige
Händel, während welcher die
aragonischen
Stände ihre Macht erweiterten. Nach
Alfons' kinderlosem
Tod folgte ihm sein
Bruder
Jakob II.
(1291-1327), der
Sardinien
[* 8] erwarb und 1319 die Unteilbarkeit des spanischen
Reichs festsetzte; doch behielten Aragonien
,
Katalonien
und
Valencia eigne
Cortes. Auf
Jakob folgte 1327 sein Sohn
Alfons IV. (gest. 1336), der gegen die Genuesen und mit seinem Schwiegervater
Alfons XI. von
Kastilien glücklich gegen die
Mauren focht.
Sein Nachfolger
Peter IV. (gest. 1387) beendete
den dem
Handel Aragoniens
sehr nachteiligen
Krieg mit
Genua,
[* 9] vereinigte
Majorca (1344) wieder mit.
Aragonien
, verlor dagegen
Sardinien teilweise. Während seiner
Kämpfe mit
Kastilien und unzufriedenen
Brüdern gewannen die
Cortes immer
größere Unabhängigkeit. Doch befestigte er wieder die königliche
Gewalt durch den
Sieg über den unbotmäßigen
Adel bei Epila (1348).
Sein Sohn
Johann (1387-95) verlor ganz
Sardinien an Leonore
Visconti. Nach dessen und seines
Bruders
Martin
(1395-1410) kinderlosem
Tod entstanden in Aragonien
infolge des Auftretens verschiedener Prätendenten heftige Thronstreitigkeiten,
aus denen endlich durch den Spruch gemischter
Schiedsrichter der
Infant
Ferdinand von
Kastilien, ein
Neffe
Johanns,
als König hervorging. Dieser,
Ferdinand I. (1412-16), wirkte eifrig mit zur Beseitigung des großen kirchlichen
Schismas.
Ihm folgte sein Sohn
Alfons V. (1416-58), welcher die
Regierung seiner Gemahlin
Maria von
Kastilien und seinem
Bruder
Johann überließ,
um seinem Drang nach kriegerischen
Abenteuern zu folgen. Er vereinigte
Neapel
[* 10] und
¶
mehr
Sizilien mit Aragonien
, hinterließ aber nur einen natürlichen, vom Papst legitimierten Sohn, Ferdinand, welcher in Neapel folgte.
Die spanischen Reiche nebst Sardinien und Sizilien und den Balearen erbte Johann II. (1458-79), sein Bruder, durch seine Gemahlin
Blanka auch König von Navarra. Johanns Regierung war hart und willkürlich, gegen seine eignen Unterthanen
erbat er die Hilfe Frankreichs und bezahlte sie durch Abtretung Roussillons und Perpignans. Er starb 1479. Ihm folgte sein Sohn
Ferdinand II., seit 1469 Gemahl Isabellas, der Thronerbin von Kastilien, wodurch Aragonien
mit Kastilien zu Einem Reich vereinigt ward
(s. Spanien,
[* 12] Geschichte).
Von besonderm Interesse ist die Verfassungsgeschichte Aragoniens, wo zuerst das freie Bürgertum sich ausgebildet hat. Schon 1118 bekamen die Bürger Saragossas alle Rechte geborner Hidalgos (Ritter), und 1136 ratschlagten Abgeordnete der aragonischen Gemeinden auf dem Reichstag (Cortes) mit geistlichen und weltlichen Lehnsherren über Steuern und Landesordnungen. Fortan waren die Städte Aragoniens und Kataloniens besonders auf Erhaltung der ständischen Gerechtsame und Freiheiten bedacht.
Die Cortes von Aragonien, gleichzeitig besucht von den Boten des in eine höhere (ricos hombres) und niedere (infançones, caballeros, hidalgos) Klasse gesonderten Adels und der Prälaten, verfügten über Krieg und Frieden, Bündnisse und Verträge, Steuern, Münzen, [* 13] alte und neue Gesetze und Urteilssprüche der untern Gerichtshöfe. König Alfons III. mußte die jährliche Berufung der Cortes nach Saragossa (1287) als Grundgesetz anerkennen und denselben das Recht des pflicht- und verfassungsmäßigen Widerstands gegen willkürliche Verletzung der ständischen Mitglieder einräumen, ja anerkennen, daß, wenn der König sich der Gewaltherrschaft schuldig gemacht, alle Bewohner Spaniens vom 14. bis zum 60. Jahr verbunden sein sollten, die Waffen [* 14] zum Sturz desselben zu ergreifen.
Peter IV. erzwang 1348 die Aufhebung dieser Satzungen, bewilligte aber die Einsetzung einer Behörde, die, zwischen Regierung und Volk stehend, die Rechte des letztern gegen Übergriffe der erstern schützen und in Streitigkeiten zwischen der Krone und den Ständen entscheiden sollte. An ihrer Spitze stand der vom König aus der Ritterschaft auf Lebenszeit gewählte, aber lediglich den Cortes gegenüber zur Rechenschaft verpflichtete Justicia. Die allgemeinen Reichsstände, anfangs jährlich, seit 1307 alle zwei Jahre von den Abgeordneten Aragoniens, Kataloniens und Valencias gebildet, zerfielen in die vier Abteilungen (brazos, Arme, estamentos, Bänke) der Geistlichkeit, des hohen (brazo de nobles) und niedern Adels (brazo de caballeros y hijos dalgo) und der Stadtgemeinden (brazo de universidades).
Für die Gültigkeit eines Cortesbeschlusses war Einstimmigkeit der Krone und aller Mitglieder notwendig. Ein ständischer Ausschuß von acht Mitgliedern blieb zur Wahrung der Volksrechte stets zusammen. Auch nach der Vereinigung mit Kastilien (1516) behielt Aragonien seine alten Freiheiten und verlor dieselben erst infolge der standhaften Parteinahme für Österreich [* 15] im spanischen Erbfolgekrieg. In den Karlistenkriegen der Neuzeit zeigten die Aragonier denselben hartnäckigen Mut, den ihre Hauptstadt Saragossa 1808-1809 den Franzosen gegenüber bewies. Während Oberaragonien entschieden der Königin anhing, hielt Niederaragonien zu Don Karlos.
Vgl. E. Aragonien Schmidt, Geschichte Aragoniens im Mittelalter (Leipz. 1828);
Pidal, Historia de las alteraciones de Aragon en el reinado de Felipe II (Madr. 1862-63, 3 Bde.).