Lemberg
[* 1] (ehemals Lemburg, auch Löwenburg, poln.
Lwów), Hauptstadt des österreich.
Königreichs
Galizien und
Lodomerien,
liegt 278 m ü. M. am Peltew (Nebenfluß des
Bug) in einem tiefen, engen, von SO. nach
NW. ziehenden Plateaukessel,
an der
Karl Ludwigbahn
(Linie
Krakau-Lemberg-Podwoloczyska), der Lemberg
-Czernowitzer
Bahn und der Staatsbahn Lemberg
-Stryi. Lemberg besteht aus
der kleinen eigentlichen Stadt mit kaum 400
Häusern und ausgedehnten Vorstädten:
Halitscher, Lyczakower,
Krakauer und
Zolkiewer
Vorstadt, welche zusammen an 2500
Häuser zählen.
Die eigentliche Stadt war ehemals mit Doppelmauer, Wällen, und Gräben umgeben, welche seit 1811 abgetragen und in Promenaden und Anlagen umgeschaffen sind. Auch die Abhänge der umliegenden Hügel, namentlich des 392 m hohen Schloßbergs, sind mit freundlichen Gartenanlagen geschmückt. Die Stadt ist größtenteils gut gebaut und hat mehrere ansehnliche Plätze, wie den Ringplatz und Mariaplatz. Unter den öffentlichen Gebäuden sind die hervorragendsten: die Dominikanerkirche mit einem sehr verehrten Marienbild und Grabmonumenten polnischer Großen (worunter das der Gräfin Borkowska von Thorwaldsen);
der weithin sichtbare griechisch-katholische Dom (im italienischen Stil 1740-79 erbaut);
die lateinische Kathedrale (im gotischen Stil 1350-1460 erbaut);
[* 1]
^[Abb.:
Wappen
[* 2] von Lemberg.]
¶
mehr
die Bernhardinerkirche mit einem schönen Turm
[* 4] nebst geräumigem Kloster; die griechisch-unierte Stauropigiankirche im byzantinischen
Stil; die aus dem 14. Jahrh. stammende armenische Kathedrale und die neue Synagoge. Im ganzen zählt Lemberg
27 Kirchen, darunter 18 des
lateinischen, eine des armenischen und 8 des griechisch-katholischen Ritus. Klöster haben in Lemberg
die Karmeliter,
Bernhardiner, Dominikaner, die Jesuiten, Minoriten, die griechischen Basilianer, die armenischen Benediktinerinnen, Barmherzigen Schwestern
u. a. In den Zeiten der polnischen Republik hatte Lemberg
nur ca. 24,000 Einw., aber 40 lateinische und 14 griechische Kirchen und
eine solche Anzahl von Klöstern und Mönchen, daß man es noch im 17. Jahrh. die »Stadt
der Mönche« nannte.
Von weltlichen Gebäuden sind zu erwähnen: das Landtagsgebäude, die technische Hochschule, das Statthaltereigebäude, das ehemalige Jesuitenkollegium (zu Amtszwecken verwendet), das neue Gerichtsgebäude, das allgemeine Krankenhaus [* 5] (früher Piaristenkollegium), das große Theater [* 6] des Grafen Skarbek, das Rathaus, das Invalidenhaus, das Akademiegebäude, das städtische Gymnasial- und das Realschulgebäude, das Ossolinskische Institut, die aus mehreren Forts bestehende starke Citadelle (auf den südlich gelegenen Anhöhen), das lateinische erzbischöfliche Palais, das ruthenische Nationalhaus u. a. Der große, ein regelmäßiges Viereck [* 7] bildende und mit vier schönen Brunnen [* 8] gezierte Ringplatz, in dessen Mitte der imposante Stadtturm steht, bezeichnet den Mittelpunkt der Stadt, von wo ziemlich gerade und schöne Straßen nach allen Richtungen auslaufen.
Die Stadt zählt (1880) 109,746 Einw., darunter 58,602 Römisch-Katholische, 17,496 Griechisch-Katholische, 1863 Evangelische,
30,961 Juden; der Umgangssprache nach 91,870 Polen, 8911 Deutsche
[* 9] und 6277 Ruthenen. Als der bedeutendste Gewerbe- und Handelsplatz
des Landes hat Lemberg
alle Gattungen Handwerker und Gewerbe (29 Proz. der Bevölkerung
[* 10] sind industriell); namentlich
besitzt es eine Eisenbahnwerkstätte, Fabriken für Maschinen und landwirtschaftliche Geräte, Maschinenziegel und Thonwaren,
[* 11] Gips,
[* 12] Öl, Schokolade und Holzstifte, Dampfmühlen und Dampfbrotbäckereien, Bierbrauereien, Likörfabriken, Kürschnereien,
Buchdruckereien und Lithographien und eine Gasanstalt. Lemberg
treibt ansehnlichen Handel mit Flachs, Hanf, Pelzwaren, Tuch, Leder, Honig,
Wachs, Kleesamen, Schafwolle, Eisenwaren und unterhält drei ehemals stark besuchte Jahrmärkte sowie einen
sehr lebhaften Speditionshandel.
Anstalten zur Förderung von Handel und Verkehr sind: die Handelskammer, der Gewerbeverein, 5 Kreditaktiengesellschaften (Ende 1885 mit
5,15 Mill. Gulden Aktienkapital und 102 Mill. Guld. Pfandbriefumlauf), eine Sparkasse (Ende 1885 mit 14,7 Mill. Guld. Einlagen),
eine Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank und mehrere Vorschußvereine. Lemberg
besitzt auch eine Pferdeeisenbahn.
Wohlthätigkeitsanstalten sind: ein Taubstummen- und Blindeninstitut, mehrere Kinderbewahranstalten, eine Waisenanstalt, eine
Irrenanstalt (im nahen Kulparkow), ein Hospital (zu St. Lazarus), eine Gebär- und Findelanstalt, ein Militärinvalidenhaus
etc. An Bildungsanstalten besitzt die Stadt: eine Universität (1784 von Kaiser Joseph II. gegründet, 1817 von
Kaiser Franz I. restauriert) mit drei Fakultäten (die medizinische fehlt), einer Bibliothek von 86,000 Bänden, einem botanischen
Garten
[* 13] und andern wissenschaftlichen Instituten (1884 Zahl der Hörer 922);
das gräflich Ossolinskische litterarische Nationalinstitut (1817 gegründet) mit einer Bibliothek von 81,000 Werken, 3000 Handschriften und großen Sammlungen von Münzen, [* 14] Medaillen, Bildern, Kupferstichen und vaterländischen Altertümern;
eine technische Hochschule, 4 Obergymnasien (2 mit polnischer, je eins mit deutscher und ruthenischer Unterrichtssprache), eine Oberrealschule, ein römisch-katholisches erzbischöfliches Seminar mit Privatgymnasium, eine griechische Ritualschule, eine Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, eine kunstgewerbliche Fachschule, eine städtische Gewerbeschule, eine forstwirtschaftliche Landeslehranstalt, Gartenbauschule (eine landwirtschaftliche Lehranstalt befindet sich in dem nahen Dorf Dublany), Arbeitsschulen des Frauenerwerbvereins, das Dzieduszyckische Museum für Ethnographie [* 15] und Naturkunde und ein städtisches Museum für Kunst und Industrie. ist der Sitz der obersten Landesbehörden, als: der Statthalterei, des Oberlandesgerichts u. Landesgerichts, des 11. Korpskommandos, des Landwehr- und des Landesgendarmeriekommandos für Galizien und die Bukowina, der Finanzlandesdirektion und Finanzprokuratur, der Forst- und Domänendirektion, der Polizeidirektion, der Post- und Telegraphendirektion.
Auch haben in Lemberg
3 Erzbischöfe (je einer des römisch-katholischen,
des armenisch-katholischen und des griechisch-katholischen Ritus) ihren Sitz. In der Umgebung der Stadt erheben sich der Franz
Josephsberg mit Resten der alten Königsburg und Gartenanlagen, der Berg Leos, des Gründers von Lemberg
, der
St. Georgsberg etc. Ein besuchter Spaziergang ist der freundliche Kaiserwald mit einem Standbild
Josephs II.
Geschichte. Die Stadt wurde ursprünglich vom ruthenischen König Daniel für dessen Sohn Leo, Fürsten von Halicz, um 1259 gegründet
und 1261 von den Tataren zerstört, dann um 1270 an der heutigen Stelle wieder aufgebaut und zur Residenz
erwählt. Kasimir d. Gr. eroberte Lemberg
1340, verbrannte das alte fürstliche Schloß daselbst, ließ dafür zwei neue aufführen
und erweiterte die Stadt durch Anlegung neuer Stadtteile; auch führte er deutsche Kolonisten in ein, denen er eine Kirche
(Maria Schnee)
[* 16] bauen ließ, und verlieh der Stadt das Magdeburger Recht, worauf fast zwei Jahrhunderte (bis
auf Siegmund I., den Jagellonen) der Stadtrat Lembergs
in deutscher Sprache
[* 17] verhandelte.
Nach dem Tod Kasimirs d. Gr. (1370) folgte ihm sein Schwestersohn Ludwig, König von Ungarn,
[* 18] welcher Lemberg
samt Russien 1372 seinem
Verwandten Wladislaw, Fürsten von Oppeln,
[* 19] zur Verwaltung übertrug. Als Wladislaw 1387 auf die Verwaltung
Russiens verzichtete, wurde es von den Ungarn besetzt, doch bald durch Hedwig, die jüngere Tochter Ludwigs und Gemahlin Wladislaw
Jagiellos, mit Polen vereinigt. Den von Ludwig d. Gr. und Hedwig erteilten und von den folgenden polnischen Königen bestätigten
Handelsprivilegien verdankt Lemberg
seinen Wohlstand in den folgenden Jahrhunderten. 1412 wurde das 1375 in
Halicz errichtete römisch-katholische Erzbistum mit den Suffraganien in Przemysl und Chelm nach Lemberg
verlegt. Lemberg
blieb während
der ganzen polnischen Periode die Hauptstadt der »terrarum Russiae«, welche bis 1433 ihre
volle Autonomie besaßen. Es wurde ein wichtiges Emporium für den orientalischen Handel, besonders seit
infolge der Eroberung Konstantinopels durch die Türken die Seehandelswege gesperrt waren. Es verteidigte sich mutig gegen die
Litauer 1350, gegen die Walachen 1498, hielt mehrere Belagerungen aus, so 1648 und 1655 durch den Kosakenhetman Chmelnizky
und 1672
¶
mehr
durch die Türken; 1704 wurde es vom schwedischen König Karl XII. eingenommen. Bei der ersten Teilung Polens fiel Lemberg an Österreich. [* 21] In den Unruhen von 1848 erlitt die Stadt durch das Bombardement vom 2. Nov. bedeutenden Schaden.