Lehrling
,
Lehrling
swesen. Lehrlinge
sind junge Leute, welche sich für einen bestimmten
Beruf die zu demselben nötigen
elementaren Kenntnisse und Fertigkeiten während einer Lehrzeit erwerben wollen und zu diesem
Zweck mit
einem Lehrherrn in ein Vertragsverhältnis (Lehrvertrag) treten.
In dem Lehrvertrag verpflichtet sich der Lehrherr zu ordentlicher
Ausbildung des Lehrlings
, der Lehrling zu Arbeitsleistungen für den Lehrherrn. Im übrigen können Leistungen und Gegenleistungen
des Lehrlings
und Lehrherrn vertragsmäßig sehr verschieden bestimmt sein. Zu den Berufszweigen, welche noch heutzutage
eine solche
Ausbildung erfordern, gehören besonders der kaufmännische
Beruf, der höhere landwirtschaftliche
Beruf und der gewerbliche
Beruf im engern
Sinn.
Eine besondere Regelung des Lehrling
swesens ist namentlich geboten für die gewerblichen Lehrlinge. Von dem guten Zustand
des Lehrling
swesens, d. h. von der ordentlichen gewerblichen und moralischen
Ausbildung der Lehrlinge
, hängt hier nicht nur
die Zukunft der Lehrlinge, sondern auch der Zustand des Gewerbewesens in einem Land ab. Die für diese Lehrlinge notwendige
gewerbliche
Ausbildung ist teils eine theoretische, teils eine praktisch-technische. Jene ist in gewerblichen
Fachschulen,
diese in der Werkstätte
(Fabrik) zu geben.
Von den gewerblichen Fachschulen kommen hier in Betracht: die gewerblichen Mittelschulen (Baugewerks-, Maschinenbau-, Werkmeister- etc. Schulen), die allgemeinen Fortbildungsschulen, Kunstgewerbeschulen und besondere Lehrlingsschulen für einzelne Gewerbe. Für diese Schulen und für einen ordentlichen Unterricht in denselben sowie für eine Teilnahme der Lehrlinge an dem Unterricht zu sorgen, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Gewalt (Staat, Gemeinde) und der gewerblichen Korporationen.
Wichtiger aber als die theoretische Ausbildung ist die gute praktisch-technische Ausbildung der Lehrlinge. Soll sie herbeigeführt werden, so darf man sie, wie die Erfahrung vieler Länder, auch in Deutschland, [* 2] in unserm Jahrhundert gezeigt hat, nicht lediglich dem freien Vertrag und der Willkür der Einzelnen überlassen, sondern es muß die Sorge für dieselbe ebenfalls zur Aufgabe der öffentlichen Gewalt und zu einer korporativen Angelegenheit der Gewerbtreibenden gemacht werden. Es bedarf hier zunächst obrigkeitlicher Maßregeln teils der Gesetzgebung, teils der Verwaltung.
Zu den wichtigsten, unentbehrlichen gesetzlichen Vorschriften gehören:
1) das Erfordernis der rechtlichen Unbescholtenheit des Lehrherrn;
2) die obligatorische schriftliche Abfassung und Registrierung der Lehrverträge sowie die Aufstellung von Normativbestimmungen, welche für den Fall, daß die schriftliche Abfassung der Lehrverträge in unzureichender Form stattgefunden hat, ergänzend in Kraft [* 3] treten;
3) die Bestimmung der wesentlichen Erfordernisse des Lehrvertrags und die Regelung des Rechts der Beteiligten, denselben allenfalls vor Ablauf [* 4] der vertragsmäßigen Zeit aufzuheben;
4) die Festsetzung von
Strafen beim Lehrvertragsbruch gegen Thäter,
Anstifter, Teilnehmer und Begünstiger, insbesondere auch
gegen denjenigen, welcher einen Lehrling
, wissend, daß er entlaufen ist, in
Lehre
[* 5] oder
Arbeit nimmt oder behält;
5) ausreichende Schutzbestimmungen gegen eine mißbräuchliche (die Gesundheit, Sittlichkeit, Ausbildung gefährdende) Beschäftigung der Lehrlinge;
6) eine gesetzliche Probezeit;
7) die Möglichkeit, den Fortbildungs- oder Fachunterricht für Lehrlinge obligatorisch zu machen;
8) die Verpflichtung zur Erteilung eines amtlich zu beglaubigenden Lehrbriefs (Zeugnisses über die Dauer der Lehrzeit, über Betragen, Kenntnisse und Fertigkeiten des Lehrlings);
9) die Anweisung von Staatsmitteln für Prämien bei Ausstellung von Lehrlingsarbeiten;
10) die zweckmäßige Regelung des Innungswesens (s. Innungen). Die Verwaltung aber muß sorgen für besondere obrigkeitliche Organe, welche überall, wo das Bedürfnis vorhanden ist, örtlich für die einzelnen Gewerbe die wesentlichen Bestimmungen der Lehrverträge erlassen, die Beschäftigung und Ausbildung der Lehrlinge überwachen, für die Durchführung der Lehrverträge sorgen und etwanige Streitigkeiten entscheiden. Die Innungen als solche sind hierfür nicht die ausreichenden Organe; dieselben müssen aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern und einem von der Regierung ernannten Vorsitzenden zusammengesetzt sein.
Indes wenn auch die Vertretung der Staatsgewalt in ihnen unentbehrlich ist, müssen diese Organe doch in ihrer Einrichtung und Wirksamkeit mehr den Charakter von Organen der Selbstverwaltung erhalten. Unter Umständen muß die Staatsgewalt auch für die Errichtung von Lehrwerkstätten (s. d.) sorgen. Aber alle diese obrigkeitlichen Maßregeln können nur dann ihren Endzweck erreichen, wenn sie unterstützt werden durch eine energische, gemeinnützige Thätigkeit der Gewerbtreibenden selbst, wenn insbesondere Innungen und Gewerbevereine bestehen und für eine gute Ausbildung der Lehrlinge mit sorgen.
Sie haben vor allem darüber zu wachen, daß die Lehrherren ihre moralischen Pflichten gegen ihre Lehrlinge erfüllen und bestrebt sind, dieselben zu geschickten, tüchtigen Gesellen und zu braven, auf gewerbliche Ehre und Moral haltenden, von Gemeinsinn getragenen Gemeinde- und Staatsbürgern heranzubilden; sie müssen besondere Kommissionen zur Unterbringung von Lehrlingen bei geeigneten Lehrherren, zur Beaufsichtigung der von ihnen untergebrachten Lehrlinge und Arbeitsvermittelung für dieselben nach beendigter Lehrzeit etc. einsetzen, Lehrlingsprüfungen, Ausstellungen von Lehrlingsarbeiten mit Prämien veranstalten, Fachschulen für Lehrlinge errichten und leiten, unter Umständen Lehrwerkstätten gründen etc.
In keinem
Staat entspricht die
Fürsorge für das Lehrlingswesen
den vorstehenden Anforderungen, nirgends
ist daher auch der Zustand desselben ein befriedigender. In
Deutschland und ebenso in
Österreich
[* 6] ist
man in neuerer Zeit bestrebt,
eine Besserung herbeizuführen. In
Deutschland ist eine (freilich noch nicht ausreichende) Verbesserung der
Gesetzgebung durch
die Gewerbeordnungsnovelle vom (§ 126-133 der
Gewerbeordnung) und durch das Innungsgesetz
vom (ergänzt durch
Gesetz vom erfolgt.
Durch das
Gesetz von 1878 wurde insbesondere eine gesetzliche Probezeit von vier
Wochen eingeführt (§ 128) und ein
Schutz
gegen den
Bruch schriftlicher Lehrverträge gewährt (§ 130, 133). Über das Innungsgesetz s.
Innungen. In
Österreich ist
eine viel weiter gehende Bestimmungen enthaltende Änderung der
Gesetzgebung durch die
Gesetze vom und
vom bewirkt worden. In
Frankreich hatte die
Gesetzgebung von 1791 jede Regelung des Lehrlingsw
esens beseitigt. Aber
schon ein
Gesetz vom 22.
Germinal XI schränkte die unbedingte
Freiheit ein, insofern durch dasselbe bestimmt
¶
mehr
wurde, in welchen Fällen allein der Lehrvertrag von der einen oder andern Seite aufgelöst werden dürfe, ferner, daß der Meister dem Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit ein Entlassungszeugnis zu geben habe und kein Meister den Lehrling eines andern ohne ein Entlassungszeugnis annehmen dürfe. Eine weitere eingehende Regelung erfolgte durch das Gesetz vom Es machte nicht die Schriftlichkeit des Lehrvertrags obligatorisch, erschwerte aber den Beweis nur mündlich abgeschlossener Verträge.
Dagegen verbot es unter anderm gewissen Personen, Lehrlinge zu halten, setzte eine Maximalarbeitszeit für Lehrlinge unter 16 Jahren
fest, verbot für diese die Sonntags- und Nachtarbeit, regelte die Rechte und Pflichten beider Teile, führte
eine Probezeit von zwei Monaten ein, bestimmte neu die Fälle, in denen der Lehrvertrag teils ipso jure aufgelöst sei, teils
einseitig aufgelöst werden könne, machte Arbeitgeber, die Lehrlinge ihrem Meister abwendig machen, um sie zu beschäftigen,
für die dem verlassenen Meister zuerkannte Entschädigung haftbar etc. In England ist aus der frühern
weitgehenden obrigkeitlichen Regelung des Lehrlingsw
esens nur noch eine polizeiliche Jurisdiktion über das Lehrlingsverhältnis
übriggeblieben.
Der Lehrvertragsbruch ist strafbar.
Vgl. die Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 10: »Die Reform des Lehrlingsw
esens«
(16 Gutachten und Berichte, Leipz. 1875),
Bd. 11: »Verhandlungen über die Reform des Lehrlingsw
esens« (1875),
Bd. 14: »Verhandlungen über die Reform der Gewerbeordnung« (1878),
Bd. 15: »Das gewerbliche Fortbildungswesen« (1879);
Dannenberg, Das deutsche Handwerk etc. (Leipz. 1872);
Schönberg, Zur Handwerkerfrage (Heidelb. 1876);
J. ^[Julius] Schulze, Das heutige gewerbliche Lehrlingswesen
(Leipz. 1876);
J. ^[Julius] Keller, Das deutsche Handwerk etc. (2. Aufl., Chemnitz [* 8] 1878);
Derselbe, Das Lehrlingswesen
(Landsb. 1876);
Bobertag, Die Handwerkerfrage (Bernstadt 1880);
Bücher, Die gewerbliche Bildungsfrage etc. (Eisenach [* 9] 1877);
Marchet, Die Aufgabe der gewerblichen Gesetzgebung (Weim. 1877);
Schönberg, Artikel »Gewerbe«, Teil 1, im »Handbuch der politischen Ökonomie«, Bd. 2 (2. Aufl., Tübing. 1886), dort auch weitere Litteratur.