(Distomum Retz.), Eingeweidewurm aus der zu den Platoden (s. d.) oder Plattwürmern gehörigen Ordnung der Trematoden
oder Saugwürmer. Die Familie der Distomeen (Distomidae) oder Doppellöcher zeichnet sich durch den Besitz
zweier Saugnäpfe aus, von denen der zum Mund führende vorn, der andre in der Mitte des Bauches gelegen ist. Von großem Interesse
ist die eigentümliche Art der Entwickelung, die indessen erst bei einem geringen Teil der Gruppe genau
bekannt ist.
Die verhältnismäßig kleinen Eier werden an feuchte Plätze oder ins Wasser abgelegt; aus ihnen schlüpfen wimperlose oder
bewimperte Larven, welche gewöhnlich in eine Schnecke einwandern und sich in ihr zu sogen. Keimschläuchen umgestalten. Diese,
entweder ohne oder mit Mund und Darm (sogen. Sporocysten, resp. Redien), erzeugen in sich entweder erst eine
zweite Generation von Keimschläuchen oder mit Ausfall derselben direkt die sogen. Cerkarien, d. h. geschwänzte Larven, die
früher allgemein für besondere Würmer gehalten wurden und auch, abgesehen vom Mangel der Geschlechtsorgane, den erwachsenen
Leberegeln schon ähnlich sind. In solcher Form verlassen sie die Keimschläuche (auch Ammen genannt) und
deren Wirt und suchen im Wasser neue Tiere (Schnecken, Würmer, Krebse etc.), um mit Hilfe ihres Schwanzes sich in dieselben einzubohren
und sich darin einzukapseln.
Gelangt dann dieser zweite Wirt in den Magen eines dritten, so löst sich die Kapsel (Cyste) auf, und das Distomum kriecht in
das bestimmte Organ (Leber, Darm, Harnblase) hinein; hier erst wird
es geschlechtsreif. Es ist also der ganze
Entwickelungscyklus an drei Wirte gebunden und somit von vielen Zufälligkeiten abhängig; doch werden diese wieder dadurch
ausgeglichen, daß in der angegebenen Weise aus einem einzigen Ei sehr viele Individuen hervorgehen. Übrigens zeigen sich
bei den verschiedenen Arten der Distomeen Vereinfachungen oder auch Verwickelungen des geschilderten Vorganges.
Die bekannteste Art ist der Leberegel (D. hepaticum s. Tafel »Würmer«) von etwa 3 cm Länge. Er lebt in den Gallengängen des Schafs
und andrer Haustiere, auch der Hasen und Hirsche, und erzeugt die sogen. Leberegelkrankheit (s. d.). Auch im
Menschen kommt er gelegentlich vor, dringt sogar in die Pfortader und in das Gebiet der Hohlvene ein, verursacht große Beschwerden
und führt zuweilen den Tod herbei. Man kennt von ihm nur die erste Larvenform, nicht aber Amme und Cerkarie. D. lanceolatum
Mehlis, 8-9 mm lang, dem vorigen ähnlich, kommt mit ihm zusammen vor und verursacht dieselben Erscheinungen.
Über seine Entwickelung weiß man nichts; doch ist sicher, daß die Schafe die Larven auf versumpften oder doch feuchten Stellen,
an Wassertümpeln etc. aufnehmen. D. haematobium Bilh.
ist getrenntgeschlechtig, das Weibchen schmächtig, cylindrisch, das Männchen mit starken Saugnäpfen und rinnenartig umgeschlagenen
Seitenrändern, welche einen Kanal zur Aufnahme des Weibchens bilden. Je ein Männchen und Weibchen leben
vereint in der Pfortader, Milz, den Darm- und Harnblasenvenen der Abessinier und verursachen bösartige Entzündungen der Harnorgane
und des Darms. D. crassum Mehlis lebt im Darm der Chinesen.
Vgl. Leuckart, Die menschlichen Parasiten (2. Aufl., Leipz. 1879 ff.);
Derselbe, Allgemeine Naturgeschichte der Parasiten (das. 1879).
Den Bemühungen Leuckarts ist es gelungen, den Entwickelungsgang dieses gefürchteten Parasiten des Hornviehs,
namentlich der Schafe, klarzulegen und als Zwischenwirt eine kleine Sumpfschnecke (Limnaeus minutus) nachzuweisen. Die erste,
das Ei verlassende Larvenform des Leberegels stellt ein bewimpertes, infusorienartiges Geschöpf dar, welches einige
Zeitlang frei umherschwimmt, um dann in die kleine Sumpfschnecke
einzuwandern; die Larven befestigen sich mit Hilfe des lang
ausgezogenen Kopfzapfens aller Orten an der freien Körperoberfläche der Schnecken und dringen durch fortwährende Bohrbewegungen
allmählich ein.
Bald nach der Einwanderung wandeln sich die Embryos unter Verlust des Darmes in Keimschläuche (Sporocysten)
um, in welchen dann die Ammenform entsteht, die sogen. Redien. Diese sind im Anfang sehr beweglich und dringen, zum Teil mit
Benutzung der Blutwege, in die Leibeshöhle ihrer Wirte bis tief in die Leber, die ihren Lieblingsaufenthaltsort bildet; der
Leib ist ziemlich schlank und zeigt einen Kopfteil, ein Mittelstück und ein Schwanzende. Nach 6-7 Wochen
(im Sommer) hat sich im Körper dieser Redien eine reichliche Brut der als Cercarien bekannten Larven entwickelt.
Die Cercarie des Leberegels besitzt einen ziemlich platten Leib, der im Ruhezustand eine gleichmäßig ovale Form hat, dieselbe
aber auf das mannigfaltigste zu ändern vermag, namentlich beim Kriechen, welches durch alternierende
Befestigung der eine entschieden ventrale Lage besitzenden Saugnäpfe geschieht. Dem ca. 0,26 mm langen Leib fügt sich ein 0,5
mm langer Schwanz an. Diese Cercarien verlassen aktiv die Schnecke, um sich nach Abwerfung des Schwanzes sofort an irgend einem
beliebigen Objekt, mit welchem sie in Berührung kommen, durch Ausscheidung einer undurchsichtigen Körnermasse
zu verkapseln; sie suchen also nicht wie die Cercarien verwandter Formen nochmals ein andres Tier auf.
Indem die an Grashalmen etc. anklebenden eingekapselten Cercarien von weidendem Vieh gefressen
werden, erfolgt die Infektion. Auf die geschilderte Weise der Entwickelung produziert ein Embryo des Leberegels, der im
Laufe des Frühlings in eine Schnecke einwandert, durch Hilfe der Zwischengeneration bis zum Herbst durchschnittlich etwa 300-400
Cercarien, indem die aus dem Embryo entstehende Sporocyste sechs Redien erzeugt und jede Redie etwa 60 Cercarien entwickelt.
Wandern aber die Wimperlarven spät ein, so daß die Redien überwintern, so steigt diese Zahl vielleicht
um das Zehnfache, indem die Redien nicht gleich die Cercarien, sondern zunächst wieder eine Redienbrut hervorbringen und
erst aus dieser wiederum die letzte Larvenform, die Cercarien, entsteht. Als gefährdete Gegenden für die Leberegelkrankheit
der Schafe sind also alle feuchten Weiden anzusehen, auf denen Limnaeus minutus vorkommt; bei der Vermehrung
dieser Schnecken und dadurch auch der Brut des Leberegels kann auch die Witterung eine große Rolle spielen, so daß man von Distomumjahren
spricht; es gingen z. B. 1873 in Elsaß-Lothringen der dritte Teil aller Schafe im Werte von 1,150,000 Frank an der Leberegelkrankheit
zu Grunde, und 1882 starben hieran in den südlichen Provinzen von Buenos Ayres nicht weniger als 1 Mill.
Schafe.
Die geographische Verbreitung der Schnecke, von welcher wenigstens in der alten Welt das Auftreten der Leberegelkrankheit abhängt,
ist eine außerordentlich weite; sie ist bekannt nicht bloß aus allen Ländern Europas, von Lappland und Rußland an, sondern
auch aus Asien, besonders Nordasien und Afrika (den Mittelmeerländern und Abessinien). In der Neuen Welt
ist allerdings diese Schnecke bis jetzt noch nicht gesunden worden, obwohl der Leberegel daselbst zum Teil sogar häufig vorkommt;
allein es sind von da Formen beschrieben, wie Limnaeus humilis Say aus Nordamerika, Leberegel viator d'Orb. von den La
Plata-Staaten, die kaum spezifisch von Leberegel minutus abweichen, so daß sich in der Neuen Welt bei genauer Untersuchung jedenfalls
diese Formen als Träger des
mehr
Parasiten erweisen werden. Bei dem ebenfalls im Schafe vorkommenden kleinen Leberegel, Distomum lanceolatum, wird die Embryonalentwickelung
im Innern des mütterlichen Körpers durchlaufen, so daß die nach außen abgelegten Eier bereits einen vollständig ausgebildeten
Embryo enthalten. Diese Embryos schlüpfen im Freien überhaupt nicht aus, sondern erst, wenn die Eier in den
Darm eines geeigneten Zwischenträgers gelangen; die Übertragung braucht aber nicht unmittelbar nach dem Ablegen der Eier zu
geschehen, sondern die Embryos behalten lange ihre Entwickelungsfähigkeit.
Welches Tier aber der Zwischenwirt ist, der die Eier mit den Embryos des kleinen Leberegels aufnimmt, ist noch unbekannt. Experimente,
die Leuckart mit Sumpf-, Nackt- und selbst Landschnecken anstellte, führten zu keinem Resultat; jedenfalls
ist es ein auf feuchten Wiesen und Triften verbreitetes Tier, da der kleine Leberegel zusammen mit dem großen Leberegel in Schafen, die auf
solchen Weiden leben, vorkommt.
Vgl. Leuckart, Die Parasiten des Menschen (2. Aufl., Leipz. 1879-89).