Lebensbeschreibung
(Biographie) bezeichnet im höhern Sinne nicht die bloße Schilderung des äußern Lebensganges eines Menschen, sondern die mit Erzählung der Schicksale und Thaten eines Individuums verbundene und mit historischer Kunst ausgeführte Darstellung seiner geistigen und sittlichen Entwickelung. So aufgefaßt, bildet die Biographik einen Zweig der Geschichtschreibung, und alle Anforderungen, welche die Wissenschaft an die übrigen Gattungen der historischen Darstellung macht: vollständige Kenntnis und Beherrschung des Stoffes, strenge Wahrheitsliebe, Reife und möglichste Parteilosigkeit des Urteils sowie nicht minder genaue Bekanntschaft mit den Zeitverhältnissen, in welchen der Betreffende lebte, und unter deren Einwirkung er stand, endlich künstlerisch schöne Form der Darstellung, werden auch an eine gute Lebensbeschreibung gestellt. Es folgt daraus von selbst, daß eine Biographie in diesem Sinne nur Personen zum Gegenstand haben kann, welche durch ihre Stellung im Leben, durch hervorragende Verdienste, durch sittliche Vorzüge oder durch denkwürdige Schicksale als besonders ausgezeichnet dastehen und ein allgemeineres menschliches Interesse erregen. Da übrigens jeder Biograph seinen Mann nur darstellen kann, wie er ihn aufzufassen vermag, so ist, um letzterm gerecht zu werden, ein gewisser Grad von geistiger Verwandtschaft zwischen dem Biographen und seinem Helden erforderlich, und je geistig höher der Darzustellende steht, desto schwieriger ist die Aufgabe, eine gute Biographie von ihm zu geben. - Eine besondere Art der ist die Auto- oder Selbstbiographie, bei welcher das Individuum die Darstellung seines Entwickelungsganges selbst gibt, also sein eigner Geschichtschreiber ist.
Eins der merkwürdigsten Beispiele dieser Art von Selbstschilderungen, welche einen seltenen Grad von Selbsterkenntnis und noch mehr Wahrheitsliebe erfordern, sind die »Confessions« Rousseaus, vor deren Offenheit man oft zurückschrickt, während Goethes »Wahrheit und Dichtung« zu der Gattung von Lebensbeschreibungen gehört, welche, um sich dem Kunstwerk zu nähern, weniger das Einzelne in das Auge faßt, als vielmehr das Ganze der geistigen Wirksamkeit des Individuums ideell darstellt. Schriften biographischer Art finden wir bereits bei den Alten; es sei hier nur an Tacitus' Biographie des Agricola, an Curtius'
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Lebensbeschreibung Alexanders d. Gr., an Plutarch erinnert. Im Mittelalter waren fast ausschließlich Heilige Gegenstand biographischer Darstellung, bis dann im 16. Jahrh. die biographische Litteratur (in Deutschland mit den dürftigen, aber interessanten Autobiographien eines Götz v. Berlichingen, Thomas Platter, Hans v. Schweinichen etc.) zu neuem Leben erwachte und sich in der Folge bei allen Kulturvölkern zu einem kaum zu übersehenden Reichtum entfaltete, wenn auch nur der kleinere Teil der betreffenden Schriften, die teils in Biographien Einzelner, teils in Sammlungen von Lebensbeschreibungen bestehen, nach Inhalt oder Form Anspruch an litterarhistorische Bedeutung erheben kann. - Die biographischen Sammelwerke (meist alphabetisch angelegt) sind in Hinsicht auf Ausführlichkeit und Stoffbegrenzung sehr verschieden und zwar teils allgemeiner Natur (ausgezeichnete Persönlichkeiten aller Zeiten und Völker umfassend), teils auf gewisse Zeiträume, einzelne Länder oder bestimmte Berufsarten (Künstler-, Gelehrten-, Schriftstellerlexika etc.) beschränkt. Zu den namhaftesten größern Sammlungen der allgemeinen Art gehören, von einigen ältern Werken abgesehen: Bayles »Dictionnaire historique« (1697 ff.; zuletzt Par. 1820, 16 Bde.),
Michauds »Biographie universelle« (das. 1811-52, 52 Bde.; 3. Aufl. 1870 ff.),
Höfers »Nouvelle biographie générale« (das. 1851-66, 46 Bde.) und »Der neue Plutarch« (hrsg. von Gottschall, Leipz. 1874-1885, Bd. 1-11),
welcher die Zeit von der Reformation bis zur Gegenwart umfaßt;
sodann von Spezialwerken für einzelne Länder: für England Stephens' auf 50 Bände berechnetes »Dictionary of national biography« (Lond. 1884 ff.);
für Belgien die »Biographie nationale« (Brüss. 1866 ff.);
für Italien Tipaldos »Biografia degli Italiani illustri« (Venedig 1834-35, 10 Bde.),
Sargatos »Memorie funebri antiche e recenti« (Padua 1856-62, 6 Bde.),
Cantus »Italiani illustri« (3. Aufl., Mail. 1876, 3 Bde.);
für Spanien Quintanas »Vidas de Españoles celebres« (1827 u. öfter, 2 Bde.);
für Holland van der Aas »Biographisch Woordenboek der Nederlanden«;
für Schweden Palmblads »Biographiskt lexikon ofver ^[richtig: öfver] svenska män« (Upsala 1835-57, 23 Bde.; neue Folge 1857-68),
Hofbergs »Svenskt biographiskt lexikon« (Stockh. 1876, 2 Bde.);
für Amerika Sparks' »Library of American biography« (Bost. 1834-48, 25 Bde.),
Pereira da Silvas »Plutarco brasileiro« (1847, 2 Bde.);
für Deutschland die »Zeitgenossen« (Leipz. 1816-41, 18 Bde.),
der »Nekrolog« und »Neue Nekrolog der Deutschen« (Weim. 1803-54, 30 Bde.),
Wurzbachs »Biographisches Lexikon des österreichischen Kaisertums« (Wien 1857 ff., bis jetzt 55 Bde.) und besonders die von der Historischen Kommission in München durch v. Liliencron und Wegele herausgegebene »Allgemeine deutsche Biographie« (Leipz. 1875 ff., bis jetzt 25 Bde.).
Brauchbare kleinere Handbücher dieser Art sind: Cates' »Dictionary of general biography« (4. Aufl., Lond. 1885),
Godwins »Cyclopedia of biography« (neue Ausg., New York 1878),
Vapereaus »Dictionnaire universel des contemporains« (5. Aufl., Par. 1880, 2 Bde.),
»The men of the time« (12. Aufl., Lond. 1887) u. a.
Vgl. Öttinger, Bibliographie biographique (2. Aufl., Brüss. 1854, 2 Bde.).