Lavater,
1) Johann Kaspar, eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten der deutschen Sturm- und Drangperiode, geb. 15. Nov. 1741 zu Zürich als Sohn eines Arztes, besuchte seit 1754 das akademische Gymnasium seiner Vaterstadt, wo Bodmer und Breitinger seine Lehrer waren, und nahm, für den geistlichen Stand bestimmt, frühzeitig eine asketisch-mystische Richtung an, der er im wesentlichen sein ganzes Leben lang treu blieb. Einen Beweis kühnen Muts legte er um jene Zeit durch eine Schrift gegen das tyrannische und ungerechte Treiben des Landvogts Grebel (1762) ab, welche großes Aufsehen machte, ihm aber zugleich die Feindschaft der ganzen Züricher Aristokratie zuzog. Darauf unternahm er (1763) mit seinem Freund H. Füßli eine Reise nach Norddeutschland, um sich bei dem Prediger Spalding zu Barth in Schwedisch-Pommern für das geistliche Amt weiter auszubilden, ward auf derselben mit vielen bedeutenden Männern jener Zeit (darunter Sulzer, Ernesti, Gellert, Öser, Moses Mendelssohn, Klopstock, Jerusalem, Moser) bekannt und begann in Barth, wo er acht Monate zubrachte, seine schriftstellerische Laufbahn zunächst mit kritischen Arbeiten. Auch dichtete er damals seine berühmten »Schweizerlieder«, welche erst später (Bern 1767) im Druck erschienen. Nach seiner Rückkehr nach Zürich (1764) durch seine glänzende Beredsamkeit als Prediger Aufsehen erregend, wurde er 1769 Diakonus und 1775 Pastor an der Waisenhauskirche daselbst, 1778 Diakon und 1786 Pastor an der Peterskirche und zugleich Mitglied des Konsistoriums. 1786 unternahm er eine Reise zu seinen Freunden nach Bremen, 1793 auf des Ministers Bernstorff Einladung eine solche nach Kopenhagen, auf der er überall mit größter Auszeichnung empfangen wurde. Die letzten Jahre seines Lebens wurden ihm durch die politischen Ereignisse vielfach getrübt. Den harten Maßregeln seiner Kantonalregierung ebenso mutig entgegentretend wie den Übergriffen der Demokratie und den Gewaltthaten des französischen Direktoriums, kam er bei der helvetischen Regierung in den Verdacht eines Einverständnisses mit Rußland und Österreich und wurde infolgedessen 16. Mai 1799 verhaftet und nach Basel deportiert. Am 10. Juni wieder in Freiheit gesetzt und nach Zürich zurückgekehrt, ward er, als er bei der Eroberung der Stadt durch Masséna 26. Sept. d. J. den verwundeten Soldaten auf der Straße Hilfe leistete, von einer feindlichen Kugel getroffen, infolgedessen er nach langen und schweren Leiden 2. Jan. 1801 starb. In Lavaters Wesen waren die merkwürdigsten Gegensätze vereinigt. Er besaß eine schrankenlose Phantasie und zugleich tiefe Gemütlichkeit, war genial und voll poetischer Stimmungen, aber ohne rechte Gestaltungskraft und ohne künstlerische Mäßigung; ideenreich und von scharfer Beobachtungsgabe, aber ohne Ruhe und Klarheit; von Natur fromm und gläubig, doch nicht gewissenhaft in der Wahl der Mittel, wenn es galt, seine Zwecke zu erreichen; ein Schwärmer und bekehrungssüchtig, aber tolerant und für alles
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Neue und Gute empfänglich, thätig und aufopfernd für das Wohl seiner Nebenmenschen. Sein Stil ist wie er selbst: leidenschaftlich und abenteuerlich, aber kraftvoll und im einzelnen oft äußerst glücklich und begeisternd. Aus diesem seinem widerspruchsvollen Wesen erklärt es sich, daß viele, wie z. B. Biester und Nicolai in Berlin, seine asketische Richtung für Jesuitismus hielten und die schärfsten Angriffe gegen ihn richteten, wie er auch anderseits durch seine Parteinahme für Leute wie Gaßner, Christ. Kaufmann, Cagliostro sich große Mißhelligkeiten bereitete. In Wahrheit war, wie besonders aus seinen »Christlichen Liedern« (erstes Hundert, Zürich 1771; zweites Hundert, das. 1780) hervorgeht, sein Hauptbestreben dahin gerichtet, den neuen philosophischen Ideen entgegenzuwirken. Dieselbe (im wesentlichen Klopstocksche) Richtung verfolgt er in seinen übrigen poetischen Werken, so in dem Drama »Abraham und Isaak« (1776), den Epen: »Jesus Messias, oder die Zukunft des Herrn« (1780), »Joseph von Arimathia« (1794) etc., die freilich in Bezug auf Kunstwert wenig bedeuten. Unter seinen asketischen Schriften sind die »Aussichten in die Ewigkeit« (Zürich 1768-78, 4 Bde.) hervorzuheben, Träume und Visionen über den Zustand nach dem Tode; dann »Geheimes Tagebuch von einem Beobachter seiner selbst« (Leipz. 1772-73, 2 Tle., deren erster anonym erschien); »Pontius Pilatus, oder der Mensch in allen Gestalten, oder Höhe und Tiefe der Menschheit, oder die Bibel im kleinen und der Mensch im großen, oder ein Universal-Ecce-Homo, oder Alles in Einem« (Zürich 1782-85, 4 Bde.); ferner »Handbibliothek für Freunde« (o. O. 1790-94, 24 Bde.); »Wort eines freien Schweizers an die große Nation« (Zürich 1798); »Freimütige Briefe über das Deportationswesen und seine eigne Deportation nach Basel" (Winterth. 1800-1801, 2 Bde.). Seine »Predigten über das Buch Jonas« und »Über die Liebe«, die »Handbibel« u. a. gehören zu den vortrefflichsten Erbauungsschriften. Am berühmtesten ward Lavater durch seine Ideen über Physiognomik, die er gleichsam zu einer Wissenschaft vom innern Menschen zu erheben suchte. Sein hierauf bezügliches Werk »Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe« (Leipz. 1775-78, 4 »Versuche«) übte eine unglaubliche Wirkung auf seine Zeitgenossen aus und fand auf der einen Seite ebenso begeisterte und beifällige Aufnahme, z. B. bei Goethe (den Lavater 1774 auf einer Reise an den Rhein kennen gelernt hatte, und mit dem er eine Reihe von Jahren in intimem Verkehr stand), Stolberg, Jacobi, Merck etc. (auch in England und Frankreich hatte es zahlreiche Bewunderer), wie es von andern, z. B. von Lichtenberg, Musäus, Nicolai, auf das heftigste angegriffen wurde. Lavater selbst gab seine »Vermischten Schriften« (Winterth. 1774-81, 2 Bde.) sowie seine »Sämtlichen kleinern prosaischen Schriften« (das. 1784-85, 3 Bde.), Geßner »Lavaters nachgelassene Schriften« (Zürich 1801-1802, 5 Bde.) und Orelli »Lavaters ausgewählte Schriften« (das. 1841 bis 1844, 8 Bdchn.) heraus. Lavaters Briefwechsel mit der Kaiserin von Rußland, der Mutter Alexanders I., erschien Petersburg 1858, 2 Bde.; »Briefe von Goethe an aus den Jahren 1774-83« gab H. Hirzel (Leipz. 1833) heraus. Vgl. Geßner, Lavaters Lebensbeschreibung (Zürich 1802, 3 Bde.); Hegner, Beiträge zur nähern Kenntnis und wahren Darstellung Lavaters (Leipz. 1836); Bodemann, J. K. Lavater nach seinem Leben, Lehren und Wirken dargestellt (2. Aufl., Gotha 1877); Muncker, Joh. Kasp. Lavater (Stuttg. 1883); Steck, Goethe und Lavater (Basel 1884).
2) Louis, Pseudonym, s. Spach.