Lautversch
iebung.
Vergleicht man ein beliebiges englisches oder niederdeutsches, holländisches, schwedisches, dänisches, isländisches, gotisches Wort, das den tönenden Zungenlaut d enthält, mit dem entsprechenden deutschen Wort, so wird man in dem letztern statt eines d in der Regel ein t finden. So stehen dem englischen dance, day, deep im Deutschen die Wortformen Tanz, Tag, tief gegenüber. Ferner wird der tonlose Dental t des Englischen etc. im Deutschen gewöhnlich durch z oder ß, drittens das gelispelte th meist durch d vertreten, z. B. im englischen tin, foot, bath gegenüber dem deutschen Zinn, Fuß, Bad. [* 2]
Wie sich hierin das Hochdeutsche zum Englischen und den andern niederdeutschen sowie den skandinavischen Sprachen verhält, so verhalten sich diese Sprachen ihrerseits zum Griechischen, Latein, Sanskrit, überhaupt zu allen übrigen Familien des indogermanischen Sprachstammes (s. Indogermanen). Und ferner findet eine ganz analoge Vertauschung bei den gutturalen und labialen Konsonanten der indogermanischen Sprachen statt. Wir führen zunächst drei Beispiele für die Verwandlung der Dentale an, weil sie bei diesen am konsequentesten durchgeführt ist:
1) | Sanskr.: | tad. | ||||
2) | Engl.: | that. | Griech.: | thyra. | ||
3) | Deutsch: | das. | Engl.: | door. | Lat.: | dent-em. |
1) | Deutsch: | T(h)or. | Engl.: | tooth. | ||
2) | Deutsch: | Zahn. |
Die
Zahlen
beziehen sich nur auf den anlautenden
Konsonanten in diesen Wörtern, der im
Englischen etc.
jedesmal um eine
Stufe, im
Hochdeutschen um zwei
Stufen verschoben ist.
Daher gab
Grimm, der eigentliche Entdecker dieses Lautwechsels,
ihm den
Namen Lautversch
iebung; in
England wird es gewöhnlich
Grimm's law
(»Grimms
Gesetz«) schlechthin genannt. Bei den
Gutturalen und
Labialen
findet sich nur die erste
Stufe der Lautversch
iebung durchgehends, d. h. die niederdeutschen und nordischen
Sprachen haben g, h, k und b, f, p, wo im
Griechischen,
Lateinischen,
Sanskrit,
Slawischen und
Keltischen gh (h, ch, g), k (c,
p), g und bh (b, f),
p, b steht; auf der zweiten, d. h. hochdeutschen,
Stufe wird das so entstandene k
und p, wenigstens im Inlaut,
in ch und f oder
pf verwandelt, aber die andern
Laute bleiben, abgesehen von mundartlichen Besonderheiten,
so, wie wir sie im
Niederdeutschen und
Nordischen finden. So wird griechisch megal-e im
Gotischen zu mikil (vgl. engl. much),
im
Mittelhochdeutschen zu michel (»groß, viel«);
für schlafen finden wir im
Gotischen slepan, im
Englischen to sleep.
Anderseits findet sich z. B. in
Horn das niederdeutsche h (got. haurn, engl. horn), in
Buche das niederdeutsche b (got. bôka,
engl. beech) bewahrt; aber die andern indogermanischen
Sprachen zeigen im ersten
Fall ein k (lat. cornu, griech. keras),
im zweiten
Fall ein f (lat. fagus, griech. phegos). In dieser
Weise pflegte die Lautversch
iebung bis in die neueste Zeit herein dargestellt
zu werden, wobei jedoch die innern
Gründe dieses ausgedehnten Lautwechsels sowohl als die zahlreichen Ausnahmen von demselben
unaufgeklärt blieben.
Verstand - Versteigeru
![Bild 66.297: Verstand - Versteigerung [unkorrigiert] Bild 66.297: Verstand - Versteigerung [unkorrigiert]](/meyers/thumb/66/66_0297.jpeg)
* 3
Verstärkung.
Die Sprachforschung der Gegenwart hat die Lautversch
iebung in eine
Reihe von Einzelvorgängen aufgelöst, welche teils
durch die Entstehung von Reibungsgeräuschen nach tonlosen
Lauten (also Übergang des p in
pf, des t in ts etc.), teils durch
Verstärkung
[* 3] der Exspiration (daher Übergang des g, d,
b in k, t, p), teils durch den Einfluß des
Accents (Vernersches
Gesetz),
teils durch andre, auch sonst in der
Sprache
[* 4] nachweisbare lautliche
Erscheinungen hervorgerufen worden
sind. Die Bedeutung der Lautversch
iebung als wichtigsten
Lautgesetzes der germanischen
Sprachen wird hierdurch nicht alteriert.
Vgl. R. v.
Raumer, Aspiration und Lautversch
iebung (Leipz. 1837);
Kräuter, Zur Lautversch
iebung (Straßb. 1877);
Verner, Eine Ausnahme der deutschen Lautversch
iebung (in
Kuhns
»Zeitschrift
für vergleichende Sprachforschung«, Bd.
23);
Brugmann, Grundriß der vergleichenden Grammatik, Bd. 1 (Leipz. 1886).