Laokŏon,
ein der nachhomerischen
Sage angehörender
Trojaner,
Priester des
Apollon,
[* 2] warnte die
Trojaner vor dem hölzernen
Pferd,
[* 3] welches die Griechen bei ihrem scheinbaren Abzug von
Troja
[* 4] zurückgelassen hatten, und schleuderte seine
Lanze in dessen
Seite. Aber der Gefangene Sinon wußte den
Verdacht von dem
Pferd abzulenken. Während dann Laokoon
als Stellvertreter
des abwesenden Poseidonpriesters dem Meeresgott am
Ufer ein
Opfer darbrachte, kamen, von
Apollon gesandt, von
Tenedos her zwei
Schlangen
[* 5] herangeschwommen, erwürgten den Laokoon
nebst seinen zwei
Söhnen, die als Opferknaben dienten, und bargen sich alsdann
im
Tempel
[* 6] der
Athene
[* 7] unter dem
Schilde der
Göttin.
Durch diesen wunderbaren Vorgang sahen die Trojaner wie durch ein Gottesurteil die Angaben Sinons über die Heiligkeit des hölzernen Pferdes bestätigt und zogen es in die Stadt, so ihren Untergang selbst beschleunigend. Die älteste (epische) Behandlung des Stoffes hatte Arktinos von Milet in seiner (nicht erhaltenen) »Iliupersis« gegeben. Sophokles hat die Sage zu einer Tragödie verarbeitet, die aber verloren gegangen ist. Wir besitzen nur die romantisch ausgeschmückte Schilderung Vergils in seiner »Äneide«. Am bekanntesten wurde die Fabel durch die noch vorhandene, den Tod des Priesters und seiner Söhne darstellende Gruppe des (s. Tafel »Bildhauerkunst [* 8] II«, [* 9] Fig. 8), die, von den rhodischen Bildhauern Agesandros, Polydoros und Athenodoros gefertigt, zu den berühmtesten und vollendetsten unter den uns erhaltenen Werken der alten Kunst gehört.
Das Bildwerk, aus weißem großkörnigen Marmor (Salino) in Überlebensgröße gearbeitet und durch tief durchdachte Komposition, Schönheit der Modellierung, anatomische Richtigkeit des Muskelspiels, Wahrheit des schmerzvollen Ausdrucks ausgezeichnet, während die Ausführung die volle Frische griechischer Arbeit vermissen läßt, stand ehedem in dem Haus des Kaisers Titus und ward 1506 unter dem Schutte des Jahrhunderte alten Trümmerwerks in dem Gewölbe [* 10] eines Saals entdeckt, der ein Teil der Bäder des Titus gewesen zu sein scheint.
Papst Julius II. kaufte dem Finder das Kunstwerk gegen ein Jahrgeld ab und stellte es im Belvedere des Vatikans auf. Von hier wanderte die Gruppe 1796 als ein Triumphstück Bonapartes nach Paris, [* 11] kehrte aber 1815 nach Rom [* 12] zurück. Übrigens besteht das Ganze weder, wie Plinius berichtet, aus einem, noch, wie Winckelmann bemerkt, aus zwei, sondern, wie neuere Forschungen dargethan haben, aus fünf Stücken. Der rechte Arm des und des jüngern Knaben fehlen; sie sind unter Clemens VII. von Montorsoli, später von Cornachini (im 17. Jahrh.), aber falsch, ergänzt worden; sie müßten beide (wie auf unsrer Tafel angegeben ist) im spitzen Winkel [* 13] einwärts gekrümmt sein.
Über die Entstehungszeit der
Gruppe ist lange Zeit gestritten worden. Während
Winckelmann dieselbe in die Zeit
Alexanders
d. Gr. hinaufrückt, versetzten sie
Welcker, O.
Müller und
Brunn in die
Blütezeit der rhodischen
Kunstschule (147
v. Chr.),
Thiersch,
Hermann und
Friederichs in die erste Kaiserzeit. Jetzt ist
man in der
Anerkennung ihres hellenistischen Ursprungs
ziemlich einig, um so mehr, als das
Motiv des Laokoon
bereits in einer Gigantenfigur des pergamenischen
Frieses vorkommt, welcher
derselben
Epoche und Stilrichtung angehört, zugleich aber so viel frischere
Arbeit zeigt, daß die Originalität der vatikanischen
Gruppe jetzt vielfachem
Zweifel begegnet.
Eine
Kopie von
Baccio
Bandinelli besitzt die
Florentiner
[* 14]
Galerie. Von der Laokoon
gruppe nahm
Lessing (s. d.)
den
Anlaß zu seinem klassischen Werk »Laokoon
, oder über die
Grenzen
[* 15] der
Malerei und
Poesie« (Berl. 1763).
Vgl.
Bernoulli, Über
die Laokoon
gruppe (Basel
[* 16] 1863);
Brunn, Geschichte der griechischen Künstler, Bd. 1 (Stuttg. 1853);
Kekulé, Zur Deutung und Zeitbestimmung des Laokoon
(das. 1883).
Die vollständige Litteratur verzeichnet
Blümner in seiner
Ausgabe von
Lessings »Laokoon«
(2. Aufl., Berl.
1880) im Anhang.