Landwirtsc
haftliche
Vereine
(Ackerbaugesellschaften), Vereinigungen von Landwirten zur
Förderung ihrer
Interessen und
zur
Hebung
[* 2] der
Landwirtschaft. Sie geben den Landwirten Gelegenheit, ihre Kenntnisse zu erweitern, über
Fragen des landwirtsc
haftlichen
Betriebs sich zu besprechen, gemeinsame
Unternehmungen zu beraten und durchzuführen, ihre
Interessen dem
Staat und
andern Berufsklassen gegenüber geltend zu machen. Nach einer Zusammenstellung von H. F.
Brachelli (»Die
Staaten
Europas«, 4. Aufl.,
Brünn
[* 3] 1883, S. 70)
gab es 1883 in:
Staaten |
Landes- und Zentralvereine |
Bezirks- und Zweigvereine |
Selbst. Forstvereine | Andere Vereine | Zusammen |
---|---|---|---|---|---|
Deutschland | 137 | 2648 | 22 | 860 | 3667 |
- Preußen | 48 | 1271 | 11 | 398 | 1728 |
- Bayern | 9 | 228 | 3 | 226 | 466 |
- Sachsen | 7 | 581 | 1 | 48 | 637 |
- Württemberg | 14 | 100 | 1 | 39 | 154 |
- Baden | 17 | 74 | 1 | 14 | 106 |
- Andre Staaten | 42 | 394 | 5 | 135 | 576 |
Österreich-Ungarn | 25 | 798 | 12 | 240 | 1075 |
- Österreich | 22 | 741 | 10 | 210 | 983 |
- Ungar. Staatsgebiet | 3 | 57 | 2 | 30 | 92 |
England | 108 | - | - | 38 | 146 |
Frankreich | 121 | - | 2 | 835 | 958 |
Italien | 35 | - | - | 169 | 204 |
Rußland | 45 | 17 | 1 | 19 | 82 |
Finnland | 1 | - | - | - | 1 |
Schweden | 27 | - | - | - | 27 |
Norwegen | 1 | 18 | - | - | 19 |
Dänemark | 4 | 37 | - | 33 | 74 |
Niederlande | 13 | 194 | - | 4 | 211 |
Luxemburg | 2 | - | - | - | 2 |
Belgien | 17 | 25 | - | 127 | 169 |
Schweiz | 6 | 158 | 1 | 248 | 413 |
Spanien | 2 | 73 | 1 | 9 | 85 |
Portugal | 1 | - | - | 21 | 22 |
Griechenland | 1 | - | - | - | 1 |
Rumänien | - | 32 | - | - | 32 |
Summa: | 546 | 4000 | 39 | 2603 | 7188 |
In
Deutschland
[* 4] entstanden die ersten landwirtsc
haftlichen
Vereine um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts. Zu den ältesten gehören:
die
Thüringische
Landwirtschaftsgesellschaft zu
Weißensee (1762), die Königliche
[* 5]
Landwirtschaftsgesellschaft zu
Celle
[* 6] (1764,
jetzt
Landwirtschaftlicher Zentralverein für die
Provinz
Hannover),
[* 7] die
Landwirtschaftliche
Societät in
Leipzig
[* 8] (1764), die
Physikalisch-ökonomische
Societät zu
Lautern (1769), die
Ökonomische
Societät der Fürstentümer
Schweidnitz
[* 9] und
Jauer
[* 10] (1772), die Ökonomisch-patriotische
Gesellschaft zu
Breslau
[* 11] (1772) etc.
¶
mehr
Die eigentliche Entwickelung und Verbreitung des landwirtschaftlichen
Vereinswesens erfolgte aber erst seit der Mitte dieses
Jahrhunderts. In Preußen
[* 13] gab es 1815 nur 8, 1820 nur 15, 1830 nur 45 In den 30er Jahren beginnt eine stärkere Ausdehnung.
[* 14] Man zählte 1840: 145, 1850: 313, 1860: 541, 1870: 865. Im J. 1881 gab es: 33 Provinzial-, Zentral- und
Hauptverbände mit 262 Kreisvereinen
, 615 Ortsvereinen, 357 Bauernvereinen, 22 Pferdezuchtvereinen
, 4 Rindviehzuchtvereinen, 31 Geflügelzuchtvereinen, 68 Bienenzucht-
und Seidenzuchtvereinen
, 22 Obst- und Gartenbauvereinen
und 18 weitern verwandten Vereinen. Die 1399 Vereine hatten eine Mitgliederzahl
von 118,560. Auf die einzelnen Provinzen kamen:
Provinzen | Hauptvereine |
Unterverbände | Mitgliederzahl |
---|---|---|---|
Ostpreußen | 2 | 139 | 6108 |
Westpreußen | 1 | 66 | 2539 |
Pommern | 2 | 80 | 4319 |
Brandenburg | 3 | 111 | 9069 |
Sachsen | 1 | 84 | 10772 |
Posen | 4 | 46 | 2916 |
Schlesien | 1 | 73 | 7090 |
Westfalen | 5 | 87 | 16870 |
Rheinland | 1 | 390 | 18365 |
Hohenzollern | 1 | 14 | 2031 |
Schleswig-Holstein | 1 | 77 | 10095 |
Hannover | 9 | 176 | 22759 |
Hessen-Nassau | 2 | 56 | 5627 |
Die eignen Einnahmen der Vereine betrugen 742,126 Mk., die Staatszuschüsse 739,440 Mk. Außer
diesen zentralisierten, mit der Staatsverwaltung in Verbindung stehenden Vereinen gibt es noch zahlreiche nicht zentralisierte
Vereine für landwirtschaftliche
und verwandte Zwecke. In ähnlicher Weise haben die landwirtschaftlichen
Vereine auch in den
übrigen deutschen Staaten zugenommen. Für die Verbreitung und erhöhte Wirksamkeit der landwirtschaftlichen
Vereine war von großer Wichtigkeit, daß sich in den einzelnen Provinzen und Ländern die Lokalvereine
zu Zentralvereinen verbanden
und mit der Staatsgewalt in eine geregelte Verbindung traten.
Die Zentralisierung erhöhte den Einfluß der Vereine und führte zu einem den ganzen Zentralvereinsbezirk
umfassenden Netz von Lokalvereinen, die Verbindung mit der Staatsgewalt führte den Vereinen aus der Staatskasse Geldmittel zu
und ermöglichte der Staatsgewalt eine Einwirkung auf die Vereinsthätigkeit. Heute sind die landwirtschaftlichen
Vereine in
allen deutschen Staaten, mit Ausnahme einiger ganz kleiner, so organisiert, daß die Lokalvereine eines Landes oder eines
größern Landesteils einen Zentralverband (unter verschiedenen Namen) bilden, welcher den direkten Verkehr mit der Staatsregierung
pflegt.
Bei einem Teil der Zentralvereine sind weiter für die einzelnen Zweige des landwirtschaftlichen
Betriebs und für die einzelnen
Zwecke der landwirtschaftlichen
Vereine besondere Sektionen des Zentralvereins und der Lokalvereine (für Ackerbau, Viehzucht,
[* 15] landwirtschaftliche
Nebengewerbe, Meliorationen, Genossenschaftswesen, Unterricht etc.) eingerichtet, um
dadurch die Einwirkung der Vereine auf die Verbesserung des Betriebs und die Erhöhung des Reinertrags der Landwirte im Vereinsbezirk
zu steigern, und ferner bestehen noch neben den landwirtschaftlichen
Vereinen besondere Ortsvereine.
Mit dieser Organisation ist der Landwirtschaftliche Zentralverein der Rheinprovinz
[* 16] den andern vorangegangen, und sie
hat sich dort vortrefflich), namentlich zur Hebung der bäuerlichen Wirtschaften, bewährt. Der Staat unterstützt die
landwirtschaftlichen
Vereine mit Geldmitteln, erfordert deren Gutachten und nimmt ihre Wünsche entgegen. Die Staatsmittel dürfen nur zu den vorgeschriebenen
oder vereinbarten Zwecken verwendet werden; im übrigen ist die Thätigkeit der landwirtschaftlichen Vereine eine ganz
freie.
Die landwirtschaftlichen Vereine haben in den letzten 50 Jahren auf die Verbesserung des landwirtschaftlichen Betriebs und Hebung der landwirtschaftlichen Bevölkerung [* 17] wie der Landwirtschaft (Gründung von Versuchsstationen und landwirtschaftlichen Kreditanstalten, Förderung von Ausstellungen, Wettkulturen u. dgl.) unzweifelhaft günstig gewirkt; die Wirksamkeit derselben aber könnte und würde eine noch viel größere sein, wenn die Beteiligung der Landwirte an den Vereinen eine allgemeinere und ihre Mitwirkung an den Aufgaben derselben eine intensivere sein würde. Das letztere würde am sichersten erreicht werden, wenn allgemein die Bildung von Sektionen (wie in der Rheinprovinz) und dazu in Gegenden mit stark parzelliertem Besitz die Bildung von Ortsvereinen durchgeführt würde. Verringert wird die Wirksamkeit der landwirtschaftlichen Vereine auch dadurch, daß die Beiträge meist zu niedrig sind und den Vereinen die genügenden Geldmittel fehlen. - Aus dem Bedürfnis der deutschen Landwirte, einen gemeinsamen Vereinigungspunkt und ein Organ zur Vertretung der gemeinsamen Interessen zu haben, entstand die Wanderversammlung der deutschen Land- u. Forstwirte, welche zum erstenmal 1837 in Dresden [* 18] tagte und dann über 30 Jahre lang alljährlich an einem Orte Deutschlands [* 19] stattfand.
Sie erlag der Konkurrenz mit dem im J. 1867 gegründeten Kongreß norddeutscher Landwirte, welcher 1872 sich zum Kongreß deutscher Landwirte erweiterte. Dieser wurde seit 1875 wesentlich das Organ einer politischen Partei (der Agrarier) und verlor dadurch an Bedeutung. Neben ihm wurde 1872 der Deutsche [* 20] Landwirtschaftsrat (s. d.) gegründet, aber nicht, wie der Kongreß, als eine freie Versammlung deutscher Landwirte, sondern als eine aus 60 gewählten Mitgliedern bestehende Vertretung aller landwirtschaftlichen Zentralvereine.
Österreichs sind gleichfalls zentralisiert, doch gibt es auch zahlreiche nicht zentralisierte Vereine für einzelne Zweige der Landwirtschaft. Die oberste Leitung untersteht dem Ackerbauministerium. In der Schweiz [* 21] besitzt jeder Kanton [* 22] seinen landwirtschaftlichen Kantonalverein, welcher sich jährlich zu einer allgemeinen Versammlung vereinigt; die nennenswertesten sind die zu Basel, [* 23] Bern, [* 24] Genf, [* 25] Lausanne [* 26] und Zürich. [* 27] Das landwirtschaftliche Vereinswesen in Frankreich erfreut sich dort einer hohen Würdigung.
Gewöhnlich ist mit den zahlreichen Sociétés des sciences eine Sektion für Ackerbau verbunden; außer diesen gibt es aber noch sehr viele selbständige, ausschließlich der Landwirtschaft gewidmete Lokalvereine, welche immerhin von Bedeutung sind und gewöhnlich die Namen Sociétés d'agriculture, bez. Comices agricoles führen. Gewöhnlich bilden die in den Hauptstädten der Departements befindlichen Vereine eine Art Konzentrationspunkt für die in den meisten übrigen Departementsstädten von größerer Einwohnerzahl befindlichen Vereine. Mit der Regelung des Landwirtschaftswesens in Frankreich überhaupt ist auch hier das Ackerbauministerium betraut.
Ähnliche Verhältnisse finden sich in England, wo bereits 1723 die Society of Improvers in the knowledge of Agriculture in Scotland, wohl der älteste aller landwirtschaftlichen Vereine, gegründet wurde, dann in Italien [* 28] und Rußland. Große Aufmerksamkeit wird dem ¶
mehr
landwirtschaftlichen Vereinswesen in den Vereinigten Staaten [* 30] von Nordamerika [* 31] geschenkt, deren jeder durch eine State Agricultural Society vertreten ist.