Landwirtsc
haft.
Der Ackerbau ist von jeher die Grundlage der wirtschaftlichen Verhältnisse des Staates gewesen. Anbaufähig ist alles vom Nilwasser erreichte Land; soll daher das Kulturland in fruchtbarem Zustand erhalten werden, so ist die sorgfältige Instandhaltung des Kanalnetzes die Grundbedingung. Die Stütze des Ganzen in dieser Beziehung ist der 560 km lange Bahr-Jussuff (Josephskanal), der von Farschut bis Fajum den Nil begleitet. Diesen mit seinen Seitenarmen in stand zu halten, liegt jetzt den Dörfern ob, die von den Kanälen berührt werden.
Letzteres gilt auch von der Herstellung der Dämme, die die Überschwemmung in Schranken halten und während derselben als Verkehrsstraßen dienen. Das Delta [* 2] hat die größte Anzahl von Kanälen (13440 km). Mittel- und Oberägypten hat die uralte Methode der Wasserversorgung mittels Bewässerungsbecken, in die man zur Zeit des Hochwassers Wasser leitete, das man nach einiger Zeit wieder ablaufen ließ, beibehalten und ist deshalb auch in der Bodenkultur wenig fortgeschritten. In Unterägypten hat man seit Anfang des 19. Jahrh. ein Netz teils dauernd, teils zeitweilig gefüllter Kanäle angelegt, die das Land das ganze Jahr hindurch mit Wasser versorgen; allerdings fällt dadurch die von dem Nil früher besorgte natürliche Düngung durch Nilschlamm weg und das Land erfordert eine kostspielige künstliche Düngung. Wo das Nilwasser nicht hinlangt, da bewässert man mit Hilfe von einfachen Wasserrädern oder Dampfpumpen.
Alle Kulturgründe zerfallen in Rei-Ländereien, die vom Nilwasser erreicht werden, und in Scharaki-Ländereien, die künstlich bewässert werden müssen. Auf den erstern säet man Weizen, Gerste, [* 3] Linsen, Bohnen u.s.w., die sog. Wintersaat (Schitawi); auf ihnen hat man in der Regel im Jahre nur eine Ernte. [* 4] Auf die künstlich bewässerten Länder bringt man ebenfalls zuerst Wintersaat, nächstdem aber baut man auf ihnen in der Zeit um die Frühlingsnachtgleiche Durrha oder Indigo, [* 5] Baumwolle, [* 6] endlich um die Zeit der Sommersonnenwende abermals Gerste oder Mais, so daß man im Jahre drei Ernten von demselben Acker erzielt. Oberägypten hat ausschließlich Winterfeldbau, und obschon man daselbst weder ¶
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234 pflügt noch düngt, so fallen doch die Ernten viel reichlicher aus als in Unterägypten. Obschon in A. die Bauern (Fellah) den wichtigsten Teil der Bevölkerung [* 8] ausmachen, so lebte doch hier, soweit die Geschichte zurückreicht, der ackerbautreibende Stand stets in strenger und drückender Abhängigkeit. Früher war das Verhältnis des Bauers in Ä. wie in jedem andern mohammed. Staate das des Pächters zum Grundherrn, wobei die Steuer die Stelle des Pachtschillings vertrat und zugleich der Grundsatz festgehalten wurde, daß bei regelmäßiger Bezahlung der Steuer die Pacht nicht aufgekündigt werden konnte.
Mehemed Ali jedoch machte 1817 durch sein berüchtigtes Monopolsystem den Bauer zu dem elend bezahlten Tagelöhner der Regierung, indem er nicht nur die an und für sich schon sehr hochgestellten Abgaben in natura von den Bauern bezahlen ließ, sondern sie auch noch zwang, alles, was sie ernteten, an die Regierung zu dem von ihr selbst festgestellten Preise zu verkaufen. Daneben hatte der Bauer ungemessene Frondienste und wurde mit der größten Strenge zu den Kanalbauten angehalten.
Hierzu trat die Aushebung zu dem vom Fellah aufs höchste verabscheuten Kriegsdienste im Landheere oder auf der Flotte. Die erste Erleichterung war die Erlaubnis, die Grundsteuer in Geld bezahlen zu dürfen. Allmählich sah man sich auch genötigt, dem europ. Einflusse nachzugeben und das Monopolsystem aufzuheben, so daß unter Said Pascha der Fellah seine Erzeugnisse völlig frei verkaufen durfte. Durch die Maßnahmen Mehemed Alis gestalteten sich in Ä. auch die Verhältnisse des Grundbesitzes anders als in andern mohammed. Ländern.
Der Pascha zog wegen rückständiger Steuern nicht nur die Erblehen und Familiengüter und die für wohlthätige Zwecke bestimmten Güter ein, sondern nahm auch die zahlreichen, von ihren Bebauern verlassenen Gründe für sich in Anspruch. Es entstanden so die Tschiftliks oder Privatgüter des Pascha und seiner Familienglieder, die, allmählich eine große Ausdehnung [* 9] erlangend, durch einen eigenen Diwan verwaltet wurden. 1878 wurde der fast ein Viertel alles kulturfähigen Landes umfassende Grundbesitz des Chediv und seiner Familie in Staatsdomänen verwandelt, die den europ. Mächten für die verschiedenen Anleihen verpfändet wurden.
Einen großen Teil dieser Ländereien verpachtete man an Unternehmer, die die Bezahlung der fälligen Steuern übernahmen und das Land weiter an Eingeborene verpachteten; einen kleinen Teil verpachtete man unmittelbar an Eingeborene, aber ein beträchtlicher Teil liegt aus Mangel an Arbeitskräften brach. Die um die Dörfer herumliegenden kleinen Parzellen, die von Fellahs bewirtschaftet werden, machen mit dem Gemeindebesitz ungefähr die Hälfte alles Kulturlandes aus;
die von den Fellahs der Regierung zu zahlenden Abgaben belaufen sich ungefähr auf ein Fünftel des Bodenertrags;
dabei sind die Fellahs nicht Eigentümer des von ihnen bewirtschafteten Bodens, sondern nur Pächter der Regierung;
durch Bezahlung der sechsfachen Abgaben können sie sich jedoch in den erblichen Besitz des Landes setzen.
Ein großer Teil kulturfähigen Landes gehört als Wakuf den Moscheen und Schulen, den jetzt die engl. Regierung für die Occupationskosten mit Beschlag belegt hat. Der Viehstand belief sich (Ende 1878) auf: 8741 Pferde, [* 10] 147739 Kühe, 80587 Ochsen und Büffel, 320047 Schafe [* 11] und Ziegen, 26871 Kamele, [* 12] 87882 Esel und Maultiere.