Lancol
11 Wörter, 53 Zeichen
Lancol,
(spr. bórdscha), berühmtes, aus Jativa bei Valencia [* 4] in Spanien [* 5] stammendes Adelsgeschlecht, das in Italien [* 6] am Ausgang des 15. und Anfang des 16. Jahrh. mächtig war. Alfonso de Borgia bestieg als Calixtus III. (s. d.), sein Neffe Roderigo Lenzuoli Borgia im August 1492 als Alexander VI. (s. d.) den päpstlichen Stuhl. Des letztern Sohn Giovanni Borgia (geb. 1476; der älteste, Pedro Luis, starb früh), nebst vier andern Kindern mit der Römerin Vanozza de' Catanei erzeugt, erhielt auf Verwenden seines Vaters vom König von Spanien das Herzogtum Gandia in Valencia und 1497 von seinem Vater das Herzogtum Benevent nebst den Grafschaften Terracina und Pontecorvo, ward aber schon nach acht Tagen, wahrscheinlich von seinem Bruder Cesare (s. unten), ermordet und die Leiche in den Tiber geworfen. Auch seinen Schwager Alfons von Aragona ließ Cesare töten.
Cesare Borgia (geb. 1478), schön von Gestalt und von riesenhafter Stärke, [* 7] war nicht ohne Sinn für Künste und Wissenschaften, freigebig, von sehr gewandtem Benehmen und hinreißender Beredsamkeit, aber jeder Frevelthat fähig. Seinen Vater, den Papst, beherrschte er vollständig und leitete dessen eigennützige Familienpolitik. Anfangs für den geistlichen Stand bestimmt, erhielt er das Bistum Pamplona und ward 1492 zum Kardinal ernannt. Aber nach Ermordung seines Bruders Giovanni gab Cesare im Oktober 1498 mit Zustimmung seines Vaters seine Kirchenwürden aus und warb um die Tochter des Königs Friedrich von Neapel. [* 8]
Als ihm deren Hand [* 9] verweigert wurde, ging er nach Frankreich und überbrachte 1499 als päpstlicher Legat dem König Ludwig XII. die erbetene Scheidungs- und Dispensationsbulle zur Vermählung mit der Erbin der Bretagne. Ludwig XII. belohnte ihn dafür mit einem ansehnlichen Jahrgehalt und dem Herzogtum Valentinois in der Dauphiné. Darauf verschaffte er ihm die Hand der Prinzessin Charlotte d'Albret, Schwester Johanns, Königs von Navarra, und nahm ihn mit sich nach Italien (September 1499), wo er ihm ein Truppenkorps zu eigner Verfügung übergab.
Mit diesem setzte sich Cesare 1499-1502 in den Besitz der Herrschaften der Romagna, deren Herren sich vom Papst fast unabhängig gemacht hatten, von Imola, Forli, Faenza, Rimini etc., und ließ sich von seinem Vater zum Herzog der Romagna, der er auch Urbino einverleibte, ernennen. 1501 entriß er Jakob von Appiano das Fürstentum Piombino, suchte aber vergeblich auch Bologna und Florenz [* 10] unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Die noch übrigen Feudalherren des Kirchenstaats lockte er zu einer Besprechung nach Sinigaglia und ließ sie dort teils festnehmen, teils hinrichten So auf dem Gipfel seiner Macht, verlor er plötzlich die Stütze derselben, seinen Vater, den Papst Alexander. Vater und Sohn sollen durch Verwechselung aus vergifteten Bechern getrunken haben, welche für ihre Gäste bestimmt gewesen, der Vater gestorben, der Sohn durch seine kräftige Natur gerettet worden sein. Wahr ist, daß Cesare damals längere Zeit krank lag, was wesentlich zur Vereitelung seiner Entwürfe beitrug. Nach der kurzen Regierung des schwachen Pius III. (8.-18. Okt. 1503) bestieg der kräftige Julius II. den päpstlichen Stuhl Dieser, ein Feind der Borgias und entschlossen, die Güter des Kirchenstaats wieder zusammenzubringen, ließ Cesare festnehmen der nun alles Eigentum des päpstlichen Stuhls, das er noch in Besitz hatte, ausliefern mußte und dann erst die Freiheit erhielt. Borgia ging nun zu den Spaniern nach Neapel, wurde aber bald auf Befehl Ferdinands des Katholischen verhaftet und nach Spanien abgeführt.
Dort saß er zwei Jahre lang einsam, nur mit einem einzigen Diener, gefangen auf dem Schloß Medina del Campo. Endlich gelang es ihm, zu seinem Schwager, dem König von Navarra, zu entfliehen; mit diesem zog er gegen Kastilien, fiel aber bei der Belagerung des Schlosses von Viana Eine Schilderung Borgias gibt Machiavelli in seinem »Principe«.
Vgl. »Leben des Cesare Borgia, Herzogs von Valentinois« (Berl. 1782);
Alvisi, Cesare Borgia, duca di Romagna (Imola 1878).
Seine Schwester Lucrezia Borgia (geb. 1480) wird als eine schöne und ungemein anmutige, vielseitig gebildete und kunstliebende Frau, zugleich aber nach der Überlieferung als ein moralisches Ungeheuer geschildert. Sie war bereits vor ihrem 13. Jahr zweimal verlobt und vermählte sich 1493 zum erstenmal mit Johann Sforza, Fürsten von Pesaro, der 1497 gezwungen wurde, sich von ihr scheiden zu lassen, weil ihr Vater, Papst Alexander VI., sie mit dem neapolitanischen Königshaus zu verschwägern gedachte.
Dies geschah durch ihre Verheiratung mit Don Alfonso, Herzog von Busselli, einem Neffen des Königs Alfons II. von Neapel, die im Juli 1498 im Vatikan [* 11] zu Rom [* 12] vollzogen wurde. Als ihr Gatte von ihrem Bruder Cesare ermordet worden war (1501), schloß sie noch in demselben Jahr eine dritte Ehe mit dem Herzog Alfons von Ferrara, [* 13] dem sie drei Söhne gebar. Sie starb 1520. Ihr Name ist verrufen durch die Ausschweifungen, welche sie während ihres Aufenthalts zu Rom begangen haben soll; namentlich wird sie eines blutschänderischen Umgangs mit ihrem Vater und ihren Brüdern beschuldigt.
Indessen ermangeln diese Anklagen einer Begründung durch zeitgenössische römische Zeugen vollständig und werden von ihrem neuesten Biographen Gregorovius (s. unten) auf einen bloßen Verdacht zurückgeführt, der zuerst von ihrem schwer gekränkten Gatten Johann Sforza ausgesprochen, dann durch die Feinde der Borgias (besonders die Dichter Sannazar und Pontanus) in Umlauf gesetzt und schließlich aus einem Gerücht zu einer weitverbreiteten Meinung wurde. Von Sannazar stammt auch das bekannte Distichon als Aufschrift für ihren Leichenstein:
Hic jacet in tumulo Lucretia nomine, | |
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sed re Thais, Alexandri filia, sponsa, nurus. | |
("Hier ruht eine Lukretia dem Namen nach, in Wahrheit eine | |
Thais, Alexanders Tochter, Gattin und Schnur.«) |
Jedenfalls war das Heroische und Wildleidenschaftliche, das ihr die Tradition beilegt, ihrem Charakter fremd. In Ferrara zeigte sie ein Benehmen und eine Thätigkeit, welche ihr die Liebe des Volkes und die Verehrung der ausgezeichnetsten Geister, wie Aldus, Bembo, Ariosto u. a., erwarben. Die Geschichte der Borgia nach der gewöhnlichen Überlieferung ward von Victor Hugo zu einem Trauerspiel, von Donizetti zu einer Oper benutzt. Ihre Ehrenrettung versuchte zuerst Roscoe.
Ihm folgten später Cerri (»Alessandro VI, Papa, e suoi contemporanei«, Turin [* 14] 1858, 2. Aufl. 1873-74, 2 Bde.),
Campori (»Una vittima della storia, Lucrezia Borgia«, 1866),
Antonelli (»Lucrezia in Ferrara«, 1867),
Zucchetti (»Lucrezia Borgia, duchessa di Ferrara«, 1869),
besonders aber der Engländer Gilbert in »Lucrezia Borgia, duchess of Ferrara« (Lond. 1869; deutsch, Leipz. 1870),
der ersten ausführlichern, auf Urkunden gegründeten Geschichte der Lucrezia, und Gregorovius (»Lucrezia Borgia«, 1.-3. Aufl., Stuttg. 1874, 2 Bde.). ¶
Unter den folgenden Gliedern dieser Familie ist zunächst Francesco Borgia (geb. 1510), Herzog von Gandia und dritter General des Jesuitenordens, zu nennen, welcher aus einem in Spanien gebliebenen Zweig stammte. Er gehörte zuerst dem weltlichen Stand an, wurde von seinem Gönner Karl V. zum Vizekönig von Katalonien ernannt, trat aber nach dem Tod seiner Gattin, die ihm acht Kinder geboren, in den Jesuitenorden, gründete das sogen. Noviziat desselben, verbesserte das Missionswesen und den Unterricht, verfaßte mehrere Erbauungsbücher in spanischer Sprache, [* 16] wurde 1565 zum General ernannt, forderte die Könige von Frankreich, Spanien und Portugal vergeblich zu kräftigem Kriege gegen die Türken auf, starb 1572 in Rom und wurde 1625 kanonisiert.
Sein Enkel Francesco Borgia, öfter Borja geschrieben, Fürst von Squillace im Königreich Neapel und Graf von Magaldo, geboren zu Neapel, wurde 1614 Vizekönig von Peru, [* 17] erwarb der spanischen Krone die Provinz Maynas und gründete darin die Stadt Boria (Borga). Nach seiner Rückkehr aus Amerika [* 18] (1621) zog er sich in das Stillleben der Wissenschaft und Kunst zurück und starb Seine Gedichte (»Obras en verso«, Madrid [* 19] 1639, Antwerp. 1654 und 1664) zeichnen sich durch ihre Einfachheit aus.
Ferner hat man von ihm ein Epos: »Napoles recuperada por el reyo Don Alonso« (Saragossa [* 20] 1651), eine Übersetzung des Thomas a Kempis etc. Ein Nachkomme von ihm, Alessandro Borgia, geb. 1682 zu Velletri, starb 1724 als Erzbischof von Fermo. Er legte den Grund zu dem berühmten Museum Borgia zu Velletri. Sein Neffe war der Kardinal und Vorsteher der Propaganda, Stefano Borgia, rühmlichst bekannt als Beförderer der Wissenschaften und Wohlthäter verlassener Kinder, geb. zu Velletri, erhielt seine erste Erziehung bei seinem Oheim, ward 1750 Mitglied der etruskischen Akademie zu Cortona und bereicherte das von jenem gegründete Museum.
Als Gouverneur von Benevent (seit 1759) erwarb er sich durch die weisen Maßregeln, durch welche er 1764 Stadt und Gebiet vor drohender Hungersnot schützte, großes Verdienst. 1770 von Clemens XIV. zum Sekretär [* 21] der Propaganda ernannt, veranlaßte er die unter ihm stehenden Missionäre, ihm aus den verschiedensten Gegenden Handschriften und Kunstwerke zuzuführen, die er dann allgemein zugänglich machte. Als Oberaufseher der Findelhäuser, wozu Pius VI. ihn 1789 mit Verleihung der Kardinalswürde ernannte, traf er zur Verpflegung und Fortbildung der Findelkinder treffliche Einrichtungen.
Als die Revolution im Kirchenstaat 1797 ausbrach, legte Pius VI. die Diktatur in Borgias Hände. Von den Franzosen im Februar 1798 verhaftet und aus den römischen Staaten verwiesen, begab er sich nach Venedig [* 22] und darauf nach Padua. [* 23] Mit Pius VII. kehrte er nach Rom zurück und starb auf dem Weg nach Paris, [* 24] wohin er den Papst zur Krönung Napoleons I. begleiten wollte, in Lyon [* 25] Durch die »Istoria della città di Benevento« (1763-69, 3 Bde.) machte er sich als Historiker und Altertumsforscher einen Namen. Er schrieb ferner: »Monumento di Papa Giovanni XVI« (Rom 1750);
»Breve istoria dell' antica città Tadino dell' Umbria« (das. 1751) und »Breve istoria del dominio temporale della sede apostolica nelle due Sicilie« (das. 1788).
Sein Leben beschrieb Pater Paolino von S. Bartolommeo in lat. Sprache (Rom 1805). Die Familie Borgia blüht noch gegenwärtig in Velletri.