La
Bruyère (spr. brüijähr),
Jean de, berühmter franz.
Charakter- und Sittenschilderer, geboren um Mitte
August 1645 zu
Paris,
[* 2] studierte
Jurisprudenz, ward aber bald nach seiner
Aufnahme in den Advokatenstand seiner
Stellung
überdrüssig und kaufte sich das
Amt eines Schatzmeisters in der
Generalität (Steuerbezirk) zu
Caen, welches ihm erlaubte
,
frei und unabhängig in
Paris zu leben und sich ganz den
Wissenschaften zu widmen. 1684 wurde er auf
Bossuets Verwendung berufen,
den Enkel des großen
Condé Geschichte zu lehren, und blieb bis an seinen
Tod, der ziemlich plötzlich erfolgte,
diesem
Haus treu ergeben, allerdings in einer abhängigen
Stellung, in welcher nur seine
Würde und sein
Takt ihn vor mancher
Demütigung bewahrten.
Unter diesen Verhältnissen konnte La Bruyère
, wenn auch dem
Hof
[* 3]
Ludwigs XIV. nicht angehörig, doch in dessen
unmittelbarer
Nähe und mit um so unparteiischerm
Blick das
Wesen und
Treiben desselben studieren und die Ergebnisse dieser
Beobachtungen
in seinem berühmten
Buch verwerten, das 1688 unter dem
Titel: »Les Caractères de Théophraste, traduits du grec, avec les
caractères ou les mœurs de ce siècle« erschien. Der Erfolg des
Buches war ein ungeheurer: im
Lauf desselben
Jahrs erschienen noch zwei
Auflagen, und sechs andre folgten bis zum
Tode des Verfassers, jede mit ansehnlicher
Vermehrung, so
daß die ursprüngliche Zahl von 420
Charakteren schließlich auf 1120 anwuchs.
Das
Buch erlebte unzählige
Ausgaben; zu den gesuchtesten und besten gehören die kritische von
Walckenaer
(Par. 1845), die von Destailleur (das. 1854), von Servois in der Sammlung
der
»Grands écrivains« (das. 1865, 4 Bde.)
und die von Chassang (das. 1876). La Bruyère
hatte sich vielfach zu verteidigen gegen
den Vorwurf, er habe
Satiren schreiben und boshafte
Angriffe gegen einzelne
Personen richten wollen, und
schon zu seinen Lebzeiten existierten sogen.
Schlüssel, welche die vermeintlichen
Anspielungen erklären sollten; dieselben
wurden später mit den
»Charakteren« zusammengedruckt, besonders 1697 und 1720. Die Vorrede zu seiner Antrittsrede an die
Akademie widerlegt diese
Insinuationen und gibt eine genaue Darlegung von dem
Plan seines Werkes. Das
Buch
ist beinahe in alle modernen
Sprachen (ins Deutsche
[* 4] von
Eitner, Hildburgh. 1870, und von
Hamel, Stuttg. 1884) übersetzt worden
und verdient diese
Ehre durch die Gediegenheit des
Inhalts wie durch die selbst einem
Voltaire Bewunderung entlockende
Klassizität
der Form.
Allerdings ist diese nicht selten gesucht und sticht schon merklich ab von dem schwungvollen, edlen und
einfachen
Stil der großen
Periode; allein an
Schärfe der
Beobachtung, an lebendiger und treffender Schilderung ragt La Bruyère
über
seine Zeit weit hervor. Die nicht ohne
Opposition erfolgte
Aufnahme La
Bruyères in die
Akademie (1693) war eine wohlverdiente
Auszeichnung. Außer den
»Charakteren« und seiner Antrittsrede an die
Akademie besitzen wir von La Bruyère
noch
»Dialogues sur le quiétisme«, welche 1698 vom
Abbé
Du
Pin herausgegeben und ergänzt wurden (die Vorrede sowie der 8. und 9.
Dialog
sind von ihm) und auch in der
Ausgabe der »Caractères« von Servois enthalten sind.
Vgl.
Fournier, La comédie
de La Bruyère
(2. Ausg., Par. 1872);
Rahstede, und seine Charaktere (Oppeln [* 5] 1886);
Allaire, La Bruyère
dans la maison de
Condé (Par. 1886, 2 Bde.).
Über die »Schlüssel« vgl. Janet (in der »Revue des Deux Mondes«,