Kunstwolle
(frz. laine artificielle; engl. shoddy and mungo). Die Herstellung der K. oder Lumpenwolle bildet eine Abfallindustrie größten Maßstabes. Die früher als beinahe wertlos erachteten wollenen Lumpen werden jetzt eifrig gesammelt und in besondern Fabriken behufs Wiedergewinnung der Wolle verarbeitet. Diese K. besitzt natürlich längst nicht den Wert als Spinnfaser wie neue Wolle, aus alten oft bis zur Unkenntlichkeit abgenutzten, mürben Lumpen kann selbstverständlich keine reiner Schurwolle gleichkommende Faser gewonnen werden - bildet aber ein in ihrer Art wertvolles Rohmaterial.
Kann man sich nun einerseits freuen, daß es der fortschreitenden Technik gelungen ist, so große Massen von Abfällen wieder nutzbar zu machen, so hat doch gerade die Kunstwollindustrie ihre sehr bedenkliche Seite. Es ist nicht zu läugnen, daß seit der fabrikmäßigen Herstellung der K. in die ganze Wollindustrie eine gewisse Unsolidität gekommen ist. Außer dem Fabrikanten weiß niemand, wie viel K. in einem Garne, in einem Gewebe steckt. K. läßt sich auch nur sehr schwer, ja in vielen Fällen, wenn guter Wolle nur wenige Prozente zugesetzt sind, kaum nachweisen.
Der Überteuerung, dem Schwindel sind damit Thür und Thor geöffnet. Der Käufer erfährt nur aus dem raschen Zerfall seiner Kleidungsstücke zu seinem Schaden und Ärger, daß er mit viel K. beglückt worden ist. Unter den Ländern, deren Wolllumpen für die Kunstwollfabrikation gesammelt werden, stehen England, Deutschland und Österreich, Frankreich, Italien oben an. Die englischen Lumpen besitzen meist lange, grobe Wolle, sind sehr schmutzig und fast immer sehr feucht. Deutschland und Österreich liefern viel und reinere Lumpen, meist von Streichgarngeweben. Aus Deutschland wird nach England so viel exportiert, daß für eigenen Bedarf Lumpen aus Frankreich herangezogen werden müssen. Italien erzeugt sehr viel Lumpen für den Export; dieselben sind verhältnismäßig rein, aber sehr stark abgenutzt und belebt. Rußland liefert sehr schmutzige, durch Staub und Erde beschwerte Lumpen. -
Die Fabrikation der K. wird in England seit 30-40 Jahren in großem Maßstabe betrieben und hat jetzt einen solchen Umfang angenommen, daß, wie von verschiednen Seiten behauptet wird, ¼ der in England für die Wollindustrie herangezogenen Materiale aus K. besteht. Die erste Anwendung davon reicht ¶
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übrigens viel weiter zurück. Schon im vorigen Jahrhundert zerzupften z. B. die ärmeren, sparsamen Bewohner des Harzes Strumpflumpen und die Lumpen grober lockerer Wollgewebe und verspannen die so gewonnene Wolle wieder. Doch blieb dies nur eine durch örtliche Verhältnisse aufgekommene Hausindustrie. Von England verpflanzte sich die im Großen betriebene Kunstwollfabrikation auf den Kontinent, welcher England längst überflügelt hat. Zahlreiche Kunstwollfabriken bestehen in Frankreich, Belgien, Deutschland und Österreich, hier namentlich in Berlin, Düren, Würzburg, Wien, Prag, Brunn, Reichenberg, Linden vor Hannover, Bodenwerder, Reichenbach im Voigtlande etc.
Man unterscheidet zwei Sorten von Lumpenwolle, Mungo und Shoddy. Die erstere stammt von gewalkten Wollstoffen, Tuchen u. dgl. und ist kurzhaarig, weil das Öffnen dieser Stoffe eine gewaltsamere Bearbeitung erfordert; zur andern dienen gestrickte, gewirkte, gehäckelte Lumpenzeuge, die sich leichter lösen und einen längern Faserstoff ergeben. Die Vorarbeit besteht in einem gründlichen Auslesen unter Entfernung aller nicht wollenen Teile, wofür zuweilen auch noch das Auflösen derselben durch Schwefel- oder Salzsäure in Anwendung kommt, Reinigen auf der Putzmaschine, Sortieren nach den verschiednen Farben etc. Es gibt hierfür besondere große Sortieranstalten, die den Spinnereien vorarbeiten.
Die Verarbeitung der maschinenfertigen Lumpen geschieht auf einem sog. Wolf, einer Maschine, in welcher eine rasch umlaufende mit spitzen Stahlzinken besetzte Trommel gegen entgegengesetzt stehende Zinken wirkt und die zwischengeführten Lumpen in lauter lose Fasern zerreißt. Die Zahl der Zinken und die Geschwindigkeit des Umlaufes ist natürlich für Shoddy geringer als für Mungo. Die letztere Sorte wird vom Lumpenwolf weg in Ballen verpackt und an die Wollspinner versendet, während die Shoddy noch, unter Einölung mit Baumöl, eine Bearbeitung auf einer Reißkrempel erhält, welche die Fasern geradestreckt und sie zu einer losen Watte vereinigt. In manchen Fabriken werden die Lumpen nicht trocken, sondern naß oder selbst unter Wasser bearbeitet, sodaß also die zerreißende Maschinerie in einem Wasserkasten steht. Neue Lumpen (Schneiderabfälle) werden für sich verarbeitet und geben die beste Sorte Mungo.
Gewöhnlich fabriziert man aus einer besondern Auslese neben den beiden Kategorien noch eine dritte unter dem Namen Extrakt. In den Spinnereien (einzelne Anstalten verspinnen ihr Produkt gleich selbst zu Garn) werden dann diese Produkte im Gemisch mit mehr oder weniger neuer Wolle, lange Shoddy aus Strumpflumpen wird sogar allein versponnen und die Garne zu allen Geweben verwendet, zu welchen Streichgarne gebraucht werden, Tuch, Buckskin, Düffel, schwere und leichte Rock- und Hosenstoffe, Köperzeuge, Teppiche, Decken etc. Je nach Umständen erhält die Wolle 30-60% alte Ware; ja ordinäre Gewebe bestehen oft ganz aus solcher. - K. ist zollfrei, Lumpen ebenfalls. Garne gem. Zolltarif im Anh. Nr. 41 c 3,. Gewebe Nr. 41 d 4 bis 6.