Kumys
,
gegorne und noch in
Gärung befindliche Stutenmilch, ein geistiges
Getränk, welches den Nomadenvölkern des
südöstlichen und südlichen Rußland während des
Sommers fast ausschließlich als
Nahrung dient. Zur
Darstellung des Kumys
versetzt
man die frische
Milch zunächst mit altem Kumys
, welcher als
Ferment dient; weniger gut mit einem Gemisch
aus
Mehl,
[* 3]
Honig und Bierhefe. Durch die Einwirkung des Ferments geht der
Milchzucker der
Milch zunächst in
Fruchtzucker über,
und dieser unterliegt dann der
Gärung, d. h. er zerfällt in
Alkohol und
Kohlensäure.
Hierbei ist auf die
Temperatur zu achten, die gärende
Milch von Zeit zu Zeit zu quirlen und in einem bestimmten
Stadium des Gärungsprozesses auf
Flaschen zu füllen. Ein zwei
Tage alter Kumys
enthielt außer
Wasser: 1,65 Proz.
Alkohol, 2,05
Proz.
Fett, 2,2 Proz.
Zucker,
[* 4] 1,15 Proz.
Milchsäure, 1,12 Proz. Eiweißstoffe, 0,28
Proz.
Salze und 0,785 Proz.
Kohlensäure. Der Kumys
ist milchweiß, riecht säuerlich, an den spezifischen
Geruch des
Pferdes erinnernd, schmeckt prickelnd, angenehm säuerlich, mit einem Nachgeschmack nach süßen
Mandeln. Um ihn
in diesem Zustand zu erhalten, muß er auf
Eis
[* 5] aufbewahrt werden.
Aber auch dann schreitet die
Gärung langsam fort, bis endlich der
Zucker vollständig zersetzt ist. Die Nomadenvölker unterwerfen
den Kumys
auch der
Destillation
[* 6] und gewinnen auf solche
Weise einen Milchbranntwein (Araca Arsa). Die
Thatsache, daß jene
Völkerschaften
im
Winter durch mangelhafte
Nahrung stark abmagern, im
Sommer aber beim Kumys
gebrauch schnell wieder voll und rund werden, gab
wahrscheinlich den benachbarten
Russen Veranlassung, im
Sommer die Kampierungen der
Nomaden zu besuchen
und den als
Arzneimittel zu benutzen. Sie erzielten glänzende
Resultate, und der
Ruf des
Mittels
¶
mehr
lockte jährlich zahlreiche Kranke, namentlich Lungenschwindsüchtige, in die Steppen. Diese fanden vielfach Heilung oder Erleichterung,
zum Teil wohl mit durch das Klima
[* 8] und die Lebensweise in den Steppen; aber auch außerhalb derselben, z. B. in Moskau,
[* 9] wurden
mit sorgfältig bereitetem, gutem Kumys
günstige Resultate erzielt. Die Kumyskur
beginnt mit dem Genuß von
2-3 Glas
[* 10] und fordert im weitern Verlauf, daß der Patient täglich vier Flaschen und mehr Kumys
zu sich nehme, sich also so gut
wie vollständig mit Kumys
allein ernähre.
Bei diesem starken Konsum von Kumys
tritt auch ein Gefühl der Sättigung ein, und das Bedürfnis nach fester Nahrung schwindet.
Dabei wird die Harnsekretion erheblich gesteigert, und das spezifische Gewicht des Harns nimmt ebenfalls zu; anfangs zeigt
sich ein leichter Grad von Trunkenheit, dann Abgespanntheit, Müdigkeit und Neigung zum Schlaf, welch letztere während der ganzen
Kurzeit fortzubestehen pflegt. Ganz konstant tritt bei 4-6 Wochen langem Gebrauch des Kumys
eine oft überraschende
Zunahme des Ernährungszustands ein.
Derselbe ist um so ersichtlicher, je mehr das betreffende Individuum heruntergekommen war, und tritt auch in diesem Fall umso
rapider ein. Die Gesichtsfarbe bekommt ein rosiges Kolorit, der Gesichtsausdruck wird belebter, in kurzer Zeit zeigt sich
eine starke Fettablagerung, und das Körpergewicht nimmt erheblich zu. Dieser Effekt kann nur durch die
eigentümliche Mischung der Kumys
bestandteile hervorgebracht werden. Seinen großen Ruf verdankt der Kumys
seiner Wirksamkeit
gegen die Schwindsucht; er ist zwar ohne erheblichen direkten Einfluß auf die lokalen Vorgänge im Lungenparenchym, aber
er wirkt als vortreffliches Ernährungsmittel auf den Zustand des ganzen Körpers, und mit der Verbesserung
desselben bemerkt man eine Abnahme des Fiebers, eine Beschränkung der Kurzatmigkeit wie auch eine Verminderung des Hustens
und Auswurfs.
Der Zeitpunkt für die Kumyskur
ist gekommen, wenn das Fieber niedrig und stark remittierend ist, resp. ganz fehlt, wenn zu
der Abmagerung Blässe der Schleimhäute und der Haut
[* 11] sich gesellt, und wenn die Arterienspannung gering
ist. In ähnlicher Weise wie bei der Lungenschwindsucht soll sich der Kumys
auch bei andern kachektischen und anämischen Zuständen
als vortreffliches Ernährungsmittel bewähren, so bei der gewöhnlichen Chlorose, bei Anämie nach Blutverlusten, nach profusen
Eiterungen, anhaltenden Durchfällen, Bronchoblennorrhöe etc. Stahlberg, welcher zuerst in Moskau eine
Kumys
trinkanstalt etablierte, hat auch in Deutschland
[* 12] und Österreich
[* 13] das neue Heilmittel einzuführen versucht; außerdem wurde
an mehreren Orten Kumys
aus Eselinnen-, Ziegen- und Kuhmilch dargestellt, und dies Surrogat soll gleichfalls gute Dienste
[* 14] geleistet
haben.
Ein ähnliches Getränk, Kefir (Kapir), bereiten die tatarischen Bergbewohner des nördlichen Abhanges des Kaukasus aus Kuhmilch, sie benutzen es als nahrhaftes und erfrischendes Getränk und auch als Heilmittel bei Blutarmut und Schwindsucht. Als Ferment dienen Klümpchen oder Körner, in Farbe und Aussehen dem Blumenkohl nicht unähnlich, welche Hefepilze (Saccharomyces cerevisiae Meyen) und Bakterien (Dispora caucasica Kern) enthalten. Das Ferment behält seine Wirksamkeit ein Jahr.
Zur Bereitung des Kefir übergießt man das Ferment mit dem sechsfachen Volumen Milch und läßt es bei mittlerer Temperatur unter häufigem Schütteln 16-24 Stunden stehen. Das fertige Getränk wird abgegossen und das Ferment mit neuer Milch angestellt. Nach jeder dritten Gärung wäscht man das Ferment mit reinem Wasser. Man kann nun den Kefir mit dem doppelten Volumen abgerahmter Milch mischen, auf starkwandige Flaschen füllen und unter häufigem Schütteln bei mittlerer Temperatur stehen lassen. In 1-3 Tagen erhält man auf diese Weise den Flaschenkefir, der milder und angenehmer schmeckt als das gewöhnliche Produkt und stark schäumt.
Kefir ist viel konsistenter als Kumys, weil er mehr als dreimal reicher an Eiweißstoffen ist, er enthält um die Hälfte weniger Alkohol und etwas weniger Milchsäure und riecht und schmeckt angenehmer. Er wirkt sehr günstig auf die Ernährung und ist mit Erfolg namentlich bei Lungenkrankheiten benutzt worden.
Vgl. Stahlberg, Der Kumys, seine physiologischen und therapeutischen Wirkungen (Petersb. 1869);
Derselbe, Gesammelte Vorträge über den Kumys (Leipz. 1873);
Lersch, Die Kur mit Milch, Molken, Kumys (Bonn [* 15] 1869);
Biel, Untersuchungen über den Kumys (Wien [* 16] 1874);
Stange, Über Kumyskuren (in Ziemssens »Handbuch der Therapie«, Bd. 1, Leipz. 1883);
Dmitrijeff, Der Kefir (Hannov. 1884);
Podwyssotzki, Kefir (deutsch, Petersb. 1884).