Kultus
und Gerichtswesen. Die
Ulemâ (s.d.) gliedern sich in drei
Klassen: die Kultus
diener, nämlich
die Scheichs
(Ältesten, die ordentlichen Prediger der Moscheen), die Chatib, die Imâme, die
Muezzin, die
Mufti, denen die
Erteilung der Fetwa obliegt, und die Kâdi. (S. die betreffenden
Artikel.) Wer
Ulemâ werden will, tritt, nachdem er bis zum 10. oder 12. Lebensjahre
eine Elementarschule besucht hat, in eine
Medrese ein und erhält hier als
Softa Unterricht im
Koran und
in der pers. und arab.
Sprache.
[* 2]
Kann er den Koran vollkommen auswendig, so bekommt er den Titel Hâfis (der Behaltende). Nun muß er sich für die theol. oder für die richterliche Laufbahn entscheiden und beginnt das Studium der Logik, Rhetorik, Moral, der Theologie und Rechtswissenschaft. Nach bestandener Prüfung kann er als Kadi angestellt werden. Will er zu den höhern Ämtern gelangen, so ist noch ein siebenjähriges Studium des moslem. Rechts erforderlich. Dann wird er Muderris (Professor).
Das geistliche Recht, Scheriat, beruht auf dem Koran, der Sunna (Überlieferung), den Entscheidungen der vier ersten Chalifen und der Sammlung von Rechtssprüchen der großen Imame. Die von dem Scheich Ibrahim Halebi 1549 verfaßte Sammlung solcher Entscheidungen bildet das Civil- und Kriminalgesetzbuch der Türkei. [* 3] Nach diesem Recht entscheiden die unter dem Scheich ul-Islam stehenden geistlichen Gerichte. Der höchste Gerichtshof ist der Appellhof in Stambul mit zwei Kammern, deren Vorsitz die Kadiasker von Rumelien und Anatolien führen.
Jedes Wilajet hat sein Mekkeme unter einem Oberrichter. Unter diesen stehen die Gerichte der Sandschaks und unter diesen die der Kaza. Seit 1847 giebt es neben den geistlichen auch weltliche Gerichtshöfe. Sie bestehen aus Civilgerichten, Strafgerichten und Handelsgerichten. Sie stehen unter dem Justizminister. Die Handelsgerichte, die sich mit Streitfragen zwischen einheimischen Parteien sowie zwischen Osmanen und fremden Unterthanen beschäftigen, sind aus einem Präsidenten, zwei Richtern, einem Sekretär, [* 4] außerdem aber aus zwei kaufmännischen Richtern zusammengesetzt, welche von den fremden Kolonien erwählt werden. Die Entscheidungen der Handelsgerichte erfolgen nach einem dem Code de commerce nachgebildeten Gesetzbuch. Das Strafgesetz und die Prozeßordnung sind den westeuropäischen ähnlich.