Kultus
(lat., »Pflege, Verehrung«),
nach klassischem Begriff die Verehrung, welche die Menschen der Gottheit zollen, nach jetzigem Sprachgebrauch alles, was zur äußern Darstellung und bestimmten Ausgestaltung gemeinsamer religiöser Erfahrungen und Anschauungen dient, also vornehmlich die Form der gemeinsamen Gottesverehrung samt allem, was dazu gehört, also Opfer und Gelübde, Gebete, heilige Gesänge, heilige Zeichen und Sinnbilder. Der Verschiedenheit des religiösen Vorstellungskreises entspricht naturgemäß eine Verschiedenheit der Kultusformen, so daß wir gerade die Religionen der niedern Stufe, welchen eine ausgeprägte Lehre abgeht, vorzugsweise nach ihrem Kultus beurteilen. Durchweg tritt hier der als verdienstliches Handeln in der Richtung auf Gott auf. Aber auch wo das Bewußtsein aufgegangen ist, daß innerliche Hingabe und sittliche Leistung den wahren Gottesdienst ausmachen, verbleibt dem noch die Bedeutung eines Darstellungs- und Belebungsmittels der gemeinsamen Frömmigkeit. Sein
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Wesen ist also symbolisierendes Handeln, Veranschaulichung des Übersinnlichen, Versinnbildlichung des religiösen Verhältnisses, in welchem die Gemeinde von Gott Offenbarungen und Segnungen empfängt und ihm wieder ihre Gaben darbringt. Jene Seite ist im christlichen Kultus vertreten durch Wort und Sakrament, diese durch Gebet und Opfer. Wiederum machen Sakrament und Opfer den Kern des katholischen, Wort und Gebet den Kern des protestantischen Kultus aus. Denn dort kommt es darauf an, den über die Sünde zürnenden Gott zu versöhnen und übernatürliche Kräfte in die Gemeinde herabzuleiten.
Daher entfaltete schon der altkirchliche Kultus sich immer glanzvoller; als die christliche Religion zur römischen Staatsreligion erhoben wurde, gingen aus den Tempeln der Weihrauch und andre heidnische Sitten in die Kirche über. Im Lauf des Mittelalters nahm der Kultus geradezu alle Künste, nicht bloß Poesie und Musik, sondern auch Skulptur, Architektur und Malerei, in Dienst. Eine Reaktion dagegen leitete die Reformation ein, indem sie den Kultus seines Charakters als eines Gottesdienstes (s. d.) im Grundsatz entkleidete, die Predigt (s. d.) zu seinem Mittelpunkt erhob und alles, was Zeremonie (s. d.) heißt, für eine freie Sache der Kirche erklärte.
Überhaupt ist der Kultus nach reformatorischen Prinzipien niemals Selbstzweck, wird vielmehr nur als Unterrichts- und Erziehungsmittel verwertet, hat aber um seiner pädagogischen Bedeutung willen relativen Wert, sofern er nach Luther zur Erweckung und Erhaltung des Glaubens durch das Wort, nach Zwingli zur Anregung des religiös-sittlichen Lebens dient. S. Liturgie und Priester.
Vgl. Ehrenfeuchter, Theorie des christlichen Kultus (Gotha 1840);
Kliefoth, Theorie des Kultus der evangelischen Kirche (Parchim 1844);
Alt, Der christliche Kultus (Berl. 1851-60, 2 Tle.);
Harnack, Theorie und Geschichte des Kultus (Erlang. 1878);
Köstlin, Geschichte des christlichen Gottesdienstes (Freib. i. B. 1886).