Kudrun
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s. Gudrun.
Kudrun
6 Wörter, 38 Zeichen
Kudrun,
s. Gudrun.
(mittelhochd. Kûtrûn), deutsches Epos, welches gewissermaßen den versöhnenden Gegensatz zum Nibelungenlied bildet, insofern darin die aufopfernde Treue, das demütige Dulden und der Adel einer deutschen Frauenseele dargestellt wird. Den Inhalt bildet die Sage von drei Generationen: von Hagen, [* 3] dem König von Irland, und dessen Jugendgeschichte, von der Werbung des Hegelingenkönigs Hettel um dessen Tochter Hilde und endlich von Gudrun, der Tochter von Hettel und Hilde.
In der Erzählung von Hettels Werbung um Hilde ist vor allem die Schilderung des Gesangs des Stormankönigs Horant als eine altberühmte und oft dargestellte Sage hervorzuheben. Die Abgesandten des Königs Hettel, seine Mannen Horant, Frute und Wate, kommen an den Hof [* 4] des Königs von Irland, um seine ängstlich von ihm gehütete Tochter Hilde für ihren Verwandten Hettel zu gewinnen. Horant erhebt seinen wunderbar süßen Gesang an einem stillen Abend in der Burg des Königs am Seeufer und gewinnt dadurch die Jungfrau, ihm heimlich zu Hettel zu folgen, dessen Gemahlin sie wird.
Ihre Kinder sind Ortwin und Gudrun. Um letztere wirbt Hartmut, ein Normannenkönigssohn. Aber alte Feindschaft zwischen den Geschlechtern läßt es nicht zu einem glücklichen Erfolg des Werbens kommen; dagegen weiß sich Herwig, der König von Seeland, die Liebe der schönen Gudrun zu erkämpfen. Allein kurz nach dem Verlöbnis machen Vater und Verlobter einen Kriegszug in ein fernes Land, und während ihrer Abwesenheit rückt Hartmut mit seinem Vater, König Ludwig, vor die Burg, erobert sie und führt Gudrun von dannen.
Hettel und Herwig mit ihren Helden, unter ihnen vor allen Wate, ereilen die Räuber auf dem Wulpensand oder Wulpenwerd, einer Nordseeinsel. Hier wird nun eine in alten Liedern vielfach gefeierte blutige Schlacht geschlagen; bis unter die Arme im Meer stehend, fechten die Helden, so daß das Meerwasser von Blut gesalbt wird. Als der Abend hereinbricht, wird der geraubten Gudrun Vater Hettel von des Räubers Vater, dem Normannenkönig Ludwig, erschlagen; während der Nacht entfliehen die Normannen mit ihrer Beute, und Wate fehlen die Streitkräfte zum Nachsetzen in Feindesland.
Als der alte Normannenkönig der Gudrun freundlich zuredet, Hartmut zu minnen, und ihr Freude und Ehre an dessen Seite verheißt, zieht Gudrun den Tod der Vermählung mit Hartmut vor. Zornig schleudert der Normannenhäuptling die Jungfrau über Bord in die See, aber Hartmut rettet sie aus den Wogen. Die Mutter Hartmuts, Gerlinde, empfängt Gudrun anfangs freundlich; bald aber, als auch sie umsonst ihre Überredungskunst an ihr versucht hat, schreitet sie in ihrem »wölfischen« Sinn zu Mißhandlung: Gudrun muß die Dienste [* 5] der niedrigsten Magd verrichten, den Ofen heizen und die Kleider am Meergestade waschen. Erst nach einer Reihe von Jahren kann ihr Vaterland eine Heerfahrt zu ihrer Befreiung rüsten. Nach langer gefahrvoller Seereise gelangen die Helden an eine Insel, von deren hohen Bäumen aus sie fernher die Normannenburgen aus der See heraufglänzen sehen. Gudrun geht, wie sie seit Jahren her täglich gethan, zum Gestade, die Wäsche zu waschen; da ¶
wird ihr in Vogelgestalt ein Engel (in der ursprünglichen Sage jedenfalls eine der Zukunft kundige Schwanenjungfrau, wie deren auch im Nibelungenlied erscheinen) gesandt, sie zu trösten. Aber zorniges Schelten erwartet sie bei ihrer Heimkehr von seiten der argen Gerlinde, weil sie den ganzen Tag mit dem Waschen zugebracht, und am nächsten Morgen muß sie, wiewohl nachts ein tiefer Schnee [* 7] gefallen ist, barfuß am Meergestade ihre Wäsche vollenden. An ebendiesem Morgen aber kommen Ortwin und Herwig, um Kunde einzuziehen, in einer Barke in die Nähe derselben Stelle.
Die beiden Kriegsmänner, Gudrun nicht erkennend, erkundigen sich bei ihr nach Land und Leuten und vernehmen von ihr, daß man wohlgerüstet sei und nur vor Einem Feinde, den Hegelingen, Besorgnis hege. Auf die Frage ihres Bruders Ortwin, ob nicht eine Jungfrau Gudrun einst als Geraubte hierher gebracht worden sei, gibt sich letztere für eine der mit jener geraubten Jungfrauen aus und meldet den Tod jener. Aber als der Seelandskönig ihr den Ring zeigt, mit dem ihm Gudrun verlobt worden, gibt sie sich zu erkennen.
Herwig will sie auf der Stelle mit sich nehmen. Aber auf Ortwins Mahnung, daß es sich nicht gezieme, das im Kampf Geraubte heimlich zu entwenden, fahren beide Fürsten zurück zu ihrer Kriegsflotte, um den Sturm auf die Normannenburg vorzubereiten; Gudrun aber, im erwachten stolzen Selbstgefühl, wirft die Leinwand, statt sie zu waschen, in die See. Deshalb von Gerlinde mißhandelt, stellt sie sich, als wolle sie nunmehr Hartmut heiraten. Im darauf folgenden Kampf fällt der Normannenkönig Ludwig unter Herwigs Streichen; die erboste Gerlinde will dafür Gudrun erschlagen haben, und schon ist das Schwert über deren Haupt gezückt, als Hartmut edelmütig dem Verbrechen wehrt.
Dieser wird gefangen, und der zornige Wate dringt in das Frauengemach, um Gerlinde den verdienten Lohn zu geben. Gudrun aber verleugnet sie, gleichen Edelmut wie Hartmut beweisend; dessenungeachtet weiß Wate sie zu finden und schlägt ihr das Haupt ab. Hierauf folgt die Heimfahrt, Sühne und dreifache Vermählung: zwischen Herwig und Gudrun, zwischen dem Normannenkönig Hartmut und Hildburg, einer von Gudruns Gefährtinnen, und zwischen Ortwin, Gudruns Bruder, und Ortrun, der normännischen Königstochter.
Das Gedicht, das in einer der Nibelungenstrophe nachgebildeten Strophenform abgefaßt ist und wahrscheinlich von einem österreichischen Dichter (um 1190?) herrührt, ist nur in einer einzigen Handschrift erhalten, die auf Befehl Maximilians I. angefertigt ist und auf Schloß Ambras in Tirol [* 8] 1820 gefunden wurde. Die erste Ausgabe des Gedichts veranstaltete v. d. Hagen im 1. Band [* 9] seines »Heldenbuchs« (Berl. 1820); ihr folgten die Editionen von Ziemann (in reines Mittelhochdeutsch umgesetzt, Quedlinb. 1835) und von Vollmer (Leipz. 1845). Die neuesten und besten Ausgaben sind die von erklärenden Anmerkungen begleiteten von Bartsch (Leipz. 1865, 4. Aufl. 1880; auch in Kürschners »Nationallitteratur«, Stuttg. 1885) und von Martin (in Zachers »Germanistischer Handbibliothek«, Halle [* 10] 1872), die von Symons (das. 1883). Übersetzungen des Gedichts liegen vor von San Marte (Berl. 1839) u. Keller (Stuttg. 1840); besser von Simrock (das. 1843, 8. Aufl. 1873), von Klee (Leipz. 1878), von Weitbrecht (Stuttg. 1884) u. a. In neuerer Zeit sind drei Versuche gemacht worden, auch im Gudrunlied, wie im Nibelungenlied, die echten, auf alter Volkssage beruhenden Teile von den Zuthaten späterer Kunstpoesie zu trennen: zuerst von Ettmüller in: »Gudrunlieder« (Zürich [* 11] 1841),
dann von Müllenhoff in: »Kudrun, die echten Teile des Gedichts« (Kiel [* 12] 1845),
der von dem überlieferten Text nur 415 Strophen übrigläßt, zuletzt von W. v. Plönnies in: »Kudrun. Übersetzung und Urtext mit erläuternden Abhandlungen« (Leipz. 1853).
Vgl. Keck, Die Gudrunsage (Leipz. 1867);
Bartsch, Beiträge zur Geschichte und Kritik der Kudrun (Wien [* 13] 1865);
Wilmanns, Die Entwickelung
der Kudrun
dichtung (Halle 1873).
In der nordischen Sage ist Gudrun Name der Kriemhild, der Gemahlin Siegfrieds.