Durch drei
Punkte einer ebenen krummen
Linie läßt sich stets ein
Kreis
[* 2] legen. Denkt man sich einen der
drei
Punktefest = P und läßt die beiden andern immer näher an ihn heranrücken und endlich mit ihm zusammenfallen, so geht
der
Kreis über in den
Oskulations- oder Krümmungskreis des
Punktes P. Es ist dies unter den verschiedenen Berührungskreisen,
die alle im
Punkt P die
Tangente mit der krummen
Linie gemein haben, derjenige, welcher sich am innigsten
an die
Kurve anschließt.
SeinMittelpunkt liegt auf der
Normalen, d. h. auf der
Geraden, welche
man in P senkrecht auf der
Tangente
der
Kurve errichten kann, und heißt der Krümmungsmittelpunkt; sein
Halbmesser wird der Krümmungshalbmesser genannt. Errichtet
man in zwei
Punkten P und P' der
Kurve die
Normalen, welche sich in R schneiden und den
Winkel
[* 3] t einschließen,
und ist der
Bogen
[* 4]
P P' = σ,
¶
mehr
so ist mit um so größerer Genauigkeit σ = RP . τ = RP' . τ, je kleiner PP' ist, und daher RP = σ/τ, wobei σ als Bogen
eines Kreises vom Halbmesser A ausgedrückt ist (180° = π, 1° = π/180 etc., s.
Kreis). Daher ist der Krümmungshalbmesser ρ gleich dem Grenzwert, den σ/τ annimmt, wenn σ und τ in
Null übergehen. Die Berechnung dieses Wertes ist Gegenstand der Differentialrechnung.
[* 6] Da die Krümmung eines Kreises um so geringer
ist, je größer sein Halbmesser, so betrachtet man als Maß der Krümmung einer ebenen Kurve die Einheit, dividiert durch den Krümmungshalbmesser.
Handelt es sich um eine Kurve im Raum, deren Punkte nicht in einer Ebene liegen, so kann man durch drei Punkte derselben eine
Ebene und in dieser einen Kreis legen. Läßt man die drei Punkte zusammenfallen, so geht die Ebene in die Oskulations- oder Schmiegungsebene,
der Kreis in den Krümmungskreis über; der reciproke Wert des letztern ist das Krümmungsmaß für die
erste Krümmung der Kurve. Eine solche Kurve hat aber noch eine zweite Krümmung: denken wir uns für zwei benachbarte Punkte P und P' die
Oskulationsebenen konstruiert, welche einen Winkel τ' einschließen, so ist der Wert, dem τ'/(PP') sich unbegrenzt
nähert, wenn Zähler und Nenner zugleich in Null übergehen, das Maß für die zweite Krümmung oder für die Torsion (Windung). Deshalb
heißen auch solche Kurven gewundene Kurven oder Kurven doppelter Krümmung. - Die Krümmung der krummen Flächen endlich beurteilt man nach
der Krümmung ihrer Normalschnitte, d. h. der Schnitte, deren Ebenen senkrecht auf der Tangentialebene eines Punktes
P der Fläche stehen. Unter diesen Schnitten hat einer in P den größten Krümmungsradius ρ, der darauf rechtwinkelige aber
den kleinsten ρ'; Krümmungsmaß für die Fläche ist dann nach Gauß 1/(ρρ').
Die Krümmung einer Kurve ist ein mathematisch definierbarer Begriff, der durch Vergleichung mit der konstanten
Krümmung eines Kreisbogens erhalten wird; dieser erscheint um so flacher, je größer der zugehörige Radius ist.
Legt man durch drei beliebige Punkte einer Kurve einen Kreis und variiert diesen so, daß alle drei in
einen Kurvenpunkt zusammenfallen, so erhält man einen Krümmungskreis. Zwei unendlich nahe Normalen der Kurven schneiden
sich im Krümmungsmittelpunkt. Das Maß der in einem Kurvenpunkt ist dem reciproken Krümmungsradius (Ankylometer) gleich.
Der Ort der Krümmungsmittelpunkte einer ebenen Kurve heißt Evolute (s. d.). - Vollzieht man obige Konstruktion an
einer Raumkurve und zwar in einer Schmiegungsebene derselben, so erhält man den Oskulationskreis eines Kurvenpunktes mit
dem Radius der ersten Krümmung. Dieser Radius läßt sich auch als Quotient des Bogenelements, dividiert durch den
von zwei unendlich nahen Tangenten gebildeten Winkel, definieren. Im Anschluß hieran heißt der Quotient des Bogenelements,
dividiert durch den von zwei unendlich nahen Schmiegungsebenen gebildeten Winkel, der Radius der zweiten
Krümmung Verschwindet diese zweite Krümmung, d. h. wird der zugehörige Radius
unendlich groß, so ist die Kurve eben. Verschwindet die erste Krümmung, so ist die Kurve eine Gerade. - Bei einer Fläche sind die
Krümmung aller durch einen Punkt gehenden ebenen Schnitte zu betrachten.
Doch ist nach einem von Meusnier gegebenen Satze der Krümmungsradius
eines schiefen Schnittes gleich der Projektion
[* 8] des Krümmungsradius
desjenigen Normalschnittes, der mit ihm dieselbe Tangente hat; sonach sind nur diejenigen Schnitte in Betracht zu ziehen,
welche die Flächennormale enthalten. Unter allen diesen Normalschnitten giebt es (nach Euler) im allgemeinen
einen, dem die größte, und einen, dem die kleinste Krümmung entspricht, die sog. Hauptschnitte.
Daneben giebt es indessen Flächenpunkte, bei denen ausnahmsweise alle Krümmungsradien einander gleich sind, die sog.
Nabel- oder Kreispunkte.
Das reciproke Produkt der beiden Hauptkrümmungsradien heißt nach Gauß das Krümmungsmaß. Ist dasselbe
positiv, so ist die Fläche in Bezug auf ihre Tangentialebene in demselben Sinne gekrümmt, wie z. B. bei der Kugel oder dem
Ellipsoid;
[* 9] ist es aber negativ, so haben die Hauptkrümmungsradien entgegengesetztes Vorzeichen, wie z. B. bei dem hyperbolischen
Paraboloid oder den Minimalflächen. Solche Flächen heißen Sattelflächen. Flächen, deren Krümmungsmaß beständig null
ist, heißen abwickelbare Flächen. (S. Abwickelbar; vgl. auch Indikatrix.)