Kriebelkra
nkheit,
Kornstaupe oder
Ergotismus (vom frz. ergot,
Mutterkorn,
Morbus cerealis, eine infolge von längerm Genuß
des
Mutterkorns (s. d.) entstehende, in der Regel epidemisch auftretende
Krankheit, welche je nach der Menge des genossenen
Mutterkorns in zwei verschiedenen Formen auftritt: als konvulsivische und als brandige. Die erstere ist häufiger in
Deutschland
[* 2] und
Rußland, die letztere mehr in
Frankreich beobachtet worden. Die konvulsivische oder eigentliche
Kriebelkra
nkheit, auch
Mutterkornkrampf oder
Krampfsucht genannt
(Ergotismus convulsivus s. spasmodicus), giebt sich durch
Kopfschmerzen, Schwindel,
Ohrensausen, Mattigkeit und durch ein
^[ Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.] ¶
mehr
sehr charakteristisches Kriebeln in der Haut [* 4] zu erkennen, welches auf einer eigentümlichen Erregung der sensiblen Hautnerven beruht. Außerdem stellen sich Taubheit, Gefühllosigkeit, schmerzhaftes Zucken der Zunge, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle ein. In diesem Stadium der Krankheit kann vollständige Genesung erfolgen, wenn dem weitern Genuß des Mutterkorns rechtzeitig vorgebeugt wird. Bei fortgesetzter Vergiftung dagegen folgen heftiger Durst und Heißhunger, schmerzhaftes Ziehen im Rücken, ja sogar quälende, lange anhaltende Gliederkrämpfe, Blindheit, epileptische Anfälle, Tobsucht und Blödsinn, bis schließlich (in schweren Fällen nach wenigen Tagen, in andern erst nach vier bis acht Wochen) der Tod dem schweren Leiden [* 5] ein Ende macht.
Die brandige Form des Ergotismus, der sog. Mutterkornbrand, die Brandseuche oder das Antoniusfeuer (Ergotismus gangraenosus), beginnt mit Eingenommenheit des Kopfes, Schwindel, Betäubung, Krämpfen, Diarrhöe, Erbrechen und endet mit Brandigwerden einzelner Glieder, [* 6] die erst anschwellen und sich rotlaufartig entzünden, dann kalt werden und zuletzt entweder zu einer schwarzen hornartigen Masse zusammentrocknen oder, nachdem sich zuvor auf der Haut mit blutiger Jauche erfüllte Blasen gebildet haben, unter einem typhusartigen Fieber sich in eine penetrant stinkende schmierige Masse verwandeln.
Amputationen können oft den Kranken retten; bei raschem Umsichgreifen des Brandes tritt aber unvermeidlich der Tod durch Pyämie
oder Eitervergiftung des Blutes ein. Diese furchtbare Form der Kriebelkra
nkheit, deren Dauer zwischen 4-6 Wochen schwankt,
ist wiederholt in größern mörderischen Epidemien aufgetreten; so 1709-16 in der Schweiz,
[* 7] 1710 in Italien,
[* 8] 1747 in der Solange
in Frankreich, 1828-29 in Frankreich und den Niederlanden, 1855-56 in Deutschland und anderwärts.
Die Ursache der Kriebelkra
nkheit ist immer der Genuß von Brot,
[* 9] welches aus unreinem, mit viel Mutterkorn vermischtem
Getreide
[* 10] gebacken ist, weshalb die Epidemie gewöhnlich nach Zeiten und in Landstrichen auftritt, in denen durch ungünstige
Naturereignisse Mißwachs hervorgebracht worden ist. -
Vgl. Heusinger, Studien über den Ergotismus (Marb. 1856);
Hirsch, [* 11] Handbuch der histor.-geogr. Pathologie, Bd. 2 (2. Aufl., Stuttg. 1883).
Auch bei den Haustieren entsteht die Kriebelkra
nkheit durch Vergiftung mit Mutterkorn. Ihre Erscheinungen sind: Speicheln,
Kolik, Wehen, Verwerfen, Gefühllosigkeit;
bei chronischer Vergiftung: Absterben der Ohren, des Schwanzes und der Klauen.