Kreisverfa
ssung,
im modernen Staatswesen diejenige Verwaltungseinrichtung, bei welcher die Zusammenfassung der Gemeinden in Bezirke oder Kreise [* 3] (Kommunalverbände) nicht nur die Bedeutung einer politischen Einteilung zum Zweck der innern Landesverwaltung hat, sondern auch zugleich zur Erreichung selbständiger wirtschaftlicher Zwecke erfolgt ist. Namentlich in Preußen [* 4] ist der Kreis [* 5] nicht nur der Verwaltungsbezirk der erstinstanzlichen Administrativbehörde (des Landrats), sondern zugleich das Organ der kommunalen Selbstverwaltung (Self-government).
Der
Landrat, welcher an der
Spitze des
Kreises steht, ist zugleich
Beamter der innern
Verwaltung des
Staats und als Kreisvorstand
der
Chef der kommunalen
Selbstverwaltung desselben. Ursprünglich waren in
Preußen die
Provinzen, in welche
die
Monarchie, und die
Kreise, in welche die Regierungsbezirke der
Provinzen zerfallen, lediglich Verwaltungsbezirke des
Staats
mit staatlichen
Organen an ihrer
Spitze. Erst die nach englischem
Muster im
Gegensatz zu dem französischen
System der
Zentralisation
auf die Einführung der
Selbstverwaltung gerichteten Bestrebungen der neuern Zeit schufen aus dem
Kreis
wie aus der
Provinz
Gemeindeverbände höherer
Ordnung mit korporativen
Rechten und mit
Organen der
Selbstverwaltung, indem
Hand
[* 6] in
Hand mit der
Ausbildung der Kreisverfa
ssung diejenige der
Provinzialverfassung (s. d.) ging.
Dies ist die Bedeutung der Dreiteilung des
Landes in
Provinzen,
Kreise und
Gemeinden. Die in neuerer Zeit
erfolgte Einschiebung einer Zwischenbehörde zwischen
Landrat und
Gemeindevorstand in dem
Institut der
Amtsvorsteher ist im wesentlichen
nur für die Ausübung der
Ortspolizei von Wichtigkeit. Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Kreisverfa
ssung steht allerdings auch eine
Organisation der Regierungsbezirke der
Provinzen, indem dem Regierungspräsidenten ein Bezirksausschuß
beigegeben ist, der zugleich als Bezirksverwaltungsgericht fungiert, und der an den
Geschäften der Landesverwaltung in beschränktem
Umfang teilnimmt.
Der Schwerpunkt [* 7] der kommunalen Selbstverwaltung liegt jedoch in den drei Verbänden der Provinz, des Kreises und der Gemeinde, und die Bestrebungen, diese Dreiteilung in voller Reinheit zur Durchführung zu bringen, stehen nicht mehr vereinzelt da. Eigentliche Kommunalverbände bilden übrigens die Regierungsbezirke nicht, soweit sie nicht, wie in Schleswig-Holstein [* 8] und in Hohenzollern, [* 9] mit der Provinz zusammenfallen oder doch an deren Stelle treten.
Für die östlichen Provinzen der preußischen Monarchie, nämlich Ost- und Westpreußen, [* 10] Brandenburg, [* 11] Pommern, [* 12] Schlesien [* 13] und Sachsen, [* 14] ist durch die Kreisordnung vom neu redigiert durch Gesetz vom der Schwerpunkt der Verwaltung aus den Bezirksregierungen heraus in die Kreise gelegt. Städte, die mit Ausschluß der aktiven Militärpersonen mehr als 25,000 Einwohner haben, ausnahmsweise auf Grund königlicher Verordnung auch kleinere Städte, können aus dem Kreisverband ausscheiden und neben den Landkreisen Stadtkreise bilden.
Die Organe der Kreisverwaltung sind der Kreistag, der Kreisausschuß und der Landrat. Die Zahl der Mitglieder des Kreistags, welche nach der Bevölkerungsziffer bemessen wird, ist mindestens 25. Zum Zweck der Wahl der Kreistagsabgeordneten werden die drei Wahlverbände der größern ländlichen Grundbesitzer der Landgemeinden und der Städte gebildet. Der Kreistag vertritt den Kreiskommunalverband, er beschließt über die Kreis- und über die sonstigen Angelegenheiten, welche ihm zur Beratung und Beschlußfassung überwiesen sind.
Insbesondere ist er zum Erlaß von Kreisstatuten und von Reglements für besondere Kreiseinrichtungen, z. B. für Kreissparkassen, befugt. Ihm liegt die Beschlußfassung über etwanige Kreisanleihen, die Feststellung des Kreishaushaltungsetats und der Kreisabgaben, die Verfügung über das Grund- und Kapitalvermögen des Kreises (Kreisdotation), die Reparation der Staatsleistungen, welche »kreisweise« aufzubringen sind, die Wahl des Kreisausschusses, die Begutachtung von Staatsangelegenheiten, die Wahl der Kommissionen für die Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung und für besondere Kreiszwecke (Kreiskommissionen) ob. Die ¶
mehr
Beschlüsse des Kreistags werden im Kreisblatt veröffentlicht. Den Vorsitz auf dem Kreistag führt der Landrat. Die laufende Kreisverwaltung führt der Kreisausschuß, welcher aus sechs vom Kreistag gewählten Mitgliedern, ebenfalls unter dem Vorsitz des Landrats, besteht. Der Kreisausschuß bildet den Mittelpunkt der kommunalen Selbstverwaltung des Kreises, indem ihm als Organ der Kreiskorporation die Verwaltung der Kreiskommunalangelegenheiten, als Organ des Staats die Wahrnehmung von Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung obliegt. Zu den letztern gehören die armen-, wege-, feld-, gewerbe-, bau- und feuerpolizeilichen und die Dismembrationsangelegenheiten, die Gemeindesachen, insbesondere das Schulwesen der Landgemeinden und die Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheitspflege.
Als einer Kommunalbehörde liegt dem Kreisausschuß die Ernennung und Beaufsichtigung der Kreisbeamten, z. B. der Kreisbaumeister, die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse des Kreistags und die Erledigung der Kreisangelegenheiten überhaupt ob. Außerdem bildet der Kreisausschuß das Verwaltungsgericht erster Instanz. In dieser letztern Hinsicht und als Beschlußbehörde in Landesverwaltungssachen entspricht ihm in Stadtkreisen der Stadtausschuß.
Zur Vertretung des Landrats, insbesondere auch auf dem Kreistag und im Kreisausschuß, werden von dem Kreistag auf jeweilig sechs Jahre zwei Kreisdeputierte gewählt; für kürzere Verhinderungsfälle tritt der Kreissekretär als Stellvertreter ein. Der Landrat selbst wird zwar vom König ernannt, doch kann der Kreistag geeignete Personen aus der Zahl der Grundbesitzer und der sonstigen Personen, welche dem Kreis durch Wohnsitz und zwar mindestens seit einem Jahr angehören, in Vorschlag bringen, wofern dieselben die gesetzliche Qualifikation besitzen.
Die Staatsaufsicht über die Landkreise wird von dem Regierungspräsidenten, in höherer und letzter Instanz von dem Oberpräsidenten
ausgeübt. Die Kreisverfa
ssung ist nunmehr, allerdings mit einigen Abweichungen, auch für die Provinzen Hannover
[* 16] (Kreisordnung
vom Hessen-Nassau
[* 17] (Kreisordnung vom Westfalen
[* 18] (Kreisordnung vom und die Rheinprovinz
[* 19] (Kreisordnung
vom ins Leben getreten. In der Provinz Posen
[* 20] sind, ebenso wie in der Rheinprovinz, aus den drei Ständen der Rittergutsbesitzer,
Städte und Landgemeinden (Kreisstände) auf Grund königlicher Verordnung Kreistage zusammengesetzt. Für
Schleswig-Holstein wurden durch Verordnung vom gleichfalls Kreisstände berufen. In Hohenzollern sind die vier Amtsverbände
mit Amtsversammlungen als kommunalen Vertretungskörpern versehen.
Auch außerhalb Preußens
[* 21] bestehen fast in allen deutschen Staaten Organisationen der kommunalen Selbstverwaltung. In verschiedenen
Kleinstaaten, Anhalt,
[* 22] Braunschweig
[* 23] und Waldeck,
[* 24] sind nach Analogie der preußischen Kreisverfa
ssung Kreisversammlungen,
die einen Kreisausschuß erwählen, zur Wahrnehmung der kommunalen Interessen der Kreise konstituiert, während in verschiedenen
Thüringer Staaten keine Kreis- oder Bezirksversammlungen, sondern lediglich Bezirks- oder Kreisausschüsse, in Reuß
[* 25] ältere Linie
ein Landesausschuß, existieren. In Bayern
[* 26] wird der Kommunalverband des Distrikts als Distriktsgemeinde
bezeichnet und von einem Distriktsrat vertreten, welch letzterer sich nach dem Gesetz vom aus Großgrundbesitzern
und aus Abgeordneten der Gemeinden zusammensetzt,
zu denen noch ein Vertreter des Fiskus (Staatsärars) hinzutritt, wenn der
letztere bei der Ausschreibung von Umlagen beteiligt ist.
Zum Zweck der laufenden Verwaltung wählt der Distriktsrat einen Distriktsausschuß von sechs Mitgliedern. Das Organ der kommunalen Selbstverwaltung der bayrischen Regierungsbezirke ist der Landrat mit einem Landratsausschuß. Im Königreich Sachsen bildet jede Amtshauptmannschaft einen Bezirksverband, welcher durch die Bezirksversammlung vertreten wird. Diese setzt sich aus den Vertretern der Höchstbesteuerten und der Stadt- und Landgemeinden zusammen.
Diese Bezirksversammlung wählt einen Bezirksausschuß. Für die Regierungsbezirke oder Kreishauptmannschaften ist ein Kreisausschuß vorhanden. In Württemberg stehen den Oberamtmännern Amtsversammlungen als kommunale Vertretungen der Bezirke zur Seite. In Baden [* 27] bestehen für die Verwaltungsbezirke Bezirksräte, auch können mehrere Bezirke zu einem »Kreis« vereinigt werden, der durch eine Kreisversammlung vertreten wird, die den Kreisausschuß wählt.
In dem Großherzogtum Hessen [* 28] bilden die Kreistage die kommunale Vertretung der Kreise. Aus den Kreistagen gehen die Provinzialtage für die Provinzen hervor. Der Kreisrat, als Kreisvorstand, bildet mit sechs gewählten Mitgliedern den Kreisausschuß, der Provinzdirektor mit acht gewählten Mitgliedern den Provinzialausschuß. In Elsaß-Lothringen [* 29] bestehen für die Bezirke, Kreise und Gemeinden in den Bezirkstagen, Kreistagen und Munizipalräten besondere Vertretungen, welche aus den Wahlen der Bezirks-, Kreis- und Gemeindeangehörigen hervorgehen.
Vgl. außer den Lehrbüchern des gemeinen und partikulären Staatsrechts: v. Brauchitsch, Die neuen preußischen Verwaltungsgesetze (9. Aufl., Berl. 1886, 3 Bde.);
Ausgaben der Kreisordnung von Höinghaus (4. Aufl., das. 1881), Parey (3. Aufl., Magdeb. 1875), Wachler (2. Aufl., Bresl. 1875) u. a.; Parey, Die neuen preußischen Verwaltungsorganisationsgesetze (Magdeb. 1881, 3 Bde.);
Stengel, [* 30] Die Organisation der preußischen Verwaltung (Leipz. 1884);
Illing, Handbuch für preußische Verwaltungsbeamte (Berl. 1886, 2 Bde.);
Bornhak, Die Kreis- und Provinzialordnungen des preußischen Staats (das. 1887).