Kreditgenossenschaften,
s. Genossenschaften, S. 105.
5 Wörter, 53 Zeichen
s. Genossenschaften, S. 105.
im weitern Sinn Verbindungen von Personen, welche zur Erreichung gemeinschaftlicher Zwecke Kapital und Arbeitskräfte einschießen. Solche Verbindungen haben sich schon in den ältesten Zeiten gebildet; die alten Feldgemeinschaften, wie sie in vielen Ländern vorkommen, die Markgenossenschaften und die Handwerkerverbindungen zur römischen Kaiserzeit waren ebenso Genossenschaften wie die im Mittelalter entstandenen Gilden und Zünfte der Kaufleute und des Handwerkerstandes.
Bei den Genossenschaften tritt, zum Unterschied von den Handelsgesellschaften, bei denen reine Kapitalbeteiligungen vorkommen, die Person mit ihrer Verantwortlichkeit mehr in den Vordergrund. Der Begriff ist allerdings je nach der Entwickelung der Praxis und der Verschiedenheit der Gesetzgebung ein schwankender. Es gibt Genossenschaften, bei denen die Zugehörigkeit der Person durch die Natur der Sache, durch Lage und Beschaffenheit von Gegenständen bedingt ist (verschiedene landwirtschaftliche Genossenschaften, wie Meliorations-, Deich-, Be- u. Entwässerungsgenossenschaften, Waldgenossenschaften).
Die Zahl der Mitglieder solcher Genossenschaften ist von vornherein eine bestimmt gegebene, oder ihre durch Teilungen oder Vereinigungen von Besitz hervorgerufene Veränderung hat keinen Einfluß auf den Kreis der genossenschaftlichen Wirksamkeit. Es gibt ferner Genossenschaften, bei denen die Haftpflicht der Mitglieder von derjenigen der Mitglieder einer Aktiengesellschaft sich überhaupt nicht unterscheidet; solche, bei welchen die Genossen sich am genossenschaftlichen Leben durch Arbeit nicht mehr beteiligen als der Aktionär an der Aktienunternehmung; endlich freie Genossenschaften neben Zwangsgenossenschaften, bei denen der Wille der Majorität oder des Gesetzes den Beitritt erzwingt, den Austritt verhindert (Waldschutzgenossenschaften, landwirtschaftliche Meliorations-, Be-, Entwässerungsgenossenschaften, Deichgenossenschaften oder Deichverbände).
Daher ist der Begriff nur länderweise je nach den gesetzlichen Bestimmungen über die verschiedenen Gruppen von Genossenschaften, dann auch nach der Besonderheit der einzelnen Gebiete genossenschaftlicher Wirksamkeit bestimmt zu geben. Allerdings denkt man gewöhnlich, wenn von Genossenschaften schlechthin die Rede ist, an solche, welche im Gegensatz zu den alten Zünften sich auf dem Weg freiwilliger Vereinigung bilden, um durch ihre Vereinigung die Vorteile des Großbesitzes und des Großbetriebes zu erreichen.
Der Zahl und dem Geschäftsumfang nach stehen heute die gewerblichen Zwecken dienenden, auch im Gebiet des landwirtschaftlichen Gewerbebetriebes anwendbaren Genossenschaften, insbesondere die Kredit- oder Vorschußvereine, in erster Linie. In Deutschland war der Rechtsboden derselben vor ihrer besondern gesetzlichen Regelung ein durchaus unsicherer. Letztere erfolgte durch Schaffung eines besondern Genossenschaftsrechts, um dessen Begründung Schulze-Delitzsch sich hervorragende Verdienste erworben hat.
Vor allem war es nötig, daß die Genossenschaften die Rechte einer juristischen Persönlichkeit erlangen können. Dies ermöglicht das norddeutsche Bundesgesetz vom (seit 1873 gültig für das ganze Deutsche Reich). Nach demselben können Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Kredits, des Erwerbes oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken, die Rechte einer eingetragenen Genossenschaft erwerben.
Alle andern Gesellschaften und Vereine sind in das Genossenschaftsregister nicht eintragbar, also nicht Genossenschaften im Sinn des genannten Gesetzes (Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften). Die Firma muß eine von andern Firmen desselben Ortes deutlich unterschiedene, die Bezeichnung »eingetragene Genossenschaft« führende Sachfirma sein. Staatliche Genehmigung ist für Begründung und Einregistrierung nicht erforderlich, dagegen muß der schriftlich abzufassende Gesellschaftsvertrag (Statut) bestimmten gesetzlichen Erfordernissen genügen.
Zur Erleichterung der Abfassung eines solchen Statuts hat Schulze-Delitzsch Musterstatuten veröffentlicht. Das Geschäftskapital ist ein nach der wechselnden Mitgliederzahl veränderliches. Dasselbe wird zunächst durch die Geschäftsanteile gebildet, welche jedes Mitglied bis zu statutenmäßig bestimmter Höhe einzuzahlen hat. Diese Anteile sind, um eine größere Beteiligung kleiner Leute zu ermöglichen, meist niedrig bemessen; auch können sie in Raten entrichtet werden. Im letztern Fall werden jedoch Gewinnanteile nicht ausgezahlt, sondern dem Geschäftsanteil so lange zugeschlagen, bis derselbe seine statutenmäßige Höhe erreicht hat.
Gewinn und Verlust werden bei Vorschußvereinen in der Regel nach Höhe der Geschäftsanteile verteilt, während bei andern Genossenschaften die Gewinnverteilung nach dem Umsatz die Regel bildet. Die Mitgliedschaft erlischt durch Tod, freiwilligen Austritt oder durch Ausschließung. Die Genossenschaften haben Kaufmannseigenschaft, ihr Geschäftsbereich kann sich auf die Mitglieder beschränken, jedoch auch auf Nichtmitglieder ausdehnen. Das deutsche Gesetz verlangt ausschließlich unbeschränkte Haftpflicht, während andre Länder sich für das Wahlsystem entschieden haben und der Gesellschaft überlassen, ob sie sich mit beschränkter oder mit unbeschränkter Haftbarkeit konstituieren will. Dabei gilt im Zweifelsfall in England und Frankreich die beschränkte, in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz die unbeschränkte Haftpflicht als normal. Ehe die Genossenschaften rechtlich anerkannt waren, waren ihre Mitglieder nach gemeinem Recht solidarisch haftbar. Nach dem preußischen Gesetz vom hafteten sie mit ihrem Vermögen solidarisch erst,
insoweit das Gesellschaftsvermögen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten nicht ausreichte. Auch nach jetzt gültigem Rechte dient zunächst das Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung der Gläubiger. Wenn dasselbe nicht zureicht, so kommt, um Regreßprozesse zu vermeiden, das die Härten der Solidarhaft mildernde Umlageverfahren in Anwendung, d. h. der Vorstand stellt einen Verteilungsplan auf, in welchem berechnet ist, welche Beiträge jedes Mitglied zu leisten hat.
Dieser Plan kann gerichtlich als zwangsweise vollstreckbar erklärt werden, was jedoch dessen (freilich nicht mit Suspensivwirkung verknüpfte) Anfechtbarkeit auf dem Weg der Klage durch die einzelnen Genossenschafter nicht ausschließt. Die Frage, ob nur unbeschränkte Haft oder daneben auch nach freier Wahl der Gesellschaft mit Wahrung der nötigen Sicherheit für Dritte die beschränkte Haft zulässig sein soll, bildete in den letzten Jahren in Deutschland einen Gegenstand lebhafter Erörterung, die eine im allgemeinen der freien Wahl zuneigende Anschauung gefördert hat.
Übrigens bietet das Innungsgesetz vom in beschränktem Rahmen Gelegenheit, einzelne Aufgaben von Genossenschaften zu lösen, ohne die durch das Genossenschaftsgesetz vorgeschriebene persönliche Haftung der Mitglieder übernehmen zu müssen. Nach dem genannten Gesetz können die neuen Innungen zur Förderung des Geschäftsbetriebes ihrer Mitglieder einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb einrichten. Nach § 99 der Gewerbeordnung haftet aber für alle Verbindlichkeiten der Innung nur das Innungsvermögen. Die vor 1873 in Bayern gegründeten Genossenschaften, welchen das Gesetz vom das Recht der beschränkten Haftpflicht zugestanden hatte, behalten dasselbe auch fernerhin bei. Die Haftpflicht ist zeitlich beschränkt. Sie verjährt binnen zwei Jahren nach Auflösung einer Genossenschaft, bez. nach dem Ausscheiden des einzelnen Genossenschafters.
Organe der Genossenschaften sind: der gesetzlich vorgeschriebene Vorstand, welcher aus den Mitgliedern zu wählen ist, und der die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich vertritt, die Generalversammlung, in welcher, wenn nichts andres bestimmt ist, jeder Genosse eine Stimme hat, der Aufsichtsrat, welchen die Genossenschaft zur Überwachung der Geschäftsführung und Kontrolle dem Vorstand an die Seite setzen kann, sowie in besondern Fällen Bevollmächtigte, welche zur Führung von Prozessen gegen Mitglieder des Vorstandes oder Aufsichtsrats etc. ernannt werden können.
Die Auflösung einer Genossenschaft erfolgt durch Ablauf der für sie festgesetzten Zeit, durch Beschluß der Genossenschaft, durch Eröffnung des Konkurses, durch den Tod sämtlicher Mitglieder, wenn das Statut nichts andres bestimmt, endlich und zwar ohne Anspruch auf Entschädigung durch richterliches Erkenntnis, wenn die Genossenschaft sich das Gemeinwohl gefährdende gesetzwidrige Handlungen oder Unterlassungen zu schulden kommen läßt, oder wenn sie andre als im Gesetz bezeichnete Zwecke verfolgt.
Reicht das Vermögen zur Deckung der Schulden aus, so findet das Liquidationsverfahren statt; ist das Vermögen hierfür ungenügend, so kommt das Konkursverfahren mit nachfolgendem Umlageverfahren in Anwendung. Verbleiben aber nach Deckung der Schulden Überschüsse, so werden aus denselben die Geschäftsanteile nach Höhe der einzelnen Guthaben zurückgezahlt. Weitere Überschüsse werden, insoweit das Statut nicht besondere Bestimmungen enthält, nach der Kopfzahl verteilt. Praktische Anweisungen zur Gründung und Einrichtung von Genossenschaften gibt Schulze-Delitzsch, »Vorschuß- und Kreditvereine als Volksbanken« (5. Aufl., Leipz. 1876),
und in seiner Schrift »Die in einzelnen Gewerbszweigen« (das. 1873).
Zweck der Genossenschaft ist es, durch Vereinigung von Kräften und Kapitalien wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, welche dem Einzelnen unerreichbar sind. Solche Vorteile können bestehen in billigerm Erwerb (Konsum- und Kreditvereine, Rohstoff- und Baugenossenschaften), in gemeinschaftlicher Benutzung von Kapitalien, Maschinen, Verkaufshallen, Wasserkräften etc. (Werkgenossenschaften), im Verkauf auf gemeinschaftliche Rechnung (Magazingenossenschaften) oder in gemeinschaftlicher Produktion (Produktivgenossenschaften).
Diejenigen Genossenschaften, deren Thätigkeit vorwiegend oder ganz dem Bereich des Handels und des Verkehrs angehört (Konsum-, Kreditvereine), werden oft als Distributivgenossenschaften andern Genossenschaften, wie insbesondere den Produktiv- und Baugenossenschaften, deren Thätigkeit auf die Güterproduktion gerichtet ist, gegenübergestellt. Den kleinen Leuten sollen durch die Verbindung die Vorteile des Großbesitzes und Großbetriebes zugänglich gemacht werden. Innerhalb gewisser Grenzen ist dies immer möglich.
Die genossenschaftliche Verbindung kann nicht allein technisch-finanziell, sondern auch in sittlicher und sozialer Beziehung einen segensreichen Einfluß ausüben (Interesse der selbständigen Genossen gegenüber dem von Lohnarbeitern, erzieherische Wirksamkeit, Förderung der Sparsamkeit und des Gemeinsinns, Übung in Selbstverwaltung und Unterordnung, angemessenere Einkommensverteilung etc.). Dagegen haben manche Genossenschaften im Anfang mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen (Mangel an Kapital und Geschäftserfahrung), und wenn einmal die Glut des ersten Eifers sich abgekühlt hat, so drohen die Gefahren der durch Vielköpfigkeit hervorgerufenen Schwerfälligkeit, des Mißtrauens, der Unbotmäßigkeit etc. Je inniger die Verbindung ist (insbesondere bei Produktivgenossen), um so mehr muß sich tüchtige technisch-wirtschaftliche Bildung und Sach- und Menschenkenntnis mit einem hohen Maß moralischer Kraft bei allen Genossen paaren, wenn die Verbindung Aussicht auf Bestand haben soll.
Infolgedessen haben denn auch diejenigen Genossenschaften, welche hohe Anforderungen in moralischer und wirtschaftlicher Beziehung stellen, wie die Produktivgenossenschaften, in Deutschland bisher wenig Verbreitung gefunden, während die meisten Genossenschaften auf den Gebieten sich gebildet haben, auf welchen der Möglichkeit einer zahlreichen Mitgliedschaft mäßige Anforderungen an Leistungsfähigkeit und moralische Kraft der Genossen gegenüberstehen (Konsum- und Kreditvereine).
In Deutschland hat sich das Genossenschaftswesen, angeregt und gefördert durch Schulze-Delitzsch, in kurzer Zeit außerordentlich entwickelt. Es bestanden Genossenschaften, gegründet nach dem System Schulze-Delitzsch, der zuerst 1849 eine Einkaufsgenossenschaft für Arbeitsmaterial von Handwerkern in Delitzsch ins Leben gerufen hatte, im J. 1876: 3080, 1881: 3481, 1884: 3822. Die Mitgliederzahl wird für 1884 auf rund 1½ Mill. beziffert, die gesamten geschäftlichen Leistungen wurden auf 3000 Mill. Mk. veranschlagt, denen 300 Mill. angesammelte eigne Kapitalien an Geschäftsanteilen und Reserven und etwa 500 Mill. fremde Gelder als Betriebsfonds dienten. Dazu kamen noch ca. 800 Raiffeisensche Darlehnskassen und andre landwirtschaftliche Genossenschaften. Ein großer Teil der deutschen Genossenschaften gehört zum »Allgemeinen Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften«,
dessen Geschäfte durch einen besoldeten Anwalt (bis zu seinem Tode der Gründer des Verbandes, Schulze-Delitzsch, jetzt Reichstagsabgeordneter Friedr. Schenck in Berlin) besorgt werden. Letzterer besorgt auch die Herausgabe des statistischen »Jahresberichts«. Die dem Verband angehörigen Vereine senden alljährlich zu einem allgemeinen Vereinstag Vertreter. Dieser Vereinstag ist die oberste Instanz, welche die gemeinsamen Interessen überwacht, deren Wahrnehmung bei der Gesetzgebung ebenso wie die Beratung der einzelnen Vereine bei ihrer Organisation etc. dem Anwalt übertragen ist.
Zwischenglieder zwischen den einzelnen Vereinen und dem Vereinstag bilden die Unter-, Provinzial- oder Landesverbände, zur Zeit 33 an Zahl, umfassend die Vereine einzelner Provinzen und Länder oder auch gewisser Zweige der Genossenschaften (Fachverbände). Die von diesen Zwischengliedern gewählten Vorstände bilden einen engern Ausschuß und stehen dem Anwalt bei Ordnung der Finanzen des Verbandes wie in allen andern wichtigen Angelegenheiten zur Seite. Als Verbandsorgan in der Presse dient die von Schulze-Delitzsch gegründete Wochenschrift »Blätter für Genossenschaftswesen« (früher »Innung der Zukunft«, Leipz. 1866 ff., jetzt redigiert von Schenck). Die von Verbandsvereinen 1864 mit 9 Mill. Mk. Aktienkapital gegründete Deutsche Genossenschaftsbank von Sörgel, Parrisius u. Komp. in Berlin und ihre Kommandite in Frankfurt a. M. vermitteln den Genossenschaften die Großbankverbindung und den Giroverkehr.
Die in Deutschland am meisten vertretenen Genossenschaften sind die Kreditgenossenschaften (Vorschuß- und Kreditvereine, Volks- und Gewerbebanken), deren erste als Vorschußverein 1850 von Schulze-Delitzsch zu Delitzsch in der Provinz Sachsen gegründet wurde. Über die Entwickelung der Genossenschaften bieten folgende Zahlen, auch wenn sich dieselben nur auf die Vereine beziehen, die der Anwaltschaft ihre Geschäftsabschlüsse einreichten, doch ein zuverlässiges Bild:
Rechnungsjahr | Zahl der Vereine | Mitgliederzahl | Gewährte Vorschüsse u. Prolongationen | Eigner Fonds | Auf Kredit entnommen | Dem Anwalt bekannte Vereine |
---|---|---|---|---|---|---|
in Millionen Mark | ||||||
1859 | 80 | 18676 | 12 | 0.8 | 3.0 | 190 |
1860 | 133 | 31603 | 25 | 1.6 | 7.2 | 257 |
1865 | 498 | 169595 | 203 | 14.5 | 52.9 | 961 |
1870 | 740 | 314656 | 623 | 43.9 | 138.0 | 1871 |
1875 | 815 | 418251 | 1496 | 91.9 | 330.2 | 2764 |
1880 | 906 | 460656 | 1447 | 118.4 | 364.5 | 1895 1 |
1884 | 879 | 451779 | 1517 | 126.5 | 393.2 | 1965 |
1 Seit 1879 ausschließlich Deutsch-Österreichs.
Diese Genossenschaften, welche den Raiffeisenschen Darlehnskassen in ihren Zielen sehr nahe stehen und nur in den Verwaltungsformen sich wesentlich unterscheiden, wollen das Kreditbedürfnis ihrer Mitglieder, welche als einzelne Personen an sich nur geringen Kredit genießen, durch Vereinigung der gesamten Einzelkredite in einen durch die Solidarhaft ihrer Mitglieder wesentlich erhöhten, somit die Beschaffung fremder Kapitalien erleichternden Gesamtkredit und durch Gewährung von verzinslichen Vorschüssen an ihre Mitglieder befriedigen.
Als Mittel des Geschäftsbetriebes dienen die eingezahlten Geschäftsanteile, die aus Eintrittsgeldern und Gewinnanteilen angesammelten Reserven und die Anlehen. Ein regelmäßiger Geschäftsgang wird gesichert durch Vorsicht bei der Kreditgewährung (nur für kurze Zeit und produktive Zwecke unter sichernder Bürgschaft), durch richtige Bemessung der Fristen für Kündigung des geliehenen Kapitals, der Mitgliedschaft und für Auszahlung von Geschäftsanteilen. Diese Genossenschaften können insbesondere auch dadurch einen guten Einfluß ausüben, daß sie zur Kapitalbildung und zur Sparsamkeit anregen.
Die Konsumvereine (Lebensbedürfnisvereine), welchen Mitglieder der verschiedensten Berufsstellungen angehören können, kaufen Waren, insbesondere Lebensmittel, im großen ein und geben sie an die Mitglieder (manche Vereine auch an Nichtmitglieder) zumeist mit mäßigem Aufschlag, in seltenen Fällen zu den Selbstkosten ab. Am Schluß des Geschäftsjahrs wird der Geschäftsgewinn nach Verhältnis der Einlagen oder des Jahreskonsums als Gewinnanteil verteilt oder gutgeschrieben.
Das nötige Geschäftskapital wird durch Geschäftsanteile und Eintrittsgelder beschafft, ausnahmsweise auch durch Anlehen, bez. Warenkauf auf Kredit. Der Verkauf soll nur gegen Barzahlung erfolgen. Einzelne Vereine sind nur Markenvereine (Markenkonsumvereine), welche mit Geschäftsleuten Verträge dahin abschließen, daß ihre Mitglieder, welche sich durch vom Verein ausgestellte Marken zu legitimieren haben, bei Entnahme von Waren Rabatt erhalten. Dieselben kommen, nachdem manche derselben wenig günstige Erfahrungen gemacht haben (schlechtere Behandlung, geringere Warenqualität), heute nur noch selten vor.
Dagegen bestehen solche Markenverträge bei vielen Konsumvereinen, welche eigne Warenlager halten, für solche Lebensbedürfnisse, die in diesen Lagern nicht vorrätig sind. Die Konsumvereine wollen nicht allein billige, sondern auch unverfälschte Waren liefern, durch Zwang zur Barzahlung vom Kreditnehmen und seinen Folgen loslösen und das Ansammeln von Ersparnissen erleichtern. Dagegen haben manche derselben mit dem Übelstand zu kämpfen, daß sie nicht das jeden Vorteil ausnutzende Interesse des Geschäftsmanns bethätigen können, insbesondere wenn sie sich nicht einer sehr tüchtigen und opferwilligen Leitung erfreuen.
Außerdem hält die Solidarhaft leicht kaufkräftige Mitglieder fern. Eine wohlthätige Wirkung üben die Konsumvereine besonders bei mangelnder Konkurrenz aus (Fabriken, Bergwerke mit zahlreichen Arbeitern in verkehrsarmen Gegenden). Verkaufen Konsumvereine auch Waren an Nichtmitglieder, so sind sie auch als gewerbesteuerpflichtig anzusehen.
Vgl. Pfeiffer, Die Konsumvereine, ihr Wesen und ihr Wirken (2. Aufl., Stuttg. 1869);
Schneider, Taschenbuch für Konsumvereine; Anweisung zu deren Gründung und Einrichtung (Leipz. 1883).
Die Entwickelung der Konsumvereine veranschaulicht nachstehende Übersicht:
Jahr | Dem Anwalt bekannte Vereine | Vereine, von denen Abschlüsse vorlagen | Zahl der Mitglieder | Verkaufserlös | Geschäftsanteile | Anlehen |
---|---|---|---|---|---|---|
in Millionen Mark | ||||||
1864 | 97 | 38 | 7709 | 0.8 | 0.06 | 0.05 |
1870 | 739 | 111 | 45761 | 9.0 | 0.82 | 0.55 |
1878 | 1052 | 202 | 109515 | 28.6 | 2.93 | 2.81 |
1881 | 660 1 | 185 | 116510 | 32.8 | 3.09 | 2.93 |
1883 | 675 | 172 | 110433 | 32.7 | 3.07 | 3.11 |
1884 | 678 | 164 | 117278 | 34.6 | 2.85 | 2.24 |
1 Seit 1879 ausschließlich Deutsch-Österreichs.
Die Zahl der der Anwaltschaft bekannten Kreditgenossenschaften und Konsumvereine betrug 1884: 1956, welche sich auf die einzelnen Provinzen des Königreichs Preußen und die übrigen Staaten des Deutschen Reichs wie folgt verteilten:
Vorschuß- und Kreditvereine | Konsumvereine | |
---|---|---|
Provinz Brandenburg | 157 | 26 |
" Preußen | 130 | 10 |
" Sachsen | 129 | 69 |
" Schlesien | 127 | 96 |
" Hessen-Nassau | 119 | 16 |
" Posen | 97 | - |
" Rheinland-Hohenzollern | 93 | 37 |
" Pommern | 63 | 8 |
" Schleswig-Holstein | 50 | 7 |
" Hannover | 49 | 46 |
" Westfalen | 27 | 35 |
Königreich Preußen: | 1041 | 350 |
Bayern | 159 | 55 |
Sachsen, Königreich | 138 | 103 |
Württemberg | 115 | 18 |
Baden | 184 | 24 |
Hessen | 109 | 8 |
Mecklenburg (beide) | 44 | 4 |
Sächsische Herzogtümer | 87 | 33 |
Oldenburg | 13 | 1 |
Braunschweig | 14 | 26 |
Anhalt | 16 | 6 |
Schwarzburg (beide) | 22 | 13 |
Lippe und Waldeck | 10 | 2 |
Reußische Fürstentümer | 3 | 4 |
Freie Städte | 9 | 5 |
Elsaß-Lothringen | 1 | 26 |
Deutsches Reich: | 1956 | 678 |
Die aus eingetragenen Genossenschaften hervorgegangenen Aktiengesellschaften betragen | 46 | 3 |
Die Rohstoffgenossenschaften (Rohstoffvereine) beschaffen durch die Geschäftsanteile und sonstige Einzahlungen der Mitglieder, im Bedarfsfall durch aufgenommenes fremdes Kapital oder durch Ankauf auf Kredit die Rohstoffe im großen und verkaufen sie im einzelnen an die Mitglieder gegen einen entsprechenden, zur Deckung der Geschäftsunkosten erforderlichen und zugleich einen Nettogewinn erzielenden Aufschlag (4-8 Proz.) über den Einkaufspreis.
Der Nettogewinn wird an die Mitglieder nach Höhe der von ihnen entnommenen Waren verteilt. Ein eigner Vereinsfonds in Geschäftsanteilen der Mitglieder und Reserve (Gesamtvermögen des Vereins) wird durch Innebehaltung von Gewinnanteilen und durch Monatssteuern der Mitglieder gebildet. Die Vorteile dieser Vereine bestehen darin, daß sie bei dem Einkauf im großen nicht allein billigere, sondern auch bessere Waren erhalten können. Grundsätzlich sollten diese Genossenschaften gegen bar verkaufen und auf Kredit nur dann, wenn entsprechende Deckung gegeben ist. Der kreditierte Kaufpreis ist zu verzinsen, Buchschulden sind möglichst bald in Wechselschulden umzuwandeln. Der Anwaltschaft waren Rohstoffvereine bekannt in den Jahren
1875: | 1880: | 1884: | |
---|---|---|---|
industrielle | 168 | 150 | 139 |
landwirtschaftliche | 56 | 68 | 354 |
Die Magazingenossenschaften (Magazinvereine, Absatzgenossenschaften), denen Handwerker eines wie auch verschiedener Gewerbe angehören können, bezwecken die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Verkaufsladens (Gewerbehalle), in welchem jedes Mitglied berechtigt, bez. verpflichtet ist, die in seinem Privatgeschäft gefertigten Waren für seine eigne Rechnung zum Verkauf aufzustellen. Mit dem gemeinschaftlichen Verkaufsladen ist oft noch ein Rohstoffgeschäft für die Mitglieder verbunden.
Für den Verkauf ist meist ein besonderer Geschäftsführer angestellt, der auch Bestellungen auf nicht vorrätige Waren annimmt, deren Ausführung entweder den Mitgliedern auf deren Rechnung übertragen, oder auf gemeinsame Rechnung und Gefahr übernommen wird. Im letztern Fall erweitert sich die Magazingenossenschaft zur Produktivgenossenschaft. Die Vorteile der Magazingenossenschaften bestehen darin, daß an Ladenmiete und Verkaufskräften gespart, ein Laden in guter Geschäftslage aufgesucht und reichlich ausgestattet werden kann.
Dagegen leiden sie öfters an dem Übelstand, daß der Verkäufer seine eignen Interessen nicht voll wahrnehmen (Bevorzugungen durch den Geschäftsführer) und sich keine ständige Kundschaft bilden kann. Infolgedessen haben diese auch keine große Verbreitung gefunden. Vielfach stehen die Magazingenossenschaften mit Vorschußvereinen oder auch Privatbankhäusern in einer derartigen Geschäftsverbindung, daß letztere die im Magazin stehenden Waren den Eigentümern beleihen. Es gab industrielle Magazingenossenschaften 1862: 12, 1870: 38, 1875: 55, 1881: 53, 1884: 59, ferner landwirtschaftliche Magazin- und Produktivgenossenschaften 1875: 95, 1881: 142, 1884: 5.
Die Werkgenossenschaften (Werkzeug- und Maschinengenossenschaften) schaffen auf gemeinschaftliche Rechnung Maschinen, besonders landwirtschaftliche, an, um sie an ihre Mitglieder zu verkaufen oder gegen eine gewöhnlich nach der Zeit der Verwendung oder (bei Säemaschinen) auch nach der Fläche bemessene Vergütung zu verleihen.
Die Produktivgenossenschaften verfertigen und verkaufen Waren auf gemeinschaftliche Rechnung, um durch diese innige, das ganze Geschäft umfassende Verbindung möglichst vollständig die Vorteile des Großbetriebes zu erzielen. Diese Innigkeit fördert jedoch auch die oben erwähnten Schwierigkeiten. Aus diesem Grund sind diese Genossenschaften nur in beschränktem Maß anwendbar, insbesondere in Unternehmungen, welche wenig Kapital und spekulatives Talent, dagegen gute und einander gleichstehende Arbeitskräfte erfordern. Sie erheischen wie keine andre Genossenschaft echt genossenschaftlichen Geist und wirtschaftliche Zucht. Es bestanden
1862: | 1870: | 1875: | 1880: | 1884: | |
---|---|---|---|---|---|
industrielle | 18 | 74 | 199 | 131 | 144 |
landwirtschaftliche | - | - | 95 | 92 | 226 |
Die Baugenossenschaften, die jüngsten unter den deutschen Genossenschaften, bezwecken, das Wohnungsbedürfnis auf genossenschaftlichem Weg zu befriedigen. In England kommen sie vielfach vor in Form von Bausparvereinen unter dem freilich nicht immer passenden Namen Benefit building societies. Diese Vereine, deren rechtliche Stellung dort 1836 gesetzlich geregelt wurde, erheben von ihren Mitgliedern monatliche Beiträge, welche verzinslich angelegt werden.
Nach Verlauf einer festgesetzten Zeit löst sich die Gesellschaft auf, und jedes Mitglied erhält einen entsprechenden Anteil des Vermögens (Beiträge nebst Zinsen), um mit Hilfe desselben eine Wohnung zu bauen. Doch werden auch gegen Bestellung hypothekarischer Sicherheit schon vorher Vorschüsse auf Bauten gegeben. Viele dieser Gesellschaften wurden schon frühzeitig dem genossenschaftlichen Zweck entfremdet. Indem sie Darlehen von Nichtmitgliedern annahmen und nicht alle Mitglieder wirklich Wohnungen bauten, nahmen sie den Charakter reiner Realkreditanstalten an. 1870 zählte man 2000 Gesellschaften mit 800,000 Mitgliedern. Die deutschen Baugenossenschaften
treten in zwei verschiedenen Formen auf. Bei der einen, welche seltener vorkommt, bauen die Mitglieder selbst und erhalten von der Gesellschaft langsam amortisierbare Darlehen (so bei der Breslauer Baugenossenschaft). Bei der andern baut die Gesellschaft, um die Wohnungen an ihre Mitglieder zu vermieten oder gegen Ratenzahlungen zu verkaufen. Diese Genossenschaften haben mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß sie gleich von Anfang umfänglicherer Mittel als die übrigen Genossenschaften bedürfen, und daß diese Mittel durch den Hausbau festgelegt werden.
Hierfür sind aber die Geschäftsanteile unzureichend, denn dieselben können von austretenden Mitgliedern zurückgezogen werden, eignen sich also nicht zur Anlage in Grundbesitz. Allerdings kann hierfür der Reservefonds verwandt werden, doch wächst derselbe nur langsam zu einem nennenswerten Betrag an. Hiernach muß die Gesellschaft anderweit ein für längere Zeit unkündbares, allmählich abzutragendes Kapital zu erhalten suchen. Zu dem Zweck hat man »stille Gesellschafter« zugelassen mit Einlagen, welche für bestimmte Zeit unkündbar sind und, wie die Geschäftsanteile, an Gewinn und Verlust teilnehmen, oder man hat einen Vorschußverein eigens zur Unterstützung der Baugenossenschaft ins Leben gerufen oder endlich unkündbare, allmählich zu tilgende Hypotheken (Annuitäten) aufgenommen.
Kommt man auf diesen Wegen nicht vollständig zum Ziel, so müßten die Mitglieder, ähnlich wie bei den Konsumvereinen mit Grundbesitz, zur Ansammlung unkündbarer »Hausanteile« oder »Obligationen« angehalten werden. Viele Baugenossenschaften entstanden zur Zeit der Wohnungsnot bei hohen Bodenpreisen und Baukosten. Inzwischen sind bei lebhafter Bauthätigkeit einzelner Unternehmer die Mietpreise gesunken, vielfach ist sogar ein Wohnungsüberfluß entstanden. Infolgedessen fanden manche Genossenschaften zu gedeihlicher Thätigkeit keinen Boden mehr und mußten liquidieren. Es gab der Anwaltschaft bekannte Baugenossenschaften 1875: 52, 1881: 34 und 1884: 33. Über die Organisation und Verwaltung der Baugenossenschaften vgl. Schneider, Mitteilungen über deutsche Baugenossenschaften (Leipz. 1875); ferner Plener, Die englischen Baugenossenschaften (Wien 1873).
Genossenschaften. | 1882 | 1883 | 1884 |
---|---|---|---|
Vorschuß- u. Kreditvereine: | |||
Registrierte | 1017 | 10691 | 1114 |
Nicht registrierte | 158 | 142 | ? |
Zusammen: | 1175 | 1211 | ? |
Konsumvereine: | |||
Registrierte | 133 | 139 | 149 |
Nicht registrierte | 100 | 83 | ? |
Zusammen: | 233 | 222 | ? |
Sonstige Genossenschaften: | |||
Registrierte | 99 | 1122 | 136 |
Nicht registrierte | 24 | 20 | ? |
Zusammen: | 123 | 132 | ? |
Genossenschaften überhaupt: | |||
Registrierte | 1249 | 1320 | 1399 |
Nicht registrierte | 282 | 245 | ? |
Zusammen: | 1531 | 1565 | ? |
1So beim Nachweis der registrierten Genossenschaften, beim Nachweis der »Vereine« 1368. - 2So beim Nachweis der registrierten Genossenschaften, beim Nachweis der »Vereine« 113.
Art der Genossenschaften | mit beschränkter Haftung | mit unbeschränkter Haftung | Zusammen |
---|---|---|---|
Vorschuß- und Kreditvereine | 584 | 530 | 1114 |
Konsumvereine | 93 | 56 | 149 |
Sonstige Genossenschaften | 93 | 43 | 136 |
Zusammen: | 770 | 629 | 1399 |
Die frühere gesetzliche Grundlage der Genossenschaften vom wurde durch ein dem deutschen im wesentlichen nahekommendes Gesetz vom dahin abgeändert, daß neben der Solidarbürgschaft der Mitglieder auch eine Solidarbürgschaft der Geschäftsanteile, also eine beschränkte Haft (bis auf wenigstens den doppelten Betrag der Anteile), zugelassen wurde. Neue Vereine können nur nach dem Gesetz von 1873 gebildet werden, bei Statutenänderungen müssen sich die ältern den Bestimmungen dieses Gesetzes anpassen.
Für Österreich existiert ein nach dem Muster des deutschen eingerichteter Genossenschaftsverband, welchem der um das österreichische Genossenschaftswesen verdiente H. Ziller als Anwalt vorsteht. Derselbe gibt als Organ der österreichischen Genossenschaften. »Die Genossenschaft« (Wien 1872 ff.) und von Zeit zu Zeit »Berichte über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Österreich und Ungarn« heraus (der letzte 1886).
Die privatrechtlichen Verhältnisse der in Ungarn wurden durch das in Kraft getretene Handelsgesetz geregelt. Alle neuen Genossenschaften sind im Sinn dieses Gesetzes einzurichten, früher bestandene Genossenschaften mußten bis ihre Statuten mit den Bestimmungen desselben in Einklang bringen. Auch in Ungarn sind, wie in Österreich, zwei verschiedene Haftformen, die unbeschränkte und die beschränkte zugelassen, und zwar haften die Mitglieder einer Genossenschaft mit beschränkter Haftung, insofern die Statuten der Gesellschaft nicht ein andres verfügen, nur bis zum Betrag ihres festgesetzten Geschäftsanteils.
Die unbeschränkte Haftung kommt nur ganz vereinzelt vor. Durch diese und einige andre Bestimmungen haben die ungarischen Genossenschaften mehr oder weniger den Charakter einer Kapitalvereinigung erlangt, wie denn auch die Fusion gesetzlich als eine Auflösungsart von Genossenschaften bezeichnet wird. 1881 zählte man in Ungarn 278, Siebenbürgen 54, Kroatien und Slawonien 25 Genossenschaften, zusammen 357 Genossenschaften, und zwar waren hiervon: Vorschuß- und Kreditvereine 308, Konsumvereine 16, Rohstoffgenossenschaften 2, Magazingenossenschaften 3, landwirtschaftliche Hilfsgenossenschaften 2, gewerbliche Produktivgenossenschaften 6, landwirtschaftliche Produktivgenossenschaften 7, Versicherungsgenossenschaften 8, verschiedene Genossenschaften 5.
In Frankreich ist das Genossenschaftswesen viel mit der Politik verquickt worden, doch sind viele von den Gesellschaften, welchen Staatshilfe zu teil wurde, nach kurzem Bestand wieder zu Grunde gegangen. 1852 wurden fast alle bestehenden Genossenschaften geschlossen, erst mit 1857 wurden mehrere Kreditvermittelungsinstitute für den kleinen Mann ins Leben gerufen, und 1863 entstand auf Anregung von Beluze der erste Vorschußverein mit 762 Mitgliedern und 20,129 Fr. Grundkapital. 1866 zählte man in Paris 166 solcher Vereine, 5 Konsumvereine und 53 Produktivgenossenschaften. In neuerer Zeit ist insbesondere das Konsumvereinswesen wieder in lebhafter Zunahme.
England ist dagegen von jeher ein günstigerer Boden für Entwickelung der Genossenschaften, insbesondere der Konsumvereine, gewesen, und zwar sind die modernen Genossenschaften dort früher entstanden als in Deutschland.
Bereits 1822 gab es mehrere Vereine zur Anschaffung und zum Vertrieb genossenschaftlicher Vorräte (cooperative stores). 1827 erschien in Brighton das erste englische Fachblatt für genossenschaftliche Propaganda (»Brighton cooperator«). Seine glänzendsten Triumphe feierte das Genossenschaftswesen in den Erfolgen, welche die Rochdale Society of Equitable Pioneers erzielte, und die in Deutschland durch die Mitteilungen von Huber u. a. allgemeiner bekannt geworden sind. 1843 vereinigten sich in Rochdale 28 arbeitslose Flanellweber, um auf genossenschaftlichem Weg ihre häusliche und soziale Lage zu verbessern.
Nachdem sie 28 Pfd. Sterl. zusammengebracht, konnte 1844 die Registrierung des Vereins erfolgen. Man begann mit einem kleinen Konsumvereinsladen, der sich allmählich erweiterte, und zu dem noch andre Läden in eignen Häusern hinzukamen. Bald wurden auch andre genossenschaftliche Anstalten ins Leben gerufen, so 1851 eine später mit Dampfkraft betriebene Kornmühle, 1855 eine Baumwollspinnerei, 1863 eine Baugenossenschaft mit 1 Mill. Mk. Kapital. Dazu kam ein eignes Gesellschaftshaus mit Bibliothek und Lesezimmer, Theater, Badehaus etc. Die Mitgliederzahl war 1874 auf 7021 angewachsen.
Allerdings haben, was leicht bei sich ausdehnenden, blühenden Genossenschaften der Fall, viele Unternehmungen der »Pioniere von Rochdale« den rein kapitalistischen Charakter einer Aktiengesellschaft angenommen. 1884 zählte man in England 1053 Genossenschaften (worunter 36 Produktivgenossenschaften) mit 573,000 Mitgliedern, einem eignen Kapital von 7 Mill., einem Geschäftsumfang von 23 Mill. und einem Reingewinn von 1,8 Mill. Pfd. Sterl. In Schottland gab es 282 Vereine mit 87,700 Mitgliedern, in Irland nur 11 Vereine mit 1346 Mitgliedern.
Die Haftbarkeit der englischen Genossenschaften ist eine verschiedene, je nachdem sie sich unter dem Spezialgesetz oder unter dem allgemeinen registrieren lassen. Im letztern Fall können sie unbeschränkte Haftpflicht oder auch eine auf bestimmte Garantiebeträge beschränkte wählen. Nach dem Spezialgesetz vom können Gesellschaften von wenigstens sieben Personen sich für jeden erlaubten gewerblichen Zweck registrieren lassen. Der höchste statthafte Geschäftsanteil beträgt 200 Pfd. Sterl. Derselbe ist mit Genehmigung übertragbar. Deckungspflicht besteht nur bis zu dem genannten Betrag. Jedes Mitglied hat, wenn die Statuten es gestatten, freies Austrittsrecht und kann seine Geschäftsanteile zurückziehen; Bedingung hierfür ist jedoch, daß keine Bankgeschäfte getrieben werden.
Vgl. Genossenschaften Holyoake, History of the cooperation in England (3. Aufl., Lond. 1885, 2 Bde.).
In Belgien haben, wie in Deutschland, vorwiegend die Kreditgenossenschaften größere Ausdehnung angenommen. 1885 zählte man 15 Volksbanken mit 10,000 Mitgliedern und 2,01 Mill. Frank eignem Kapital. Auch besteht in Belgien ein ähnlicher Verband wie in Deutschland und Österreich. Die belgischen Genossenschaften finden sich dargestellt in dem Bericht des jährlich stattfindenden Congrès des banques populaires de Belgique und in L. d'Andrimont, Des institutions et des associations ouvrières de la Belgique (Brüssel 1871).
In Italien beträgt die Zahl der Volksbanken 316. 195 derselben zeigten Ende 1883 etwa 140,000 Mitglieder auf mit 64½ Mill. Lire eignem Vermögen, 261½ Mill. fremder Kapitalien und 609½ Mill. jährlicher Kreditgewährung.
Vgl. noch außer den oben erwähnten Schriften: Schulze-Delitzsch: Associationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter (Leipz. 1853), Die arbeitenden Klassen und das Associationswesen in Deutschland (2. Aufl., das. 1863), Die Entwickelung des Genossenschaftswesens in Deutschland (Berl. 1870);
Véron, Les associations ouvrières etc. en Angleterre, en Allemagne et en France (Par. 1865);
Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht (Berl. 1868-81, 3 Bde.);
Probst, Die Grundlehren der deutschen Genossenschaften (Münch. 1875-84, 2 Bde.);
Parisius, Die Genossenschaftsgesetze im Deutschen Reich, mit Einleitung u. Erläuterung (Berl. 1876);
Kraus, Die Solidarhaft bei den Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Bonn 1878);
Schulze-Delitzsch, Die Streitfragen im deutschen Genossenschaftsrecht (Leipz. 1880);
Derselbe, Material zur Revision des Genossenschaftsgesetzes (das. 1883);
»Jahresbericht über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbsgenossenschaften« (das., früher von Schulze-Delitzsch, jetzt von Schenck herausgegeben);
Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft (Freiburg 1886).
Für eine Revision des Genossenschaftsrechts im Sinn der Zulassung von Genossenschaften mit beschränkter Solidarhaft tritt neuerlich auch Goldschmidt ein in dem Buch »Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; Studien und Vorschläge« (Stuttg. 1882).
Über die zur Ausführung des Unfallversicherungsgesetzes vom im Deutschen Reiche gebildeten Genossenschaften s. Berufsgenossenschaften.