Krampf
(Spasmus), im allgemeinen jede krankhafte Muskelzusammenziehung. Jeder Muskel wird in Bezug auf seine Thätigkeit, welche sich als Zusammenziehung äußert, von einem Bewegungsnerv beherrscht. Wird dieser Nerv in irgend einer Weise erregt, sei es durch den Willen oder durch Übertragung eines Reizes von einem Empfindungs- oder Sinnesnerv etc., so zieht er sich zusammen. Ganz in derselben Weise wie bei normalen Erregungen geschehen aber auch Zusammenziehungen auf abnorme Erregungen.
Jede dadurch hervorgerufene krankhaft gesteigerte Thätigkeit der vom
Rückenmark entspringenden und von
da sich verbreitenden Bewegungsnervenfasern äußert sich als unwillkürliche Zuckung, als
Zittern oder anhaltende
Kontraktion
einer oder mehrerer oder fast aller Muskelgruppen. Diese krankhaften Muskelzusammenziehungen nennt man im allgemeinen Krampf
, rasch
hintereinander folgende vorzugsweise
Konvulsionen. Das Wesentliche des Krampfes
ist also die Muskelzusammenziehung,
welche durch abnorme Erregung eines Bewegungsnervs hervorgerufen wird.
In der äußern Form zeigen die Krämpfe erhebliche Verschiedenheiten, je nachdem die erregende
Ursache derselben direkt im
Rückenmark oder im
Hirn oder in peripherischen Körperteilen ihren Sitz hat.
Daher hat man die Krämpfe eingeteilt in
Gehirn-,
Rückenmarks- und
Reflexkrämpfe. Trotzdem, daß alle Bewegungsnervenfasern aus dem
Rückenmark entspringen
und dieses die
Quelle
[* 2] aller krampf
haften Zusammenziehungen ist, sind doch die eigentlichen Rückenmarkskrämpfe seltener als
die Gehirnkonvulsionen, deren reinstes
Bild die
Epilepsie darstellt. Es gehören hierher die infolge von
Entzündungen, Blutaustretungen,
Wasseransammlungen entstehenden
Konvulsionen. Am häufigsten aber sind die
Reflexkrämpfe, d. h. solche
Krämpfe, wo der
Reiz, von irgend einer peripherischen
Stelle aus auf das
Rückenmark
übertragen, nunmehr unwillkürliche, dem
Willen sich entziehende, ungeordnete Zusammenziehungen und Zuckungen erregt; dahin gehören die
Blasen-,
Magen-, Augenlidkrämpfe,
krampf
haftes
Husten etc. Bei diesen genannten Krampf
formen kann das
Rückenmark vollkommen gesund sein.
Indes kann auch das
Rückenmark selbst in einer eigentümlichen
Weise krankhaft beschaffen erscheinen, so
daß Krämpfe durch ganz geringe, ganz normale Bewegungsreize hervorgerufen werden können. Man rechnet hierher den
Starrkrampf
(Tetanus), den
Veitstanz
(Chorea) und die hysterischen
Konvulsionen.
Alle genannten Krampf
arten können in sehr verschiedener
Stärke
[* 3] vorkommen, von einer leichten Zuckung eines Muskels oder auch nur Muskelbündels bis zu den
stärksten
Kontraktionen, wobei sogar
Knochen
[* 4] gebrochen werden können. Es ist dies
¶
mehr
abhängig teils von dem veranlassenden Reiz, teils vom Zustand des betreffenden Zentralorgans (Gehirn [* 6] oder Rückenmark), teils endlich auch von der Zusammenziehungskraft der Muskeln [* 7] selbst. Auch die Dauer der Krämpfe ist sehr verschieden; entweder ist es nur eine vorübergehende Zuckung, die mit einer Erschlaffung wechselt, oder eine anhaltende Zusammenziehung. Darauf gründet sich die Einteilung in klonische und tonische Krämpfe. Die klonischen Krämpfe sind solche, wobei bald diese, bald jene Muskelgruppe sich abwechselnd zusammenzieht und erschlafft (Gehirnkonvulsionen und die Reflexkrämpfe).
Als Typus der tonischen Krämpfe kann der Starrkrampf angesehen werden, welcher eine lang andauernde Kontraktion zeigt. Manche Krämpfe treten in ziemlich regelmäßigen periodischen Anfällen, in Paroxysmen, auf und halten nicht selten das ganze Leben hindurch an (Epilepsie). Die Verbreitung der Krämpfe ist nicht minder verschieden. Bald beschränken sie sich auf einzelne Muskeln, bald auf Muskelgruppen; bald sind sie auf alle Muskeln des Körpers ausgedehnt.
Die eigentlichen Rückenmarkskrämpfe verbreiten sich meist über den ganzen Körper, ebenso auch die
vom Gehirn ausgehenden, obgleich diese öfters auch halbseitig vorkommen, vorzugsweise aber nur dann, wenn die eine Körperhälfte
bereits gelähmt ist. Am partiellsten sind die Reflexkrämpfe, die sich oft nur auf einzelne Muskeln beschränken, wie Wadenkrampf,
Husten, Erbrechen, Krampf
der Schließmuskeln etc. Nur dann, wenn das Rückenmark in eigentümlicher Weise krankhaft
beschaffen ist, können auch diese sich allgemeiner verbreiten. Bei den choreaartigen Krämpfen ist öfters die Zuckung beschränkt,
ebenso bei der Hysterie, obgleich bei dieser die Krämpfe manchmal eine größere Verbreitung zeigen.
Die Ursachen der Krämpfe sind außerordentlich mannigfaltig. Bei manchen Menschen ist eine besondere Anlage
vorhanden, und es bewirken dann selbst geringe Gelegenheitsursachen krampf
hafte Erscheinungen. Diese letztern sind teils mechanischer
Natur: Veränderungen im Gehirn und Rückenmark, Blutwallungen, Entzündungen, Erweichungen, Geschwülste in diesen Organen;
teils chemischer Natur, indem ein fehlerhaft gemischtes Blut Krämpfe hervorrufen kann (Gifte, Urämie).
Auch die Reflexkrämpfe können
durch mechanische und chemische Reize, welche peripherische Teile treffen, entstehen. Entzündung der Bindehaut
kann Lidkrampf verursachen; infolge von Reizung des Gehörs, von Würmern, von krankhafter Absonderung des Darmkanals, von Reizungen
der innern Geschlechtsorgane können allgemeine Krämpfe, infolge von Reizungen der Blasenschleimhaut Blasenkrampf, von Reizungen
des Magens Magenkrampf etc. entstehen. Auch psychische Einflüsse können Krämpfe hervorrufen,
wie Angst, Zorn, Schreck und der Anblick eines Krampf
anfalls.
Überanstrengung einzelner Muskelgruppen führt zu den sogen. Beschäftigungsneurosen (Schreibkrampf). Je nach der Stärke und Verbreitung der Krämpfe wirken dieselben auf das Befinden des Körpers verschieden ein. Schon oben wurde angegeben, daß infolge heftiger Zusammenziehungen Knochen brechen können; ebenso können einzelne Muskelfasern zerrissen werden. Meistenteils folgt dem ein Gefühl der Abspannung und Schwäche, eine Art Erschöpfung, wodurch längere oder kürzere Zeit die Bewegung beeinträchtigt ist.
Auch das Bewußtsein ist nicht selten aufgehoben, und sehr häufig ist ein namhafter Schmerz vorhanden (Wadenkrampf, Magenkrampf,
Kolik). Durch heftige und anhaltende Kontraktion der Atemmuskeln kann aber auch der
Tod veranlaßt werden.
Während des Krampf
anfalls ist, selbst wo das Bewußtsein nicht getrübt ist, aller Wille auf die Muskeln aufgehoben. Die Vorhersage
richtet sich nach der Ursache und nach dem Ausgangspunkt der Krämpfe. Im allgemeinen sind Reflexkrämpfe die am wenigsten
gefahrbringenden; wo eine organische Veränderung der Zentralorgane die Ursache derselben ist, ist die
größte Gefahr vorhanden; wo eine Geneigtheit zu Krämpfen besteht, sind sie meist von geringerer Bedeutung, daher sie bei
Erwachsenen oft viel gefährlicher sind als bei Kindern. Vergiftungen geben eine schlimme Prognose. Was die äußere Form betrifft,
so sind die tonischen Krämpfe im allgemeinen schlimmer als die klonischen, und selbst in leichtern Fällen
haben jene stets die Neigung, hartnäckiger der Heilung zu widerstehen, was überhaupt bei allen Krämpfen zu befürchten ist.
Rückfälle sind nur allzu häufig.
Was die Behandlung anlangt, so gilt es vor allem, die Ursache und den Reiz zu erforschen, um das Übel
an der Wurzel
[* 8] anzufassen. Sodann muß jede Aufregung möglichst vermieden, alle Reize auf die Sinnesorgane müssen beseitigt
werden; Gemütsruhe ist ein Haupterfordernis, wo Blutarmut vorhanden ist, kräftige Nahrung, frische Luft. Die Verdauung muß
streng reguliert werden. Sehr zu empfehlen sind lauwarme Bäder (Gastein, Pfäfers etc.), später auch mit Vorsicht kalte
Fluß- und Seebäder. Zur Beschwichtigung der Anfälle dienen beruhigende Mittel, Anästhetika. Hautreize, Brechmittel, Abführungen
leisten in manchen Fällen ersprießliche Dienste.
[* 9] Auch andre Mittel, wie die sogen. krampf
stillenden (Antispasmodika): Baldrian,
Artemisia, Bibergeil, Moschus, haben sich, wie die alterierenden Mittel aus der Reihe der Metallsalze und Metalloxyde, in vielen
Fällen aufs beste bewährt.