Krakau
[* 2] (poln. Krakow), vormals Residenz, Krönungs- und Begräbnisstätte der polnischen Könige, jetzt Stadt und Festung [* 3] im österreich. Kronland Galizien, liegt in weiter, von Hügeln umgrenzter Ebene, 205 m ü. M., am linken Ufer der Weichsel, welche hier die Rudawa aufnimmt, und ist ein wichtiger ¶
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Eisenbahnknotenpunkt (Linien Wien-Krakau der Nordbahn, Krakau-Lemberg der Karl Ludwigs-Bahn und Podgorze-Sucha der Galizischen Staatsbahnen).
[* 5] Durch die im J. 1850 eröffnete Franz Josephs-Brücke ist Krakau
mit dem jenseit der Weichsel liegenden Podgorze (s. d.) verbunden
und begreift in seiner Ausdehnung
[* 6] von W. nach O. die Altstadt, die Vorstädte Stradom, Kasimierz etc. (s.
unten). Die alten, mit vielen Türmen versehenen Mauern, Wälle und Gräben sind größtenteils verschwunden und in Promenaden
umgeschaffen. In neuester Zeit ist Krakau
durch detachierte Forts zu einem befestigten Waffenplatz erhoben worden.
Von den vier öffentlichen Plätzen ist der merkwürdigste der große Ringplatz mitten in der Stadt, in dessen Mitte ein von Kasimir d. Gr. erbauter großer Bazar (»Tuchbaute«, Sukiennica) steht, dessen oberes Geschoß [* 7] eine Gemäldegalerie und das Nationalmuseum enthält. Unter den Hauptstraßen der Stadt ist als die belebteste die Burgstraße (Grodzka ulica), welche durch die Vorstadt Stradom nach Kasimierz und von da über die Weichselbrücke nach Podgorze führt, zu nennen. Von den 12 Thoren, welche früher die befestigte Stadt umgaben, ist nur noch das Floriansthor übrig, nach der Vorstadt Piasek zu gelegen, ein merkwürdiges Denkmal alter Kriegsbaukunst. Unter den 5 Brücken [* 8] sind die bereits erwähnte Franz Josephs-Brücke, die Brücke [* 9] in der Vorstadt Kasimierz und die Eisenbahnbrücke hervorzuheben.
In frühern Zeiten hatte die Stadt über 65 Kirchen, von denen aber jetzt bloß 38 in dem Zustand sind, daß Gottesdienst darin gehalten werden kann. Die merkwürdigste ist die dem heil. Wenzel gewidmete Schloßkirche auf dem Berg Wawel, angeblich vom König Wladislaw Hermann (1081-1102) gegründet, eine der prächtigsten gotischen Domkirchen in Europa [* 10] (in ihrer jetzigen Gestalt 1320-59 nach einem großen Brand neu aufgebaut). Die größte Zierde derselben sind die 16 Kapellen, welche die durch schöne Bildnisse gezierten Grabmäler der Herrscher Polens und andrer berühmter Männer enthalten.
Unter ihnen zeichnet sich besonders die Jagellonische Kapelle aus mit ihrem kugelrunden, stark mit Gold
[* 11] überzogenen Dach,
[* 12] unter welcher sich das Grabgewölbe der Jagellonischen Königsfamilie befindet. In einer Kapelle, inmitten der Kirche, tragen
vier von Silber gegossene Engel in einem silbernen Sarg den Leichnam des Märtyrers Stanislaus, Bischofs von Krakau
(erschlagen 1079),
dessen Geschichte in halb erhabener Arbeit auf dem Sarg abgebildet ist; in der Kreuzkapelle das von V.
Stoß ausgeführte Grabmal des Königs Kasimir IV. In der Krypte unter dem Eingang in die Kirche ruhen die Überreste Johanns III.
Sobieski, Michaels Wiszniowiecki, Wladislaws IV. Wasa und andrer Könige Polens sowie Kosciuszkos und des Fürsten Joseph Poniatowski.
Auch befinden sich hier eine reiche Schatzkammer und kostbare Kirchenapparate, die berühmte, 1520 gegossene Siegmundglocke, ein reiches Kirchenarchiv und eine Bibliothek. Unter den zahlreichen Monumenten zeichnet sich besonders die Statue des Grafen Wladimir Potocki (gest. 1812 vor Moskau) [* 13] von Thorwaldsen aus. Auf der östlichen Seite des Marktes befindet sich die große, in gotischem Stil 1226 gegründete, später verzopfte Marienkirche mit einem 73 m hohen Turm, [* 14] einem kunstvoll geschnitzten Hochaltar von Veit Stoß und wertvollen Glasmalereien. Schöne Bauwerke sind ferner: die vom König Siegmund III. 1597 angelegte (ehemals jesuitische) Peter- und Paulskirche, im Stil der Peterskirche in Rom [* 15] erbaut;
die zuerst 1223 erbaute,
nach dem Brand von Krakau
1850 wiederhergestellte Dominikanerkirche;
die Universitätskirche zu St. Anna (1689-1703 erbaut) mit dem Denkmal des Kopernikus u. a. Außerdem hat noch viele Kapellen, Mönchs- und Nonnenklöster und 7 Synagogen.
Unter den öffentlichen Gebäuden nimmt den ersten Platz die Burg auf dem Wawel ein, ein von einer festen Mauer mit Schießscharten umgebenes, früher mit königlicher Pracht ausgeschmücktes Gebäude, das unter der österreichischen Regierung zu einer die Stadt beherrschenden Citadelle umgeschaffen wurde. Gegen S., zwischen dem vormaligen Grodzker Thor und dem durch die Stadt fließenden Weichselarm, liegt Stradom mit der Bernhardinerkirche, dem bischöflichen Seminar und dem Regierungsgebäude.
Daran schließt sich das von Kasimir d. Gr. zuerst als abgesonderte Stadt gegründete Kasimierz mit der Kirche des heil. Michael, in welcher der heil. Stanislaus am Altar [* 16] ermordet wurde, dem Paulinerkloster, der Katharinen- und der Fronleichnamskirche, der mit dem Kloster und Hospital der Barmherzigen Brüder verbundenen Dreifaltigkeitskirche und dem vormaligen, im gotischen Stil erbauten Rathaus. Kasimierz wird größtenteils von Juden bewohnt. Gegen N. liegt die Vorstadt Kleparz mit den Kirchen des heil. Florian und der Heiligen Philipp und Jakob sowie mit dem Bahnhofsgebäude und den Getreide- und Viehmärkten der Stadt.
Auf der Nordseite befindet sich auch die Vorstadt Piasek mit der 1087 gegründeten schönen Kirche zur Heimsuchung Marias und der Kirche zur Verkündigung Marias. Gegen W. dehnen sich die Vorstädte Smolensk und Zwierzyniec aus, letztere mit dem Kloster der Norbertinerinnen. Im O. endlich liegt die Vorstadt Wesola mit der Nikolauskirche, dem Hauptspital zu St. Lazarus, der Kirche der heil. Theresia und dem Kloster der Karmeliterinnen, der medizinischen Klinik, dem botanischen Garten [* 17] und der Sternwarte. [* 18]
Krakau
zählt (1880) 66,095 Einw. (darunter 20,269 Juden und 6267 Mann Militär), während es zur Zeit seiner Blüte
[* 19] (16. Jahrh.)
deren 80,000, in seinem Niedergang (Ende des 18. Jahrh.) aber kaum 10,000 zählte. Die Stadt
betreibt lebhaften Handel mit Getreide,
[* 20] Holz,
[* 21] Salz,
[* 22] Wein, Leinwand, Tuch und Borstenvieh und unterhält stark
besuchte Jahrmärkte. Sie besitzt mehrere Fabriken für Maschinen und Ackerbaugeräte, für Tischlerwaren, chemische Produkte,
Zündhölzchen, Tabak,
[* 23] Bier, Würste und Öl sowie Dampfmühlen.
Kreditinstitute, die in Krakau
ihren Sitz haben, sind: die Galizische Bank für Handel und Industrie, die Galizische Bodenkreditbank,
die Sparkasse und die Wechselseitige Versicherungsgesellschaft. Auch eine Gasanstalt und eine Pferdebahn
sind vorhanden. An Bildungsanstalten besitzt Krakau
vor allen eine Universität mit polnischer Unterrichtssprache. Sie wurde 1364 von
Kasimir d. Gr. gegründet, unter den Jagellonen vom Papst Bonifacius IX. 1394 bestätigt und mit Stiftungen ausgestattet (daher
die Benennung »Jagellonische Universität«). Die Zahl der Studierenden betrug 1884: 862 (inkl. 72 Hospitanten).
Zur Universität gehören eine für die polnische Litteratur wichtige Bibliothek von ca. 150,000 Bänden und vielen seltenen Handschriften,
ein Naturalienkabinett, eine Sternwarte und ein botanischer Garten. Außerdem befinden sich in der Stadt
[* 2]
^[Abb.: Wappen
[* 24] von Krakau.]
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eine kaiserliche Akademie der Wissenschaften (seit 1872), eine theologische Lehranstalt mit geistlichem Seminar, 3 Obergymnasien,
eine Oberrealschule, eine Kunstschule, eine gewerblich-technische Akademie, eine Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, eine
städtische Gewerbe-, eine Handelsschule u. a. Auch hat Krakau
einen Musikverein, eine Landwirtschaftsgesellschaft (mit Schule in
dem nahen Dorf Czernichow), einen Forstwissenschaftlichen Verein, eine Gesellschaft der Musikfreunde, ein
National- und ein Gewerbemuseum und ein Nationaltheater. An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt Krakau
das Hospital zu St. Lazarus mit
Findelhaus, das von dem Fürsten Lubomirski gegründete ophthalmologische Institut, ein Spital zum Heiligen Geist mit Irrenanstalt,
ein Krankenhaus
[* 26] der Barmherzigen Brüder, ein israelitisches Spital, ein Militärspital, 3 Waisenhäuser etc.
Unter den milden Stiftungen verdienen noch erwähnt zu werden: eine aus zwei Stiftungen entstandene Anstalt, wo arme Schüler
freie Wohnung und Heizung
[* 27] erhalten, und das Pfandleihhaus (Mons pietatis,
[* 28] seit 1584), mit dem die sogen. Erzbrüderschaft der
Barmherzigkeit verbunden ist. Krakau
ist Sitz des Oberlandesgerichts für Westgalizien, einer Bezirkshauptmannschaft,
eines Landesgerichts, einer Polizeidirektion, einer Finanzbezirksdirektion, eines Hauptzollamtes, einer
Berghauptmannschaft, eines römisch-katholischen Bistums, des Kommandos des 1. Korps und einer Handels- und Gewerbekammer.
Außer den die ganze Stadt umgebenden Promenaden zeichnen sich als besuchte Erholungsorte aus: der botanische Garten, der Garten
der Schützengesellschaft mit dem 1883 errichteten Denkmal Sobieskis und der sogen. Krakauer
Park. Beliebte
Punkte der Umgebung sind: der 2 km von der Stadt entfernte St. Bronislawaberg, auf dessen Gipfel 1820-23 dem polnischen
Helden Kosciuszko ein Denkmal errichtet wurde, ein künstlich erhöhter Erdhügel, zu welchem man Erdreich von fast allen den
Orten, wo Kosciuszko focht, siegte und erlag, herbeigeschafft hat; der Krokushügel, welcher besonders
zahlreich am dritten Ostertag besucht wird; das zunächst dem Kosciuszkohügel gelegene anmutige Dorf Wola mit einem englischen
Garten und das Dorf Lobzow, wo sich ein von Kasimir d. Gr. erbautes, aus den Ruinen größtenteils hergestelltes Palais nebst
einem Garten mit dem angeblichen Grabhügel der Jüdin Esther (der Geliebten jenes Königs) befindet. Nach
W. zu erhebt sich der hohe, dicht bewaldete Berg Bielany, auf dessen oberster Fläche ein Kamaldulenserkloster sich befindet.
3,7 km davon liegt das wegen seiner schönen Lage vielbesungene Dorf Mnikow in der sogen. Krakauer
Schweiz.
[* 29]
[Geschichte.]
Die Geschichte Krakaus
(Cracovia, nach einigen das Carodunum des Ptolemäos) knüpft sich
an die ältesten polnischen Sagen. Auf dem Berg Wawel gründete Krok (Krokus), der Stammvater des ältesten, in der Sage berühmten
slawischen Fürstengeschlechts, um 700 seine Burg, zu deren Füßen die nach ihm benannte Stadt Krakau
entstand. Dieselbe ward
früh der Sitz eines Erzbistums, das aber 1060 in ein Bistum verwandelt und unter den Erzbischof von Gnesen
gestellt wurde.
Die Diözese des Bischofs erstreckte sich über die Woiwodschaften Krakau, Sandomir und Lublin; außerdem war der Bischof seit 1443 zugleich souveräner Herr von Sewerien, dem Landstrich zwischen der Woiwodschaft Krakau und Schlesien. [* 30] Den lebhaften Verkehr Krakaus mit Deutschland [* 31] und die Ansiedelung von Deutschen beweist die Annahme des Magdeburger Stadtrechts 1257. Wenige Jahre zuvor (1241) war die Stadt von den Tataren erobert und größtenteils zerstört worden; dasselbe geschah noch zweimal, 1260 und 1281. Im J. 1291 kam an Böhmen. [* 32]
Diesem entriß es der König von Polen, Wladislaw Lokietek, wieder, erhob Krakau zur Residenz und ließ sich 1320 daselbst krönen. Von dieser Zeit an blieb es die Krönungs- und Begräbnisstadt der Könige von Polen (bis 1764). Dagegen verlegte Siegmund III. (1587-1632) die Residenz von Krakau nach Warschau, [* 33] wo sie seitdem verblieb. 1525 belehnte König Siegmund I. in Krakau Albrecht von Brandenburg [* 34] mit dem Herzogtum Preußen. [* 35] Nach der Zeit der Reformation entstanden bürgerliche Unruhen zwischen Katholiken und Protestanten (seit 1591), und 1606 stürmten die erstern die protestantische Kirche. 1655 wurde die Stadt nach fünfwöchentlicher Belagerung von den Schweden [* 36] erobert.
Bei einer zweiten Eroberung durch die Schweden (1702) ging das königliche Schloß in Flammen auf. Nachdem hier 1768 die bekannte Krakauer Konföderation abgeschlossen worden war, wurden die Konföderierten daselbst von den Russen belagert und die Stadt mit Sturm genommen. Die Krakauer Akte vom wurde für Polen das Signal zur allgemeinen Erhebung.
Von Krakau aus rückte Kosciuszko zu seinen ersten glücklichen Schlachten [* 37] aus; mit ihm unterlag auch die Stadt und wurde bei der dritten Teilung des Reichs von 1795 an Österreich [* 38] gegeben, welchem schon früher die Vorstadt Kasimierz zugefallen war. 1809 durch den Fürsten Poniatowski wiedergewonnen, bildete Krakau bis zum Sturz Napoleons I. einen Teil des Großherzogtums Warschau. Seiner Lage verdankte es Krakau, daß es auf dem Wiener Kongreß (1815) unter dem Schutz von Österreich, Rußland und Preußen ein selbständiges Dasein erhielt.
In dem neuen Freistaat Krakau waren die letzten Reste polnischer Unabhängigkeit enthalten; doch war der Umfang der Republik (1100 qkm oder 22 QM.) zu beschränkt, als daß die ihm zugestandene Souveränität mehr als eine bloß nominelle hätte sein können. Als im Dezember 1830 die Kunde vom Ausbruch des polnischen Aufstandes nach Krakau gelangte, schloß sich ein Teil der Bevölkerung [* 39] der Bewegung an. Da sich bei dem traurigen Ausgang des polnischen Befreiungskampfes zahlreiche Flüchtlinge von Rozyckis Korps auf das Gebiet des Freistaats gerettet hatten, gab dies dem russischen General Rüdiger Anlaß, Krakau militärisch zu besetzen, um den Freistaat von allen revolutionären Elementen zu säubern.
Darauf erschien im März 1833 eine Kommission von drei von den Schutzmächten ernannten Mitgliedern, welche aus der Verfassung alles entfernte, was der revolutionären Richtung des Volksgeistes irgend Nahrung geben konnte. Der Präsident konnte seitdem nur mit Zustimmung der Schutzmächte erwählt werden. Die Versammlungen der Volksvertreter, überwacht von den Residenten der Schutzmächte, fanden alle drei Jahre statt; Gegenstand der Beratung war ausschließlich das Budget.
Die Miliz wurde einem österreichischen Major untergeordnet. Gleichwohl fand eine Menge polnischer Flüchtlinge in Krakau eine Freistätte. Als nun 1836 der Aufforderung der Schutzmächte an den Senat, dieselben auszuweisen, nicht Folge geleistet wurde, rückten im Februar 1836 österreichische, russische und preußische Truppen in ein. Darauf wurde die Verfassung einer abermaligen Durchsicht unterworfen und die Gewalt der Schutzmächte und ihrer Bevollmächtigten bedeutend vergrößert. Erst im Herbst 1837 wurde auch die österreichische Besatzung von Krakau ¶