Kowno
(lit. Kauna), Gouvernement in Rußland, grenzt im N. und O. an das Gouvernement Kurland, [* 2] im S. an Wilna [* 3] und Suwalki und im W. an Preußen [* 4] und umfaßt ein Areal von 40,640 qkm (738 QM.). Das Land bildet eine weite Fläche mit einer Menge kleiner Seen (über 700 mit einem Areal von etwa 450 qkm) und wird bewässert von den Flüssen Niemen, Wilia, Newäsha, Dubisha, Mittwa, Memel-Aa u. a.; die drei erstgenannten sind schiffbar und haben im Lauf der Jahrtausende tiefe Thäler ins Land gewaschen.
Von den Seen sind die bedeutendern der Dusjaty und der Drisvjaty. In geognostischer Hinsicht gehört der südliche Teil des Gouvernements der tertiären (Eocän-) Formation, der nördliche Teil der devonischen an; im äußersten Norden [* 5] treten auch Jura und silurische Formation zu Tage. Im südlichen Teil wird Bernstein [* 6] gefunden. Von Metallen sind Eisen, [* 7] besonders Sumpfeisen, ferner Gips, [* 8] Kalk, Kreide [* 9] und Lehm vorhanden. Die mittlere Jahrestemperatur ist +6,28° C., die des Sommers +17,5, die des Winters -3,75° C. Früchte und Kernobst gedeihen vortrefflich.
Die Einwohnerzahl beläuft sich auf (1883) 1,461,461 (36 pro QKilometer) und ist zu ⅔ römisch-katholischer Konfession. Der Rest entfällt auf griechische Katholiken, Altgläubige und Raskolniken, Protestanten, Juden, Mohammedaner und wenige Karäer. Nach der Nationalität kommen auf die Litauer 74 Proz. (45 Proz. eigentliche Litauer, 54 Proz. Shmuden und 1 Proz. Letten), auf Juden 14 Proz., Slawen 9½ Proz. und Deutsche [* 10] 2½ Proz. Die Zahl der Eheschließungen ist 10,674, der Gebornen 49,705, der Gestorbenen 31,915. Die Flora ist eine gegen die in denselben Breitengraden liegenden ¶
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russischen Gouvernements bedeutend südlichere. Die Wiesen werden zweimal gemäht; Roggen und Weizen geben, rationell behandelt, das 15., stellenweise das 20. Korn. Die Landwirtschaft, der Haupterwerbszweig der Bevölkerung, [* 12] steht noch auf niedriger Stufe; allgemein wird nur die Dreifelderwirtschaft angewandt, und landwirtschaftliche Maschinen sind noch ganz unbekannt. Vom Areal sind 36 Proz. Ackerland, 33 Proz. Wiesen, 22 Proz. Wald und 9 Proz. Unland. Die Ernte [* 13] war 1884 pro Hektar der betreffenden Ackerfläche bei Roggen 9,2, bei Winterweizen 10,6, bei Sommerweizen 8,7, beim Hafer [* 14] 12,4, bei Kartoffeln 74,2 hl. Der Viehbestand belief sich 1883 auf 563,000 Stück Hornvieh, 384,000 Schafe, [* 15] 485,000 Schweine [* 16] und 377,000 Pferde. [* 17] Im Gouvernement werden 16 Pferdemärkte gehalten (am wichtigsten der von Janischki mit ca. 6000 Pferden).
Die industrielle Thätigkeit ist unbedeutend; der Produktionswert derselben wird auf 4 Mill. Rubel angegeben. Die Volksbildung
ist sehr mangelhaft; 1883 gab es 227 Schulen mit 12,635 Schülern, darunter 4 Mittelschulen mit 1600 Schülern, ein
Priester- und ein Lehrerseminar mit 171 Lernenden. Kowno
wird in sieben Kreise
[* 18] geteilt: Kowno
, Nowoalexandrowsk, Ponewjesh, Rossieny,
Schawli (Schaulen), Tulschi und Wilkomir. Für den Geschichtsforscher bietet das Gouvernement Kowno
, das alte Samogitien, reichen
Stoff.
Aus den heidnischen Zeiten sind noch manche Überreste vorhanden: Tempelruinen, Plätze, auf denen die Toten verbrannt wurden, u. dgl. Später, als das Land unter die Herrschaft der litauischen Fürsten kam, wurde es eine leichte Beute der Nachbarn, der Polen, Russen und Deutschen. Die deutschen Ansiedelungen stammen aus dem 14. und 15. Jahrh., während die Russen sich schon im 11. Jahrh. unter Jaroslaw hier niederließen. Juden und Karäer finden wir seit der Zeit der Jagellonen und Tataren, also seit der Mitte des 17. Jahrh. Aus Polen stammt nur der niedere Adel (Szlachta), dessen Angehörige sich auf etwa 70,000 belaufen, von denen aber der größere Teil kaum zu lesen versteht.
Die gleichnamige Hauptstadt, am Einfluß der Wilia in den Niemen und an der Eisenbahn St. Petersburg-Warschau, hat 5 griechisch-katholische, 6 römisch-katholische und eine luth. Kirche, eine Kirche der Altgläubigen, 30 Synagogen und jüdische Bethäuser, ein Priesterseminar, ein Knaben- und ein Mädchengymnasium, ein römisch-kath. Seminar, 3 Buchhandlungen, ein Theater, [* 19] ein Denkmal zur Erinnerung an den Krieg von 1812 und (1884) 49,896 Einw. (mehr als die Hälfte Juden). Die industrielle Thätigkeit ist unbedeutend. Der schiffbare Niemen begünstigt den Handel nach Preußen. Ausgeführt werden: Weizen, Roggen, Flachs, Leinsamen, Lumpen, Knochen [* 20] und Bauholz;
eingeführt hauptsächlich Salz.
[* 21] Kowno
ist Sitz
eines deutschen Berufskonsuls. - Kowno
wurde schon im 11. Jahrh. erbaut.
In der Stadt liegt die Ruine der
von den Kreuzrittern 1383 erbauten Burg Ritters-Werder, in der Nähe das Poshaisky-Uspenskische Kloster (1674 von dem litauischen
Großkanzler Christoph Paz erbaut). Oberhalb Kownos
erinnert ein Denkmal an den Übergang der Franzosen und ihrer Alliierten
über den Niemen auf dem Zuge nach Moskau.
[* 22] Hier fand ein siegreiches Gefecht der
Russen gegen die Polen statt.