Kotschinchina
franz. Kolonie in Hinterindien, [* 2] zwischen 8° 25' und 11° 30' nördl. Br., begrenzt im N. von Kambodscha und Anam, im übrigen vom Meer (s. Karte »Hinterindien«). Der Name ist durch die Portugiesen eingeführt, welche zu dem Namen der frühern Hauptstadt Koetschen noch China [* 3] hinzufügten. Das Land bildet eine weite, zum großen Teil sumpfige Ebene, welche im O. von niedrigen Höhen, Ausläufern des Moigebirges, durchzogen wird, die im Kap St.-Jacques (mit vortrefflichem Leuchtturm) an der Mündung des Donai enden, dem bedeutendsten Fluß des Landes nach dem Mekhong (s. d.), welcher ein großes Delta [* 4] bildet.
Ihr in zahlreichen Verzweigungen und Kanälen verschlungenes Flußnetz dient der Bewässerung sowohl als der Schifffahrt. Das Klima [* 5] ist sehr heiß und Europäern nicht zuträglich; die niedrigste Temperatur ist in Saigon im Dezember 19° C., März bis Mai 28-30° C.; die Regenzeit währt von April bis Ende Oktober, die trockne von November bis Anfang April. Die einheimische Tierwelt schließt Tiger und Leoparden ein, für deren Vertilgung die Regierung eine Prämie von 100 Frank pro Stück zahlt, ferner Elefanten, Rhinozerosse, Hirsche, [* 6] Rehe, Pfauen, in den Flüssen Kaimans; Moskitos und Ameisen sind große Plagen.
Von Haustieren zählt man 5000 Pferde, [* 7] 60,000 Ochsen, 190,000 Büffel. Unter Kultur sind 551,500 Hektar, davon 440,000 Hektar mit Reis bestellt, der in zwei Ernten im Jahr den Hauptausfuhrartikel (für 35 Mill. Fr.) liefert. Außerdem werden gebaut: Zuckerrohr, Betelpfeffer, Tabak, [* 8] Baumwolle [* 9] (Ausfuhr 50,000 Pikol), Arekabäume, Kokospalmen. Die bisher noch nicht nutzbar gemachten Waldungen im O. enthalten wertvolle Holzarten; man schätzt ihre Ausdehnung [* 10] auf 800,000 Hektar.
Die Gewerbthätigkeit ist äußerst wenig entwickelt, erwähnenswert sind die Fabrikation grober Seidenzeuge und die
Salzwerke
von
Baria und Bakhuen (25,000
Ton. jährlich). Seit
Annexion der drei Südprovinzen und der von
Anam abgetretenen
Provinz Biuhthuan
umfaßt Kotschinchina
71,460 qkm (1298 QM.) mit (1883)
1,596,500 Einw., davon 1,431,142 Anamiten, 101,837 Kambodschaner, 49,922
Chinesen, 4463
Malaien, 1862
Franzosen, 65 andre
Europäer u. a. Die Hauptbeschäftigung des
Volkes ist
Ackerbau, und
Reis bildet
den Hauptausfuhrartikel, nächstdem
Baumwolle,
Pfeffer,
Zucker,
[* 11]
Seide.
[* 12]
Die Warenausfuhr wertete 1883: 16,379,284
Piaster, davon
Reis 12,419,285
Piaster, die Einfuhr 12,688,308
Piaster. Es liefen 523
Schiffe
[* 13] aus, darunter 98 deutsche mit 82,516
Ton. Allgemein gangbare
Münze ist der mexikanische
Piaster; die Anamiten
bedienen sich des
Nen, eines Silberbarrens im Wert von 15-18
Piaster; als
Scheidemünze dienen kleine Zinkstücke mit viereckigem
Loch,
Sapeken, wovon 600 auf einen
Frank gehen.
Administrativ ist Kotschinchina
seit 1876 eingeteilt in vier
Provinzen:
Saigon, Mytho, Vinhlong
und Bassak; man zählt 6
Städte ersten und 20-25 zweiten
Ranges und 2400
Dörfer. Hauptstadt und
Residenz des
¶
mehr
Gouverneurs und der französischen Verwaltung ist Saigon (s. d.), das fast den ganzen auswärtigen Handel vermittelt, und in welchem die fremden Konsuln, darunter ein deutscher, wohnen. Saigon ist durch Eisenbahn mit Mytho, durch Telegraphen [* 15] mit den übrigen Hauptplätzen des Landes, durch submarine Kabel mit Hongkong und Singapur [* 16] verbunden. Die französische Verwaltung läßt die ursprüngliche Gemeindeverfassung bestehen und hat nur die höhern Stellen mit Europäern besetzt, gleichwohl vermochte sie die Bevölkerung [* 17] nicht zufriedenzustellen und hatte 1876 einen Aufstand zu unterdrücken, dessen Ausbruch dem Handel beträchtlichen Schaden zufügte.
Dem Gouverneur, der mit ausgedehnten Vollmachten betraut ist, steht ein Verwaltungsrat zur Seite; es besteht eine Administration für die innern Verhältnisse des Landes wie für die Marine. Die Verwaltung läßt sich als eine stramme Militärverwaltung bezeichnen. Seit 1864 sind in den größern Städten Elementarschulen nach europäischem Muster errichtet worden; 1876 wurden 20 derselben von 2812 Schülern besucht. Die französischen Verwaltungsbeamten müssen an einem neuerlich gegründeten Lehrstuhl der anamitischen Sprache [* 18] in Paris [* 19] diese Sprache erlernen.
Der finanzielle Zustand der Kolonie ist ein sehr guter; statt wie früher einen Zuschuß von Frankreich zu fordern, liefert sie dorthin jährlich ca. 2,2 Mill. Fr. ab; 1884 betrugen die Einnahmen 24,950,000 Fr., wovon ein nicht geringer Teil aus der Opiumeinfuhr (jährlich 1 Mill. kg) stammt, die jetzt Staatsmonopol ist, früher aber gegen eine Jahrespacht von 3,250,000 Fr. einem chinesischen Konsortium überlassen war, die Ausgaben aber 22,755,000 Fr. Die Flagge besteht aus einem gelben, mit grünen Zacken eingefaßten Flaggtuch (s. Tafel »Flaggen [* 20] I«). [* 21]
Geschichte. Um 263 n. Chr. von der chinesischen Herrschaft befreit, fiel Kotschinchina
Ende des 11. Jahrh.
an Kambodscha, stand aber im 13. Jahrh. in freundschaftlichem Tributverhältnis zu China. Der König Itahata (1373) trat dem
Unwesen der Piraten mit Energie entgegen, wurde jedoch in einen Krieg mit Tongking
[* 22] (Nordanam) verwickelt, der unter seinen Nachfolgern
fortdauerte und 1471 mit der Einverleibung des Landes in den tongkingesischen Staat endete. Im 17. Jahrh.
versuchten Jesuiten von Macao aus in Kotschinchina
sich festzusetzen, vermochten jedoch einen dauernden Einfluß nicht zu erlangen.
Selbständig trat Kotschinchina
wieder im 18. Jahrh. auf. Im Krieg Kambodschas mit Siam (1717) leistete es, obwohl von Anam abhängig, ersterm
Hilfe, erhielt dadurch Einfluß auf die Angelegenheiten desselben und konnte sich 1750 sogar einiger
Provinzen dieses Reichs bemächtigen. 1774 kam es im Land infolge der Bedrückungen der Großen zu einem blutigen Aufstand, der
schließlich mit der Verschmelzung Kotschinchinas
mit dem Reich Anam endigte. Letzterm wurde die jetzt Cochinchine française
genannte Kolonie mit der Hauptstadt Saigon 1858-62 abgestritten (s. Anam, S. 531) und 1867 um die Provinzen
Vinhlong, Chandol und Hatien (westlich vom Mekhongfluß) vermehrt.
Vgl. Cortambert und de Rosny, Tableau de la Cochinchine (Par. 1863);
v. Scherzer, Fachmännische Berichte über die österreichische Expedition nach Siam, China und Japan (Stuttg. 1872);
Bastian, Die Völker des östlichen Asien, [* 23] Bd. 4 (Jena [* 24] 1867);
Garnier, Voyage d'exploration en Indo-Chine 1866-68 (Par. 1873, 2 Bde., Prachtwerk; neue Textausg. 1885);
Vincent, The land of the white elephant (Lond. 1873);
Vial, Les premières années de la Cochinchine, colonie française (Par. 1874);
Bouinais und Paulus, La Cochinchine contemporaine (2. Aufl., das. 1885);
»État de la Cochinchine en 1881« (offiziell, Saigon 1882);
Favre, La Cochinchine en 1881 (Par. 1881);
Lemire, L'Indo-Chine.
Cochinchine française etc. (6. Aufl., das. 1887).