Kossuth
(spr. kóschschut), Ludwig (Lájos), Führer der ungarischen Revolution von 1849, geb. zu Monok im Komitat Zemplin aus einer armen adligen Familie slowakischer Abstammung und evangelischer Religion, wurde in Tyrnau und Eperies erzogen, studierte von 1824 ab in Pest die Rechte, war eine Zeitlang Fiskal der Gräfin Szapáry, siedelte 1831 wieder nach Pest über und wurde Vertreter eines Magnaten im Reichstag. Daneben redigierte er eine durch Abschriften vervielfältigte »Landtagszeitung«.
Als er diese trotz Verbots weitererscheinen ließ, ließ die
Regierung ihn 1837 verhaften, und die Septemviraltafel verurteilte
ihn 1839 zu einer vierjährigen
Festungsstrafe, die er auf der
Festung
[* 2]
Munkács verbüßte. Doch die
Amnestie vom gab
ihm die
Freiheit wieder, und er übernahm nun 1841 die Redaktion des »Pesti
Hirlap«, in welchem
er den
Hof
[* 3] und seine Anhänger mit rücksichtsloser Kühnheit angriff, die nationalen
Rechte mit
Eifer verteidigte
und die populären
Wünsche und
Forderungen mit hinreißendem
Feuer und prunkvoller
Sprache
[* 4] vortrug. Seine
Zeitung war bald die
gelesenste in ganz
Ungarn,
[* 5] und der
Widerspruch bedeutender
Politiker, wie
Dessewffy und
Széchényi, steigerte
nur das Ansehen Kossuths.
Nachdem er 1844 infolge eines Zerwürfnisses mit den Verlegern von der Redaktion des »Pesti
Hirlap« zurückgetreten war, beteiligte er sich an verschiedenen
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nationalen Vereinen und ward unter anderm Mitbegründer des Industrievereins (Védegylet), der bald zahlreiche Mitglieder
zählte und großen Einfluß gewann. Kossuth
wollte nämlich in Ungarn durch ein absperrendes Schutzzollsystem Handel und Industrie
begründen, um dadurch sein Vaterland groß zu machen. Die Verbindung Ludwig Batthyánys mit Kossuth
bewirkte, daß letzterer vom
Pester Komitat 17. Okt. als Deputierter für den 1847 einzuberufenden Reichstag gewählt wurde, wo er als Sprecher,
dann als Führer der Oppositionspartei bald die Versammlung beherrschte und durch die Mäßigung und Würde, welche seine Reden
über die Gleichberechtigung der Nationalitäten, für die Emanzipation der Nichtchristen, für die Aufhebung der Bauernlasten,
gegen die Privilegien des Adels und der hohen Geistlichkeit etc. auszeichneten, selbst den Beifall der
Gegner gewann.
Nachdem die Nachricht vom Sturz des Königtums in Frankreich in Preßburg
[* 7] eingetroffen war, hielt Kossuth
im Ständehaus
eine große Rede, welche eine Repräsentation an den König mit der Forderung von Reformen, namentlich eines
verantwortlichen Ministeriums, beantragte. Er und Batthyány führten die Deputation mit dieser Adresse nach Wien,
[* 8] wo sie 15. März begeistert
empfangen wurde und ihre Forderung zugestanden erhielt. In dem selbständigen ungarischen Ministerium, welches Batthyány 17. März bildete,
erhielt Kossuth
das Portefeuille der Finanzen, war aber die belebende Seele des Ganzen.
Sein erstes Bestreben ging dahin, eine magyarische Großmacht zu schaffen; darüber aber die Rechte der Nichtmagyaren in Ungarn
vergessend, reizte er die slawischen Stämme zum Widerstand, und diese erklärten sich nach einigen Schwankungen, welche die
schaukelnde Politik des Wiener Kabinetts hervorrief, endlich für das Kaiserhaus. Dies machte Kossuth
zum entschiedenen
Gegner der Vermittelungspolitik, und obwohl er in der Nationalversammlung für die Bewilligung der Truppensendung nach Italien
[* 9] sprach, traf er alle Anstalten, um die ungarische Revolution gegen Österreich
[* 10] mit Waffengewalt aufrecht zu erhalten.
Nach der Auflösung des ungarischen Ministeriums im September 1848 riß in einer theatralischen Szene im Reichstag die Diktatur an sich und behielt auch, nachdem sich ein neues Ministerium gebildet, thatsächlich die Zügel der Regierung in seiner Hand. [* 11] Am 22. Sept. trat er aber an die Spitze des Landesverteidigungsausschusses, wodurch seine Politik zur vollen Geltung gelangte. Mit leidenschaftlicher Energie wirkte er seitdem für die Herstellung der ungarischen Armee, die Bewaffnung des Landsturms, die Eröffnung von Hilfsquellen sowie durch persönliche Reisen und Ansprachen für die Entzündung des revolutionären Geistes im Volk.
Während aber Wien von Windischgrätz belagert wurde, versäumte die ungarische Armee den rechten Zeitpunkt zum Entsatz der Hauptstadt,
und als endlich Kossuth
selbst nach dem Lager
[* 12] eilte, einen entscheidenden Schritt herbeizuführen, war es zu
spät und die Schlacht bei Schwechat (30. Okt.) ein verlornes Unternehmen, dessen Verantwortlichkeit auf Kossuths
Schultern liegt.
Als bei dem Anrücken der österreichischen Armee unter Windischgrätz gegen die ungarische Grenze die Nationalversammlung und
die Regierung Anfang Januar 1849 nach Debreczin
[* 13] übersiedelten, trug er durch seinen Mut und seine außerordentliche
Thätigkeit wesentlich dazu bei, daß der siegreiche Frühlingsfeldzug von 1849 begonnen werden konnte. Am 14. April bestimmte
er den Reichsrat zu dem Beschluß, Ungarn für unabhängig und die habsburgische Dynastie für des Throns entsetzt
zu erklären.
Zugleich ward er zum verantwortlichen Landesgouverneur ernannt und hielt 5. Juni das von den Ungarn wiedereroberte
Pest einen feierlichen Einzug. Hier entfaltete er eine ungemeine Thätigkeit, um Ungarn die Mittel zum Kampf zu schaffen und
eine geregelte Verwaltung zu geben. Nach seinem und Dembinskis Plan sollte sich die ungarische Armee in zwei große Hälften
teilen; die eine davon sollte in Österreich, die andre in Galizien einfallen, um vor der russischen Intervention
den Kampfplatz und die Revolution über die Grenzen
[* 14] Ungarns hinauszutragen; der Plan scheiterte jedoch an Görgeis Widerspruch,
und die anfänglichen Siege der Ungarn verwandelten sich bald in Niederlagen. Aber noch verließ Kossuth
der Glaube an die
Kraft
[* 15] seiner Nation nicht. Er schrieb einen Kreuzzug gegen die Unterdrücker derselben aus und rief das gesamte Volk zu den
Waffen.
[* 16] Gleichwohl ging Pest wieder verloren, und der Diktator mußte mit dem Ministerium hinter die Theiß flüchten. Görgeis
Opposition brach in offenen Ungehorsam aus, und Zwietracht, Mißtrauen und Ränke unter den Leitern der Bewegung
beschleunigten die Niederlage der ungarischen Sache. Görgei zwang nach der verlornen Schlacht bei Temesvár in einem Kriegsrat
zu Arad 11. Aug. Kossuth
, ihm die Diktatur zu übergeben, und Kossuth
überschritt hierauf 17. Aug., nachdem er die Reichskleinodien in einer
gemauerten Grube bei Orsova an der ungarisch-rumänischen Grenze verborgen, betäubt und gebrochen die türkische
Grenze, um sich nach England zu retten. Seine Hauptfehler waren seine Neigung zu theatralischer Effekthascherei, die Unklarheit
seiner Ziele, seine phantastische Begeisterung für die politisch unmögliche Umwandlung Ungarns in ein selbständiges, unabhängiges
Reich und das Schwankende seiner Entschlüsse, während ihm ein bedeutendes Redner- und Agitationstalent,
eine rastlose Thätigkeit und eine glühende, reine Begeisterung für die Größe seines Vaterlandes bis 1849 nicht abzusprechen
sind. Fortan jedoch verfiel er mehr und mehr in die Rolle eines Abenteurers und schließlich in die eines politischen Charlatans.
Er ward auf türkischem Gebiet erkannt und erst zu Widdin, dann zu Schumna in Haft gehalten, von März bis
August 1851 mit seinen Genossen zu Kutahia in Kleinasien interniert. Gedrängt von Frankreich und Amerika,
[* 17] gab die Pforte endlich
Kossuth
frei, und fuhr er auf der nordamerikanischen Dampffregatte Mississippi von Gemleck ab, während er 22. Sept. zu Pest
in effigie hingerichtet wurde. In Gibraltar
[* 18] verließ Kossuth
den Mississippi, um erst einen Besuch in England
zu machen, und langte 23. Okt. vor Southampton an, wo seine Gegenwart in einer langen Reihe von Festlichkeiten, Banketten und Meetings
gefeiert wurde. Von vielen Städten kamen Einladungen an Kossuth
zu persönlichem Erscheinen, doch folgte er
nur denen nach Birmingham
[* 19] und Manchester.
[* 20] Auch in Nordamerika
[* 21] wurde er mit außerordentlichem Enthusiasmus aufgenommen, und eine
beträchtliche Summe kam zusammen, die als Fonds für die künftige Revolutionierung Europas dienen sollte. 1853 nach England
zurückgekehrt, stellte sich Kossuth
hier mit Ledru-Rollin und Mazzini an die Spitze der roten Demokratie, den
Standpunkt des fanatischen Magyaren wahrend; doch bezichtigten ihn selbst seine neuen Anhänger der Doppelzüngigkeit, und
die bessern Elemente der ungarischen Emigration hielten sich von ihm fern. Beim Ausbruch des oberitalienischen Kriegs 1859 trat
er mit Kaiser Napoleon III. in Unterhandlungen und ging mit andern Häuptern der ungarischen
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Emigration nach Sardinien,
[* 23] um von dort aus die allgemeine Insurrektion Ungarns anzubahnen; doch verhinderten die Friedenspräliminarien
von Villafranca den Ausbruch derselben, und Kossuth
kehrte hierauf nach London
[* 24] zurück, wo er, obwohl seine agitatorische Thätigkeit
fortsetzend, sich doch seitdem wenig bemerklich machte. 1867 erlangte er durch die Krönungsamnestie das Recht zur
Rückkehr nach Ungarn und wurde 1867 und nochmals 1877 in den Reichstag gewählt. Doch lehnte Kossuth
ab, da er sich nicht dazu
entschließen mochte, das geltende Staatsgrundgesetz zu beschwören, und beteiligte sich nur zuweilen durch offene Briefe an den
öffentlichen Angelegenheiten Ungarns. Er lebt jetzt in Turin.
[* 25] 1880 begann er »Meine Schriften aus der Emigration«
in ungarischer und englischer Sprache (deutsch, Preßb. 1881-1882, 3 Bde.)
zu veröffentlichen, die interessante Mitteilungen enthalten.
Vgl. Horn, Ludwig Kossuth
(Leipz. 1851);
Frey, Ludwig Kossuth
und Ungarns
neueste Geschichte (Mannh. 1849);
Szemere, L. Batthyányi, A. Görgei und Ludwig Kossuth (Hamb. 1852);
»Kossuths Briefe« (Pest 1862) und »Briefe an Bem 1849« (hrsg. von Makray, das. 1872).