Titel
Kosaken
(russ. Kasák, Mehrzahl Kasāky), Volk oder richtiger Kaste (Korporation) von Kriegern in Rußland. Das Wort Kasak ist ein altorientalisches und soll etwa s. v. w. Landstreicher und Straßenräuber (vgl. Kirgisen) bedeuten. Schon im 10. Jahrh. bekämpften russische Fürsten die Kasoghen (Kasagen) auf der Halbinsel Taman, und ein Teil des heutigen Kaukasus hieß Kasachia. Indes läßt sich ein Zusammenhang dieser Namen mit dem der ¶
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erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. auftretenden Kosaken
historisch sowenig
nachweisen, als man über den Ursprung der Kosaken
selbst im klaren ist. Mit Sicherheit läßt sich nur angeben, daß
Menschen energischen und kühnen Charakters, denen aus verschiedenen Gründen die Heimat zu eng wurde, sich in der bis dahin
gänzlich unbewohnten Wildnis zwischen der Südgrenze der slawischen und der Nordgrenze der tatarischen Besitzungen ansiedelten.
Gerade dieser Anfang hat dem Kosakentum
die ihm eigne Signatur aufgedrückt.
Unterhalb der Stromschnellen des Dnjepr ließen sich vorzugsweise Kleinrussen nieder, während am Don zuerst Kosaken
großrussischen
Stammes erschienen. So bildeten sich die beiden Hauptabteilungen der Ukrainischen oder kleinrussischen
und der Donischen Kosaken.
Besonders günstig für die Ausbreitung des Kosakentums war das 17. Jahrh.
Die 1592 erfolgte Aufhebung der Freizügigkeit der Bauern veranlaßte viele, sich unter den Kosaken
niederzulassen. Das Erlöschen
des Moskauer Zarengeschlechts aus dem Haus Rurik und die damit verbundenen Unruhen sowie die vom Patriarchen
Nikon vollzogene Reinigung der Kirchenbücher führten dann den Kosaken
Massen neuer Unzufriedener zu.
Die Kosaken
sprechen größtenteils den großrussischen Dialekt, nur von den Tschernomorischen Kosaken
wird der kleinrussische gesprochen.
Gegenwärtig bilden die Kosaken
einen wichtigen Teil des russischen Heers. Die verschiedenen Abteilungen (Donische, Kubanische,
Tereksche, Astrachanische, Orenburgische, Uralische, Sibirische, Semiretschinskische, Transbaikalische,
Amurische) haben eine Friedensstärke von 51,946 Mann mit 94 Geschützen und 38,707 Pferden und eine Kriegsstärke von 145,325
Mann mit 212 Geschützen und 138,036 Pferden.
Die 51,946 Mann der Friedensstärke verteilen sich auf 44½ Regimenter, 257 Sotnien zu Pferd, [* 3] 20 Sotnien zu Fuß und 20 Batterien mit 1984 Offizieren und 49,962 Mannschaften, worunter 4629 Nichtkombattanten; die 145,325 der Kriegsstärke auf 132½ Regimenter, 800 Sotnien zu Pferd, 60 Sotnien zu Fuß und 34 Batterien mit 3356 Offizieren und 141,969 Mannschaften, worunter 13,422 Nichtkombattanten. Jeder Kosak ist militärpflichtig. Die Dienstzeit ist nicht in allen Stämmen gleich, dauert jedoch nicht über 25 Jahre.
Bei den Donischen Kosaken
wird dieselbe in drei Klassen geteilt. Die erste, die vorbereitende, dauert 3 Jahre; in diese tritt jeder
Kosak mit dem erreichten 18. Lebensjahr. Im ersten Jahr muß er sich equipieren, in den beiden andern militärischen
Übungen obliegen. Darauf werden die jungen in die Regimenter verteilt und treten hiermit in die zweite
Dienstperiode ein, die 12 Jahre dauert, und nach welcher sie der Reserve zugezählt werden. Bei den Terekschen und Kubanischen
Kosaken
muß jede Staniza (Kosakendorf
) einen gewissen Prozentsatz jährlich an Rekruten stellen.
Alle Kosaken
sind in drei Kategorien geteilt, von denen in Friedenszeiten sich die erste, d. h.
ein Drittel aller Kosaken
, im aktiven Dienst in den Regimentern befindet, während die beiden andern sich in den Stanizen aufhalten.
Während der Dienstzeit erhalten die Kosaken
von der Regierung Gehalt, Menage und Furage; dagegen müssen sie Waffen,
[* 4] Uniformierung,
Pferde
[* 5] und Sattelzeug selbst anschaffen. Die Bewaffnung besteht aus Pike, Kosaken
büchse, Kosakensäbel
und der Nogaika, einer kurzen Lederpeitsche, an deren Ende gewöhnlich eine Bleikugel eingenäht wird.
Die Offiziere ergänzen sich fast ausschließlich aus dem Kosakenadel
, stehen aber, was Ausbildung betrifft, den regulären
Offizieren weit nach. Der erste Rang, der nach abgelegtem Examen (es bestehen
mehrere Schulen für die Ausbildung
von Kosakenoffizieren) erlangt wird, ist der Chorúndshy (Sekondeleutnant); dann folgen Ssótnik (Premierleutnant), Issaúl
(Rittmeister oder Hauptmann) und Woisskowói Starschiná (Heeresältester, s. v. w. Major); die höhern Rangstufen sind dieselben
wie im regulären Militär.
Der Oberbefehlshaber heißt Ataman, doch kommt dieser Titel jedem, der irgendwo den höchsten Posten einnimmt, zu, z. B. Ataman der Staniza, Ataman des Stammes etc. Jeder Kosak hat das Anrecht auf einen Landteil von durchschnittlich 30 Deßjätinen (gegen 27 Hektar), der ihm erblich verbleibt, und die Ausnutzung der Gemeindeweiden. Durch die schon seit vielen Menschenaltern immer fortgeerbte besondere Lebensweise hat sich beim Kosaken ein ganz besonderer Typus gebildet.
Von Jugend auf gewöhnt, mit Waffe und Pferd umzugehen, dabei mit außergewöhnlicher Schärfe des Gesichts und Gehörs begabt, ist er wie geschaffen zum Vorpostendienst sowie zum Krieg mit den asiatischen Völkern. Weder Luxus noch Bequemlichkeit kennend, hält er die größten Strapazen aus. Seinen russischen Gott und Kaiser im Herzen, ist er das blinde Werkzeug seiner Führer. Seine Wachsamkeit ist zum Sprichwort geworden. Außerdem sind Gutmütigkeit, sorgloser, heiterer Sinn und äußerste Gemütsruhe dem Kosaken eigentümlich, während ihm der Trieb zu einer regelmäßigen Thätigkeit völlig abgeht.
Die Kosaken besitzen einen reichen Schatz von Heldengesängen, Liedern und Legenden; ihre sich meist in Molltönen bewegenden Gesänge haben viel Melodie. Die nachfolgende, Schnitzlers 1862 erschienenem Werk »L'empire des Tsars« entnommene Ausstellung, welche sämtliche auf 1,681,633 Seelen berechnet, bedarf zwar einer Erhöhung der Ziffern, gibt aber doch eine anschauliche vergleichende Übersicht des numerischen Bestandes der in den verschiedenen russischen Landesteilen:
Don | 793758 | Ural | 67002 |
Kuban | 156745 | Sibirien | 73432 |
Terek | 254415 | Transbaikalien | 100839 |
Wolga | 16446 | Irkutsk | 8568 |
Asow | 9405 | Jenisseisk | 7514 |
Donau | 11766 | Tobolsk | 6084 |
Orenburg | 175659 |
Die Truppe zu Tobolsk besteht heute nicht mehr, dafür sind am Amur mehrere Posten errichtet.
Geschichtliches.
Die Amur-Kosaken wurden 1859 aus einem Teil der Sabaikal-Kosaken (s. unten), aus regulären Soldaten und am Amur angesiedelten Bauern organisiert. Sie stellen im Krieg 6 Sotnien zu Pferd und 6 Sotnien zu Fuß, im ganzen 2160 Mann mit 1103 Pferden, im Frieden je 2 Sotnien zu Fuß und zu Pferd, mit 685 Mann und 353 Pferden, welche hauptsächlich den Wachtdienst an der chinesischen Grenze versehen. Die Asowschen Kosaken am Asowschen Meer wurden 1865 als Kosakenkorporation ganz aufgelöst und mit den Donischen vereinigt. Die Astrachanischen Kosaken werden 1691 zum erstenmal erwähnt; sie gingen zum größten Teil aus Altgläubigen hervor, die vom Don gegen die Wolga vordrangen. Im J. 1730 siedelte man zum Schutz gegen die räuberischen Kalmücken 1000 Kosakenfamilien vom Don an die Wolga über, die ihr Land in den Gouvernements Astrachan und Saratow erhielten. Sie stellen im Frieden 1 Reiterregiment zu 692, im Krieg 2 Reiterregimenter zu 1338 Mann.
Die Donischen Kosaken existierten schon im 15. Jahrh., doch ist über ihre Entstehung nichts Sicheres bekannt. Das offizielle Datum ihres Ursprungs wird durch ¶
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die Urkunde bezeichnet, mit der Iwan Grosny 1570 ihre Organisation bestätigte. Von nun an nahmen sie eine bestimmte feindliche Stellung gegen Tataren und Türken und erbauten kaum 60 km von Asow ihren befestigten Hauptort Tscherkask. Sie wurden schnell mächtig; ja, sie verschonten gelegentlich auch russische Provinzen nicht und beraubten namentlich die Karawanen, welche von Moskau [* 7] nach Asow gingen. Auch auf dem Meer trieben sie ihr Unwesen und machten Raubzüge bis weit hinter die Wolga.
Über ihre innere Einrichtung besitzen wir aus der ersten Zeit nur sehr dürftige Nachrichten. Obwohl Tscherkask schon damals als Hauptort genannt wird, so ist es doch wahrscheinlich, daß keineswegs alle Kosaken einem Häuptling gehorchten, sondern daß sich die meisten da anschlossen, wo es reiche Beute gab. Mit dem 17. Jahrh. wurde ihr Zustand geregelter. Die Zentralregierung in Tscherkask wurde anerkannt, doch besaß jede Kosakenansiedelung (Staniza) noch ihren eignen Vorsteher und ordnete ihre innern Verhältnisse selbst.
Alle Kosaken traten zu einem Kriegsrat (Woiskowoi Okrug) zusammen, in welchem entschieden wurde, ob ein Kriegszug zu unternehmen sei oder nicht, wie die Beute zu teilen u. dgl. Präsident war ein besonderer Woiskowoi Ataman; für den Krieg und die Streifzüge wurde jedesmal ein besonderer Anführer (Pochodnij Ataman) gewählt. Seit 1718 wurden die Atamans von der Regierung bestimmt, und dies war der erste Schritt zur jetzigen Organisation der Kosaken. Als sich dieselben wiederholt gegen die Eingriffe der Regierung in ihre alten Rechte aufgelehnt hatten und diese nun ihrerseits vollständig die Gefahr eines solchen »Staats im Staat« einsah, gab der Pugatschewsche Aufstand 1774 und 1775, obwohl die Donischen Kosaken sich wenig an ihm beteiligt hatten, günstige Veranlassung, ihre Freiheiten zu beschränken.
Die Volksversammlungen wurden aufgehoben, dagegen aus den Ältesten und Issauls ein Adel geschaffen, aus dem man von nun an alle Ämter besetzte. An die Stelle des Kriegsrats trat eine Kanzlei, welche die Funktionen eines Gerichtshofs übernahm, aber auch die administrativen und finanziellen Verhältnisse zu leiten hatte. Alexander I. schuf einen Bauernstand, wie er in Rußland existierte, und endlich ward 1841 das letzte Zeichen der ursprünglichen Gleichheit unter den Kosaken beseitigt, indem das Land, welches früher gemeinschaftliches Eigentum war, in der Weise verteilt wurde, daß jede freie männliche Seele 30 Deßjätinen, jeder Leibeigne die Hälfte erhielt.
Gegenwärtig bildet das Land der Donischen Kosaken ein eignes russisches Gouvernement von 160,277 qkm (2911 QM.) Flächeninhalt. Es ist eine große Steppe, die von den Flüssen Don, Donez, Medwjediza, Choper, Tschur, Kolitwa, Sal, Aksai, Mius und den Grenzflüssen Manytsch und Kalmius bewässert wird. Der höchst fruchtbare Boden besteht aus einer ziemlich dicken Schicht Humus, welche auf Lehm liegt. Weniger fruchtbar, wegen seines starken Salzgehalts, ist das linke Ufer des Don, eine ganz flache Fortsetzung der aral-kaspischen Ebene, deren vollständige Einförmigkeit nur dann und wann durch einen künstlichen Kurgan (Hünengrab) unterbrochen wird.
Das rechte Ufer ist hügeliger und steigt im Bezirk Mius bis 122 m an. Die Flora ist die südrussische, während dieselbe am linken Ufer ganz den Charakter der aral-kaspischen trägt. Vom Areal sind 45 Proz. Ackerland, 42 Proz. Wiesen und Weiden, 2 Proz. Wald und 11 Proz. unbrauchbares Land. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 6,3° R. Der wärmste Monat (Juli) hat im Mittel 17,7° und der kälteste (Februar) -5,7°. Trotz des strengen Winters gedeiht Wein gut und könnte bei richtiger Behandlung eine große industrielle Bedeutung gewinnen. Zu den wichtigsten Landesprodukten gehören ausgezeichnete Steinkohlen und der in unermeßlicher Menge vorhandene Anthracit.
Außerdem liefert das Mineralreich Kreide, [* 8] Kalkstein, Salz, [* 9] Glaubersalz, Gips; [* 10] auch Eisen [* 11] wird gewonnen. Einen bedeutenden Ausfuhrartikel liefert die Fischerei, [* 12] namentlich an Hausen, Stören, Sewrugas und Sterletten. Wichtiger noch ist die Viehzucht. [* 13] 1883 zählte man 1,851,000 Stück Hornvieh, 3,311,000 Schafe [* 14] und 425,000 Pferde. Die donischen Pferde sind berühmt durch ihre Ausdauer; in jüngster Zeit geschieht auch viel für ihre Veredelung in zahlreichen Gestüten.
Die Bevölkerung [* 15] des Gouvernements beträgt (1882) 1,474,133 Seelen und schließt auch Tataren und Zigeuner sowie etwa 24,000 nomadisierende Kalmücken, denen ein besonderer Bezirk zugeteilt ist, ein. Der Konfession nach gehören 88 Proz. der griechisch-katholischen Kirche an, 9 Proz. den Raskolniken, ½ Proz. andern christlichen Konfessionen [* 16] und den Juden; 2½ Proz. sind Heiden. Im Schuljahr 1883 gab es 346 Volksschulen mit 22,377 Schülern (darunter 4126 Mädchen).
Die Fabrikindustrie ist noch im Entstehen; der Wert derselben beziffert sich auf 1½ Mill. Rubel. Hauptsächlich werden betrieben: Branntweinbrennerei, Ziegelei, Talgschmelze, Ölschlägerei, Tabaksindustrie, Seife-, Lichte- und Lederfabrikation. Das Land zerfällt in die acht Bezirke: Choper, Donez, Tscherkask, Mius, erster und zweiter donischer Bezirk, Ust-Medwjediza und das Land der nomadisierenden Kalmücken (südlich vom Sal). Außerdem wird es in fünf Militärbezirke geteilt, welche zusammen das donische Kosakenheer stellen, welches im Frieden aus 16 Regimentern zu Pferd, 8 Batterien mit 46 Kanonen und 15,832 Mann, im Krieg aus 47 Reiterregimentern, 16 Batterien mit 100 Kanonen und 46,985 Mann besteht. Die Hauptstadt ist Nowo-Tscherkask.
Aus den Donischen Kosaken hervorgegangen sind die Nekrassowschen Kosaken, die nach Bessarabien übergegangen waren, 1812 aber, als dieses russische Provinz wurde, sich den Russen unterwarfen; ferner die Jaikschen oder Jaizkschen Kosaken, welche nach der Niedermachung der Donischen Kosaken durch den Heerführer des Zaren Murad Bei 1577 zuerst nach dem Kaspischen Meer entwichen und von da den Jaik hinaufgingen, an dessen Ufern sie 1584 eine Stadt erbauten. Sie waren 1773 die wärmsten Anhänger Pugatschews, weshalb um das Andenken an diesen Aufstand zu verwischen, Katharina II. ihre Stadt Jaizk und den Fluß Jaika in »Uralsk« und »Ural« umtaufen ließ und aus den Jaikschen Kosaken das Heer der Uralischen Kosaken bildete (s. unten).
Die Kaukasischen Linienkosaken hießen so, weil sie mit ihren Stanizen eine lange Verteidigungslinie Rußlands gegen den Kaukasus bildeten. Schon im 16. Jahrh. hatten sich Kosaken am Terek angesiedelt, später andre auch längs des Kuban; 1722 wurden hier die Terekschen und Kislarschen Kosaken organisiert, welchen dann je nach Notwendigkeit immer neue Kosakenregimenter zugegeben wurden. So entstanden im ganzen 14 Regimenter, welche zwischen den Mündungen des Terek und des Kuban eine ununterbrochene Linie bildeten. Unter allen Kosaken waren diese Linienkosaken die tapfersten. Durch die ewigen Überfälle der Kaukasier in einem beständigen Krieg lebend, wetteiferten sie mit den Tscherkessen an Tapferkeit und List. Auch Kleidung, Waffen sowie manche Sitten und Gebräuche haben sie von letztern angenommen. Nach einem ¶