Korallpolypen
[* 1] (Anthozoa, Polypen), Klasse der Cölenteraten (s. d.). Ihr Körper (s. Fig. 1 u. 2) besteht in der einfachsten Form aus einem an seinem hintern Ende festgewachsenen Sack mit einer vordern Öffnung M, die von einem Kranz von Fühlfäden oder Tentakeln T umstellt ist. Letztere dienen zum Greifen der Beute und sind zu deren Lähmung reichlich mit Nesselorganen (s. Cölenteraten) versehen. Die genannte Öffnung fungiert sowohl als Mund wie als After und läßt auch die Säfte gewisser Drüsen und die Geschlechtsprodukte austreten.
Sie führt direkt in eine Art von
Speiseröhre, die wiederum durch eine hintere verschließbare Öffnung mit dem
Magen,
[* 2] in
welchem die
Verdauung stattfindet, in
Verbindung steht. Dieser ist aber keine einfache Höhlung, sondern zerfällt durch zahlreiche
Scheidewände, die sogen. Mesenterialfalten, in viele
Taschen, welche am Hinterende des
Tiers miteinander
kommunizieren und sich auch in Form von
Kanälen in die Körperwandungen sowie in die hohlen
Tentakeln fortsetzen. So zirkuliert
die im
Magen aus den
Speisen gewonnene Nährflüssigkeit direkt im ganzen
Körper, ohne Dazwischenkunft besonderer
Blutgefäße,
und zwar geschieht dies nicht nur durch
Kontraktionen der einzelnen Körperteile, sondern auch durch die
Flimmerbewegung, welche die
Zellen des
Magens und der
Kanäle hervorbringen. Man unterscheidet am Leib der Korallpolypen
drei
Schichten,
nämlich die aus Flimmerzellen bestehende Magenwand, das
Entoderm, ferner die äußere
Haut
[* 3] oder das
Ektoderm und das zwischen
beiden gelegene
Mesoderm (vgl.
Cölenteraten); letzteres wird oft sehr dick. Die
Ge-
Fig. 2. Korallpolypen.
Fig. 1. Blastotrochus nutrix.
Fig. 2. Edelkoralle (Corallium rubrum). K Knospe, M Mund, P Polyp, T Tentakeln.] ¶
mehr
schlechtsstoffe entstehen in Verdickungen der Ränder der bereits erwähnten Mesenterialfalten und gelangen bei der Reife direkt in den Magen und von ihm aus ins Freie. Häufig sind die Geschlechter getrennt, aber auch dann, wenn Eier [* 5] und Samenfäden dicht nebeneinander in demselben Tier entstehen, sind sie vielfach nicht zu gleicher Zeit reif, so daß also dasselbe Individuum bald männlich, bald weiblich ist. Die Befruchtung [* 6] erfolgt stets im Innern des mütterlichen Körpers; ebenso geht hier die Entwickelung der Larven bis zu einer gewissen Grenze vor sich. Später schwärmen diese aus und schwimmen eine Zeitlang im Meer umher, bis sie sich festsetzen. Sie bestehen alsdann aus einer einfachen sogen. Gastrula und erhalten ihre Tentakeln um die Mundöffnung erst nach und nach.
Neben der eben geschilderten geschlechtlichen Fortpflanzung findet sich in hohem Grad entwickelt auch die ungeschlechtliche
durch Sprossung und Teilung vor. Knospen
[* 7] (K) können am ganzen Umfang des Korallpolypen
auftreten, sowohl an der Seite
als von der Anheftungsstelle, wie endlich vom Mundrand her; bleiben nun die neugebildeten Individuen mit den alten verbunden,
so entstehen die Polypenstöcke. In ihnen sind die Einzeltiere in eine gemeinschaftliche Masse eingebettet und kommunizieren
alle miteinander, so daß die von jedem von ihnen erworbenen Nahrungssäfte der Gesamtheit zu gute kommen.
In einem solchen Tierstaat herrscht also bei völliger Gleichwertigkeit der Individuen der vollendetste Kommunismus.
Eine wichtige Rolle bei dem Aufbau der Polypenstöcke spielen die Skelettbildungen. Diese entstammen meist dem Ektoderm und treten bei einer Unterklasse der in Gestalt von einzelnen nadelförmigen Kalkkörperchen auf. Indem sie aber unter sich verwachsen, geben sie zu den oft steinharten Kalkskeletten Anlaß, aus denen manche sogen. Korallen [* 8] (s. d.) bestehen. Ferner können auch Teile des Körpers verhornen, so daß also auch Hornskelette, entweder mit oder ohne Kalk, existieren.
Endlich versteinert durch Kalkablagerung in einem Polypenstock oft die ganze Masse, welche die Einzeltiere untereinander verbindet (das sogen. Cönenchym), so daß also nur diese selbst noch weich und beweglich bleiben und sich nach Belieben über das gemeinsame Skelett [* 9] hervorstrecken oder in dasselbe zurückziehen können. So entsteht bereits eine Mannigfaltigkeit von Formen der Polypenstöcke, die noch dadurch vermehrt wird, daß die Sprossung und unvollkommene Teilung die einzelnen Individuen in verschieden hohem Grad miteinander in Verbindung beläßt.
Die Korallpolypen
sind sämtlich Meeresbewohner und sind im allgemeinen auf die wärmern Zonen angewiesen, während allerdings einige
Arten sogar im hohen Norden
[* 10] vorkommen. In bedeutenden Tiefen leben nicht wenige, indessen sind weitaus die meisten in der Nähe
der Küsten zu finden; namentlich gilt dies von denjenigen Formen, welche die Korallenriffe
[* 11] (s. d.) erzeugen.
Alle Korallpolypen
sind fleischfressende Tiere; zur Beute fallen ihnen hauptsächlich kleine Krebse, Larven verschiedener Tiere etc., aber
auch Fische.
[* 12]
Man teilt die lebenden Korallpolypen
nach der Zahl ihrer Tentakeln in die achtarmigen Octactinia und die vielarmigen Polyactinia ein.
Zu den erstern gehören die sogen. Seefedern (Pennatulidae), die nachts ein schönes Licht
[* 13] ausstrahlen
(s. Abbildung auf Tafel »Korallen«),
ferner die vielgestaltigen sogen. Horn- oder Rindenkorallen (Gorgonidae),
von denen die
zu Schmucksachen
[* 14] verwendete weiße Koralle (Isis)
[* 15] und die Edelkoralle (s. d.)
die bekanntesten sind, und endlich die Orgelkorallen
(Tubiporidae, s. Tafel »Korallen«). Die Polyactinia, deren Tentakeln an Zahl entweder sechs oder ein Vielfaches
von sechs betragen, sind teils ganz weich wie die Seeanemonen oder Aktinien (s. d.), teils mit horniger Achse versehen (Antipatharia),
teils verkalkt und dann an der Korallenbildung beteiligt (s. Korallen). - Unter den versteinerten Korallpolypen
gehören die jüngern
Formen aus dem Jura und der Trias den Polyaktinien an, dagegen bilden die ältern aus der Grauwacke und andern
paläozoischen Schichten eine besondere Klasse, die Tetracorallia, mit ein oder mehrere Male vier Tentakeln.
Diese ist zwar schon lange ausgestorben, indessen machen auch die heutigen in ihrer Entwickelung ein Stadium mit nur vier Tentakeln durch und erinnern in dieser Weise an ihren Ursprung. Eine besonders merkwürdige Form ist die früher zu den Brachiopoden [* 16] gerechnete, mit einem Deckel versehene Calceola sandalina (s. Tafel »Devonische Formation«).
Vgl. Milne-Edwards und Haime, Recherches sur les polypiers (Par. 1848-52);
Lacaze-Duthiers, Mémoire sur les Antipathaires (das. 1864-65);
Kölliker, Die Pennatulide Umbella etc. (Frankf. 1872);
Panceri, Gli organi luminosi e la luce delle Pennatule (Neapel [* 17] 1871);
Hollard, Monographie du genre Actinia (Par. 1851);
Gosse, British Sea Anemones (Lond. 1860);
Hertwig, Die Aktinien (Jena [* 18] 1879);
Andres, Le [* 19] Attinie del golfo di Napoli (Leipz. 1884).