Kongreß
Bezeichnung für die Volksvertretung verschiedener zu einem Bundesstaat vereinigter Staaten, wie der gesetzgebenden Versammlung der nordamerikanischen Union, von ¶
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Zentralamerika
[* 4] und mehrerer südamerkanischer Republiken; auch Bezeichnung für die zu gemeinsamer Beratung zusammentretenden
parlamentarischen Körperschaften in Frankreich, den Senat und die Deputiertenkammer; auch Versammlung von Bevollmächtigten
oder von Häuptern mehrerer unabhängiger Staaten zur Verhandlung und Beschlußfassung über gemeinsame Interessen. Von einer
Konferenz (s. d.) wird ein Kongreß
meist insofern unterschieden,
als auf ersterer nur Beratungen ohne Beschlußfassung stattfinden; doch ist der Sprachgebrauch in dieser
Hinsicht kein feststehender.
Nehmen die Fürsten selbst an den Verhandlungen eines Kongresses
teil (Monarchenkongresse
), so werden durch die unmittelbare
Verständigung der Staatsoberhäupter untereinander, besonders durch Wegfall der Instruktionseinholung, oft schnelle Resultate
erzielt. Wichtig ist die Wahl des Ortes, der bequem liegen muß und keinem Mitglied ein Übergewicht geben
darf. Man wählt daher gern neutrale Gebiete oder erklärt den Ort des Kongresses
für die Zeit der Verhandlungen für neutral
(wie 1807 Tilsit).
[* 5]
Durch den sogen. Präliminarkongreß
werden die Vorfragen über die Geschäftsform, das Präsidium u. dgl. erledigt, nachdem
die Prüfung der Vollmachten vorgenommen worden ist. Die Rangfolge der Gesandten und der ihnen beigegebenen Geschäftsmänner
richtet sich nach der bestehenden diplomatischen Ordnung. Früher entstanden über diese Frage vielfache Streitigkeiten, seit 1815 hat
man über die Reihenfolge bei Unterschriften u. dgl. unbeschadet des Ranges das Alphabet entscheiden lassen. Da der
Kongreß
möglichst rasche Verständigung durch mündliche Verhandlungen zum Zweck hat, eine Entscheidung durch Stimmenmehrheit aber
dem Wesen unabhängiger Staaten widerstreitet, so finden vor der entscheidenden Beratung in der Plenarsitzung vorbereitende vertrauliche
Besprechungen und schriftliche Erörterungen statt, welche durch gegenseitige Zugeständnisse und Verzichtleistungen die wünschenswerte
Einigung in nähere Aussicht stellen.
Sind die den Kongreß
beschäftigenden Angelegenheiten sehr ausgedehnt, so bildet er verschiedene
Ausschüsse, welche über die ihnen zugeteilten Gegenstände vorbereitende Beratungen (Kommissionssitzungen) halten.
Die endlichen Beschlüsse werden in einer Haupturkunde (Kongreßakte
, Schlußakte) zusammengestellt und von den Hauptbevollmächtigten
unterzeichnet. Wenn man von dem Namen und von der modernen Form der Kongresse
, wie sie sich seit dem Westfälischen
Frieden ausgebildet hat, absieht, so hat es schon in den ältesten Zeiten Kongresse
gegeben.
Die Geschichte Griechenlands kennt viele derartige Versammlungen, weniger die römische. Im Mittelalter waren die Kirchenversammlungen
ungefähr das, was allmählich die Kongresse
wurden; stark mit weltlichen Elementen vermischt war namentlich die Kirchenversammlung
zu Konstanz
[* 6] (1414-18), auf welcher der Kaiser selbst mit 26 Fürsten und 180 Grafen erschien. Den ersten rein diplomatischen
Kongreß
finden wir in dem zu Cambrai 1508, beschickt von dem Kaiser Maximilian I., dem französischen König Ludwig XII., dem König
von Spanien,
[* 7] Ferdinand von Aragonien, und dem Papst Julius II., zum Bündnis gegen die Republik Venedig.
[* 8]
Einer der wichtigsten ist der zu Münster
[* 9] und Osnabrück
[* 10] (1644-48), der zum Abschluß des Westfälischen Friedens führte. Den
Krieg zwischen Frankreich und Spanien beendigte der Pyrenäische Kongreß
(1659). In die Periode Ludwigs XIV. gehören die Kongresse
zu Oliva (1660), die nordischen Verhältnisse betreffend, zu Breda (1667), durch welchen der Krieg zwischen
England
und Holland (1664-67) beendigt wurde, zu Aachen
[* 11] (1668), zu Köln
[* 12] und Nimwegen
[* 13] (1674 und 1676-79), zu Ryswyk (1697), zu
Utrecht
[* 14] (1712-1713), zu Rastatt
[* 15] und Baden
[* 16] (1713-14), zu Antwerpen
[* 17] (1715), auf welchem der Barrieretraktat (s. d.) zu stande kam,
zu Passarowitz (1718), auf Aaland, zu Stockholm
[* 18] und Nystad (1718-21). Der Kongreß
von Aachen (1748) beendigte
den achtjährigen österreichischen Erbfolgekrieg, der zu Hubertusburg (1763) den Siebenjährigen Krieg.
Den Gegensatz zwischen Österreich
[* 19] und Preußen
[* 20] betraf auch der Kongreß
zu Teschen (1779). Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg
veranlaßte den Kongreß
zu Paris
[* 21] (1782), die niederländische Insurrektion den Kongreß
zu Reichenbach
[* 22] und Sistova
(1790-1791); den französischen Revolutionskriegen gehören an die Kongresse
zu Pillnitz (1791), Rastatt (1797-1799), Amiens
[* 23] (1801-1802) und Erfurt
[* 24] (1808), letzterer der erste Monarchenkongreß.
In die neuere Zeit fallen die Kongresse
zu Wien
[* 25] (1814-15),
Paris (1815), Aachen (1818), Karlsbad (1819), Wien (1819 bis 1820), Troppau
[* 26] (1820), Laibach
[* 27] (1821), Verona
[* 28] (1822)
sowie die uneigentlich Konferenzen genannten Kongresse
zu Dresden
[* 29] (1851), Paris (1856), Zürich
[* 30] (1859), London
[* 31] (1864) und der Frankfurter
Fürstentag (1863). Aus der neuesten Zeit ist der Berliner
[* 32] Kongreß
(vom 13. Juni bis behufs Regelung der orientalischen
Angelegenheiten von besonderer Wichtigkeit. Auch die Congokonferenz in Berlin
[* 33] (1884/85) hatte mehr den
Charakter eines Kongresses.
Kongresse als frei gebildete Wanderversammlungen von Berufsgenossen, von Gelehrten und Dilettanten irgend einer Disziplin, zur gegenseitigen Belehrung oder zur Agitation zu gunsten der Durchführung gemeinsamer Interessen oder gesetzgeberischer Forderungen, sind eine Einrichtung, die namentlich in Deutschland [* 34] tiefe Wurzeln geschlagen hat. Theologen der verschiedensten Richtungen, Juristen, Ärzte, Spezialisten für medizinische Fächer, [* 35] Naturforscher, Anthropologen, Geographen, Schriftsteller, Numismatiker, Forstmänner, Elektriker, Orientalisten, Friedensfreunde, Armenpfleger, Volkswirte verschiedener Richtungen, Philologen, Germanisten, Journalisten, Landwirte, Bierbrauer, Handwerker etc., sie alle haben ihre Kongresse, Wanderversammlungen, »Tage" und Verbände. In jüngster Zeit hat man sogar Skat- und Kegelspielerkongresse abgehalten. Auf einigen Kongressen werden nur Vorträge gehalten, auf andern schließen sich an die Vorträge Diskussion und Resolution. Die Resultate dieser Versammlungen für das öffentliche Leben werden allerdings oftmals überschätzt; indessen ist diese Sitte namentlich um deswillen von Wichtigkeit, weil sie das Interesse an derartigen Angelegenheiten in Kreise [* 36] hinausträgt, die sich denselben sonst verschließen.