Kolonien
(hierzu zwei Karten: »Vergleichende Darstellung des Kolonialbesitzes der europäischen Staaten« und »Übersicht der deutschen Kolonien«), im allgemeinen zusammenhängende Ansiedelungen, besonders solche, deren Angehörige (Kolonisten, v. lat. colonus, »Feldbauer, Ansiedler«), sei es auf Grund staatlichen Schutzes durch das Mutterland oder sei es durch eigne freie Bethätigung ihrer sozialen Lebenskraft, ihre Stammeseigentümlichkeiten, Sitten, Gebräuche etc. bewahren. Hierdurch unterscheidet sich die Koloniengründung von der Auswanderung (s. d.); die letztere kann mit der erstern verbunden sein, indem die Auswandernden in fremden Ländern Kolonien gründen und durch ihren Zustrom kräftigen, doch können auch die Auswanderer unabhängig voneinander in fremde Staatsgemeinschaft eintreten und hier, wie z. B. viele Deutsche in Rußland, Ungarn, Amerika, ihre nationalen Eigentümlichkeiten oder doch aus Mangel an festem Zusammenhalten die Kraft, dieselben geltend zu machen, vollständig einbüßen (vgl. auch den Abschnitt über Auswanderung im Art. »Deutschland«, S. 810, und die Ergänzung dazu im »Korrespondenzblatt« zum 6. Band). Dagegen ist es nicht gerade notwendig, daß die in festen Beziehungen zum Mutterland oder gar unter dessen Leitung bleiben. So bildeten die Hugenotten in Deutschland, die Salzburger in Preußen, man hat ferner deutsche in Rußland und andern Ländern. Die Kolonisten traten vollständig in den Verband des fremden Staats ein, in welchen sie einwanderten, ja oft auf Grund der Anregung und Förderung durch diesen Staat selbst.
[Innere Kolonisation.]
Eine Auswanderung kommt gar nicht vor bei der innern Kolonisation, bei welcher sich Einheimische auf noch nicht bebautem, wüstem oder zu rodendem Boden im Inland niederlassen und hier neue Gemeinden bilden (Wald-, Moorkolonien). Dieses Ziel hatte die frühere Politik vorzüglich im Auge, indem sie zur Besiedelung des Landes Fremde zur Einwanderung anreizte. Die heutige Politik ist, gestützt auf sozialpolitische und politische Beweggründe, mehr darauf gerichtet, große Güter in mittlere und kleine Besitzungen zu zerlegen. Auf Grund mehrfacher Verhandlungen im Abgeordnetenhaus und im Landesökonomiekollegium wurden auch in Preußen einige Domänen zerschlagen und verkauft, ohne daß jedoch der erhoffte Erfolg erzielt wurde. Ähnlicher Art sind die Bestrebungen der 1887 in Berlin gegründeten »Gesellschaft für innere Kolonisation«,
Britische Kolonien
Niederländische Kolonien
Französische Kolonien
Spanische Kolonien
Portugiesische Kolonien
Dänische Kolonien
Zum Artikel »Kolonien«.
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von welcher sich zur praktischen Ausführung ihrer Absichten (Begründung von Kleinbaueransiedelungen in Norddeutschland etc.) eine engere Erwerbsgesellschaft (»Gesellschaft für Kolonisation im Inland«) abgezweigt hat (vgl. Schön, Innere Kolonisation, Leipz. 1887; v. Henneberg, Die Gesellschaft für innere Kolonisation, das. 1887). In der neuesten Zeit hat Preußen begonnen, das deutsche Element in Westpreußen und Posen dem Polentum gegenüber dadurch zu stärken, daß man sich bestrebt, größere polnische Besitzungen allmählich in die Hände von Deutschen zu bringen. Durch Gesetz vom 26. April 1886 wurden zu dem Ende der Regierung 100 Mill. Mk. für den Ankauf von Grundstücken in den genannten Provinzen zur Verfügung gestellt. Diese Grundstücke werden in geeignetem Umfang an deutsche Ansiedler in Zeitpacht ausgegeben, meist aber verkauft und zwar gegen Übernahme einer festen Geldrente (daher Rentengüter genannt), welche, abweichend von den Bestimmungen des Ablösungsgesetzes vom 2. März 1850, nur mit Zustimmung beider Teile abgelöst werden kann. Auch können den Käufern vertragsmäßig verschiedene Beschränkungen im Interesse der Erhaltung der wirtschaftlichen Selbständigkeit des jeweiligen Besitzers (z. B. Teilungsbeschränkung) auferlegt werden. An Stelle des Verkaufs kann auch die Zeitpacht treten. Vgl. »Zur innern Kolonisation in Deutschland« (in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 32, Leipz. 1886).
In einem weitern Sinn wird der Begriff Kolonie aufgefaßt, wenn von Arbeiterkolonien, gemischten Arbeits- und Strafkolonien (wie z. B. die Dépots de mendicité in Belgien) die Rede ist. Die Arbeiterkolonien sind nicht immer in dem Sinn, daß hier beschäftigungslosen Arbeitern eine bleibende Stätte geboten werden soll, wenn ja auch ein solches Ziel durch dieselben erstrebt und verwirklicht werden kann; vielmehr haben sie in der Regel (wie z. B. die von Pastor Bodelschwingh 1882 gegründete Kolonie Wilhelmsdorf, s. Armenkolonien) den Zweck, arbeitslosen Männern so lange Beschäftigung zu geben, bis es möglich ist, ihnen anderweit lohnende Arbeit zu beschaffen (vgl. Berthold, Entwickelung der deutschen Arbeiterkolonien, Leipz. 1887). Dagegen haben die auf Anregung von van den Bosch gegründeten niederländischen Landbaukolonien Fredericksoord ^[richtig: Frederiksoord], Wilhelmsoord und Wilhelminaoord den Zweck, Arbeiterfamilien fest anzusiedeln. Vagabunden- und Bettlerkolonien (wie die niederländischen Strafanstalten Ommerschans und Veenhuizen) nehmen überführte Bettler zur Strafverbüßung auf; man bezeichnet sie im Gegensatz zu den Zwangsarbeitshäusern als Kolonien, weil sie auf der ihnen zugehörigen landwirtschaftlich benutzten Bodenfläche eine Art Gemeinde bilden.
[Überseeische Kolonien.]
Im engsten Sinn des Wortes versteht man unter Kolonien zusammenhängende Ansiedelungen von Zugehörigen einer Nationalität in fernen, insbesondere in überseeischen, Ländern. Solche Ansiedelungen können sich allmählich durch freien Zuzug auf bereits bewohnten oder auf noch nicht in Besitz genommenen, bez. schwach bevölkerten Ländereien bilden; sie können aber ebenso aus der staatlichen Initiative erwachsen und zwar sowohl infolge einer Eroberung (Besiegung der Eingebornen oder andrer Kolonien besitzender Staaten) als auch infolge freien Vertrags (Verträge mit einheimischen Häuptlingen) und der einfachen staatlichen Förderung und Beschützung. Kolonien, welche zum Mutterland auch politisch in Beziehung stehen, brauchen nicht gerade staatliche Bestandteile desselben zu sein. So kann das Mutterland die Kolonisten und deren Eigentum unter seinen besondern Schutz stellen; einer thatsächlichen Einverleibung dagegen ist es gleich zu achten, wenn das Mutterland das ganze Kolonialgebiet unter sein Protektorat nimmt (Vorgehen Deutschlands in Afrika, Neuguinea etc.; s. Kolonialrecht). Wie verschieden die in politischer Beziehung gestellt sein können, zeigen diejenigen Englands. Dieselben sind teils Kronkolonien, das heißt in welchen die englische Regierung nicht allein die gesetzgebende Gewalt in der Hand hat, sondern auch die Beamten ernennt, teils Kolonien mit politischer Selbständigkeit, parlamentarischer Verfassung und verantwortlichem Ministerium, in welchen die englische Krone nur den Gouverneur ernennt und ein Vetorecht in Sachen der Gesetzgebung hat, zum kleinen Teil endlich Kolonien, welche zwar Vertretungskörper haben, in denen aber der Krone das Recht des Vetos und der Beamtenernennung zusteht. (Vgl. Großbritannien, S. 785.) Über die neuen deutschen Erwerbungen s. unten.
Nach der Art der Kolonisation sind zu unterscheiden: 1) Ackerbaukolonien, wie Kanada, Botanybai, die Kapkolonie, Australien etc., nämlich in welchen die Ansiedler sich vorwiegend mit Landbau beschäftigen. Die Europäer, welche sich in jenen Ländern niederlassen, werden Landeigentümer und kehren selten in ihr Vaterland zurück. Die Bande der Verwandtschaft und alle sonstigen Verhältnisse, welche die Kolonisten an ihr Mutterland knüpften, werden immer lockerer; die Erinnerungen erlöschen, und schon nach einigen Generationen können sie zu einer eignen, dem Vaterland entfremdeten Nation erwachsen, welche nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit strebt und nicht selten dieselbe zu erkämpfen weiß, wie dies in Nordamerika der Fall war; 2) Bergwerkskolonien, in denen zunächst der Gewinn von Gold, Silber, Edelsteinen etc. beabsichtigt wird (z. B. die Niederlassungen der Spanier und Portugiesen in Westindien und Südamerika), gehen gewöhnlich und zwar, je mehr die Bergwerke ausgebeutet werden, in Ackerbaukolonien über und machen sich, wie letztere, nach und nach, wenngleich langsamer, selbständig. 3) Pflanzungskolonien (Plantagenkolonien), deren Zweck die Erzeugung gewisser in der Regel nur unter einem heißen Himmelsstrich gedeihender Pflanzen ist, wie die Kolonien Westindiens, das südliche Nordamerika, Brasilien und teilweise auch die ehemaligen spanischen Provinzen in Südamerika, können am wenigsten des Schutzes und der Unterstützung von seiten des Mutterstaats entbehren und wachsen daher weniger leicht zu einer selbständigen Nation heran; die Pflanzer oder freien Grundeigentümer werden selten einheimisch, da sie wegen ungesunden Klimas und Unannehmlichkeiten des Lebens entweder ihre Pflanzungen durch Aufseher verwalten lassen und deren Ertrag in Europa verzehren, oder doch, nachdem sie sich ein Vermögen gesammelt, in ihr Vaterland zurückkehren. Die Plantagenarbeit wurde in diesen Kolonien früher von eingeführten Sklaven besorgt, heute liegen ihr ebenfalls vorwiegend schwarze, bez. einheimische Arbeiter ob. 4) Handelskolonien, welche den Vertrieb der Natur- und Kunsterzeugnisse des Landes zum Zweck haben, erwuchsen aus einzelnen Faktoreien oder Handelsstapelplätzen, die nach und nach durch List oder Gewalt, Kauf oder Vertrag die Mittelpunkte großer Reiche wurden, wobei aber der Handel immer die Hauptsache blieb, der Besitz von Grund und Boden nur Mittel zum Zweck war. Der Handel in diesen Kolonien erstreckt sich namentlich auf Kolonialwaren, so in den Kolonien aller westindischen Inseln,
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den Küstenplätzen des amerikanischen Kontinents, den ostindischen Kolonien, ferner auf Pelzwaren, wie in den englischen und russischen Kolonien Nordamerikas, endlich auf Sklaven, welchen Handel insgeheim immer noch mehrere in Westindien, besonders aber Brasilien und spanische Besitzungen treiben. Die Europäer sind in Kolonien dieser Art selten Landeigentümer, sondern in der Regel nur Soldaten, Beamte und Kaufleute, während die eingeborne Bevölkerung ihnen politisch unterworfen ist. Daher bildet sich hier auch nicht leicht eine Nation, indem die hier befindlichen Europäer größtenteils nur Bereicherung suchen und, wenn sie diese erlangt haben, in ihr Vaterland zurückkehren. Solche Handelskolonien werden sich da bilden, wo Europäer wegen der Ungunst des Klimas keinen dauernden Aufenthalt nehmen können. 5) Die freien Negerkolonien hatten ursprünglich den Zweck, amerikanische oder den Sklavenschiffen abgenommene Neger anzusiedeln und zu bilden, wie die von der Amerikanischen Kolonisationsgesellschaft für freie Neger (gegründet 1816 in Washington) ins Leben gerufene Republik Liberia, dann die 1787 von der Afrikanischen Gesellschaft in London gegründete, später unter englische Herrschaft gestellte Kolonie Sierra Leone. 6) Strafkolonien, wie Neukaledonien für Frankreich, sind Kolonien, nach welchen die zur Deportation verurteilten Verbrecher verbracht werden (vgl. Deportation). 7) Sogen. Relaiskolonien, Militär- und Flottenstationen, welche seefahrenden Völkern zur Ausbesserung und Verproviantierung der Schiffe dienen.
Geschichtliches.
Schon in der ältesten geschichtlich bekannten Zeit haben diejenigen Völker, welche eine ausgebreitetere Handelsthätigkeit entwickelten, zur Sicherung ihres Handels Kolonien angelegt, so das älteste größere Handelsvolk, die Phöniker, welche an den Küsten des Mittelländischen Meers eine größere Zahl von Niederlassungen gründeten, aus denen später blühende Städte erwuchsen. Die mächtigste der phönikischen Pflanzstädte, Karthago, löste später das Mutterland ab und beherrschte, gestützt auf seine kluge Eroberungs- und Kolonialpolitik, bald das ganze Mittelländische Meer. Ein vorzügliches kolonisatorisches Talent entwickelten die Griechen, welchen die Kolonien Unterkunftsstätten für die wachsende überschüssige Bevölkerung abgaben. In Kleinasien, an den Küsten des Schwarzen Meers, in Unteritalien (»Großgriechenland« genannt) und in dem südlichen Teil von Gallien und Spanien entstanden eine große Zahl von griechischen Niederlassungen, welche überall griechische Kultur verbreiteten. Die Griechen unterschieden zwischen Kolonien, welche von der Staatsgewalt des Mutterlandes selbst gegründet wurden und mehr oder weniger unmittelbar unter der Leitung derselben blieben (Kleruchien), und solchen, welche aus den freien Bestrebungen der Bürger hervorgingen und Apoikien genannt wurden. Meist bildeten die griechischen Kolonien unabhängige eigne Staaten, welche als Töchter des Mutterstaats mit diesem eine Art Schutz- und Trutzbündnis eingingen. Die römische Politik war dagegen mehr eine Eroberungspolitik, die echte kolonisatorische Thätigkeit war ihr fremd. (Über die Kolonien der Alten Welt vgl. die Artikel »Griechenland«, »Karthago«, »Rom«, dann auch »Handel«.) Nachdem Zerfall der römischen Weltherrschaft, zur Zeit der Völkerwanderung, bildeten sich wohl neue Staaten, doch konnte an Anlegung von Niederlassungen erst gedacht werden, als der internationale Verkehr sich größerer Ruhe und Sicherheit erfreute. Im Mittelalter waren es vorzüglich die Hanseaten welche im Norden Europas Faktoreien und Handelsniederlassungen gründeten, dann sind die Erwerbungen des Deutschen Ordens in Preußen sowie die Einwanderungen von Westfalen und Niederländern in Schlesien und Polen zu erwähnen. Im Süden von Europa bot sich weniger Gelegenheit für Gründung von Faktoreien und Kolonien. Die nördlichen Gestade des Mittelländischen Meers waren bereits in festen Händen von Kulturvölkern, die südlichen wurden von den den Europäern feindseligen Mohammedanern beherrscht. Die Aufschließung der Neuen Welt gab dem Kolonialwesen eine völlig veränderte Gestalt, da jetzt den Kulturvölkern der Alten Welt fast unbeschränkte Territorien zur Verfügung gestellt wurden. Nunmehr waren fast alle europäischen Staaten eifrigst bestrebt, möglichst ausgedehnte Kolonien zu erwerben, und es entwickelte sich bald die besonders im 17. Jahrh. zur Blüte gelangte monopolistische Handels- und Kolonialpolitik, welche als Kolonialsystem bezeichnet zu werden pflegt. Dasselbe gipfelte darin, die Kolonien möglichst zu gunsten des Mutterlandes auszubeuten. Man sperrte dieselben gegen Fremde ab, anfänglich um ihren Besitz sicherzustellen, später, als das Merkantilsystem (s. d.) sich mehr entfaltete, im Interesse der Handelspolitik. Das Streben ging vorzüglich dahin, durch entsprechende Gestaltung von Schiffahrts- und Zollpolitik ausschließlich dem Mutterland den Verkehr mit den Kolonien zu sichern. Letztere sollten für ersteres eine dauernde Bezugsquelle von Rohstoffen und Kolonialwaren, dann ein vorteilhaftes Absatzgebiet für die eignen Industrieerzeugnisse abgeben. Den Schiffahrtsverkehr mit den Kolonien behielt man ausschließlich der nationalen Flagge vor, indem von fremden Schiffen ein besonderer Flaggenzoll (s. d.) erhoben oder, wie 1664 in England und 1670 in Frankreich, denselben der Besuch der Kolonien geradezu untersagt wurde. Bestimmte Häfen des Mutterlandes wurden zu Stapelplätzen erklärt, wichtigere Produkte der Kolonien sollten nur hierher, nicht direkt nach dem Ausland verbracht werden, die Einfuhr nach den Kolonien sollte nur über das Mutterland stattfinden. Auch wurde die Einfuhr vieler fremder Industrieerzeugnisse durch Auflegung hoher Zölle erschwert oder verboten. In den Kolonien selbst aber wollte man eine eigne Industrie, welche mit dem Mutterland konkurrieren könnte, nicht aufkommen lassen. Deswegen wurde die Ausfuhr von Fabrikaten aus denselben durch Zölle belastet oder überhaupt untersagt, oder es wurden bestimmte industrielle Unternehmungen in den Kolonien nicht zugelassen. Allerdings räumte man dagegen auch den Kolonien wieder verschiedene Vorteile im Verkehr mit dem Mutterland ein, insbesondere dadurch, daß die Erzeugnisse fremder auf dem Markte desselben mit höhern Einfuhrzöllen belastet oder auch für die Einfuhr von Erzeugnissen der eignen Kolonien Prämien entrichtet wurden. Weil so Mutterland und Kolonie einander gegenseitig Begünstigungen zugestanden, wurde das Kolonialsystem auch oft Kolonialvertrag (pacte colonial) genannt, ein Vertrag, der freilich mehr einseitig bestimmt und eine Art Löwenvertrag war. Das Kolonialsystem wurde, wenn auch nicht überall in der gleichen Weise, von allen Kolonialmächten durchgeführt. England bildete es besonders mit der 1651 erlassenen, 1660 und 1664 erweiterten Navigationsakte aus, Frankreich führte mit dem Reglement von 1670 eine vollständige Abschließung ein, während Spanien und Portugal schon früher einer echt monopolistischen Handelspolitik gehuldigt hatten. Eine Umgestaltung trat erst mit dem 19. Jahrh. ein. Das Verbot wurde mehr und mehr durch
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Kolonīen.
I. Begriff und Arten. Kolonien sind im allgemeinen Niederlassungen oder Ansiedelungen in einem fremden Lande oder unter einem fremden Volke. Die Niederlassung muß dauernd sein und von einer größern Anzahl von Angehörigen derselben Nation ausgehen, die sich ihre heimische Sitte und Sprache bewahren und dadurch, meistens in Verbindung mit einer selbständigen Organisation, unter dem fremden Volke eine gesonderte Stellung einnehmen. Dagegen ist die Aufrechterhaltung der frühern Staatsangehörigkeit mit dem Begriff der Kolonien nicht notwendig verbunden. In diesem Sinne sind z. B. die deutschen Ostseeprovinzen, obwohl Teile des Russischen Reichs, deutsche, die Vereinigten Staaten von Amerika englische Kolonien, weil die ehemaligen Kolonisten ihre Eigenart behalten haben.
Enger ist der völkerrechtliche Begriff der Kolonien, worunter nur solche Niederlassungen zu verstehen sind, die in einer staatsrechtlichen oder völkerrechtlichen Abhängigkeit vom Mutterlande stehen. Nach dem Grade der Abhängigkeit sind hier zu trennen: 1) eigentliche Kolonien, d. h. überseeische Provinzen eines europ. Staates, welche seiner Souveränität völlig unterworfen sind; 2) Protektoratsländer, d. h. überseeische Gebiete mit staatlicher Organisation, über welche ein europ. Staat die Schutzherrschaft ausübt (z. B. die französischen Kolonien Tongking und Tunis); 3) Interessensphären (s. d.) oder Machtsphären.
Ihrer Entstehungsursache und wirtschaftlichen Eigenart nach unterscheidet man 1) Eroberungskolonien. Sie werden begründet durch Eroberung mit Waffengewalt und sind stets auf die Beherrschung und Ausbeutung des unterworfenen Volks gerichtet. Daher können Eroberungskolonien mit Aussicht auf Erfolg weder in sehr dünn bevölkerten noch in sehr niedrig kultivierten Ländern begründet werden, weil hier die Beherrschung zu geringe Vorteile bieten würde. Derartige Kolonien waren die Herrschaften der Normannen in Unteritalien, der Saracenen in Spanien, der Spanier in Mexiko und Peru. Hierher sind auch die Militärkolonien zu rechnen, wie sie besonders von den Römern angelegt wurden, um unterworfene Länder im Zaume zu halten. 2) Ackerbaukolonien haben die Urbarmachung und Bebauung des neu besiedelten Bodens zum Zweck und sind daher nur dort möglich, wo dem kolonisierenden Volke die Entfaltung seiner physischen und geistigen Energie gestattet ist, für den europ. Landbauer und Viehzüchter also nur in der gemäßigten Zone. Sie erfordern dauernde Ansiedelung ganzer Familien in beträchtlicher Zahl und können nur von einem Lande mit großer Volkszahl und relativ starkem Bevölkerungszuwachs ausgehen, das ihnen den anfangs nötigen Zuschuß an Volkskräften zuzuführen vermag. In Anpassung an die klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des neuen Landes wachsen hier die Kolonisten früher oder später zu einer selbständigen Nation heran, die sich bald auch politisch vom Mutterlande unabhängig zu machen sucht. Typische Beispiele sind die Vereinigten Staaten von Amerika und die englischen in Australien. Eine Unterabteilung der Ackerbaukolonien bilden die Viehzuchtkolonien in Steppengebieten, z. B. die Boersstaaten in Südafrika. 3) In Handelskolonien ist das Mutterland nur durch eine Anzahl von Handelshäusern und Faktoreien vertreten, und es findet nur ein Austausch der Erzeugnisse dieses Gebietes und seiner Nachbarländer gegen die des Mutterlandes statt. Sie gehen meist aus Niederlassungen von Kaufleuten in Gegenden hervor, die bei großem Reichtum an gewinnbringenden Naturerzeugnissen wegen der Unsicherheit ihrer Rechtsverhältnisse einen ungestörten Warenverkehr nicht zulassen und die Kaufleute zu genossenschaftlicher Vereinigung zum Zweck gemeinsamen Rechtsschutzes nötigen. Derartige Vereinigungen können eine solche Macht erlangen, daß sie die einheimische Bevölkerung aus eigener Kraft oder unter dem Schutze des Mutterlandes von sich abhängig zu machen vermögen (Englisch-Ostindische Compagnie, s. Ostindische Compagnien). In der neuern Zeit sind solche Kolonien hauptsächlich in tropischen Gegenden angelegt worden, die zur dauernden Aufnahme europ. Bevölkerung nicht geeignet sind. 4) Pflanzungs- oder Plantagenkolonien, welche in wirtschaftlicher Beziehung den Handelskolonien sehr nahe stehen, befinden sich gleichfalls in der heißen Zone und dienen zur Hervorbringung der Kolonialwaren. Die Kolonisten treten hier, wo das Klima ihnen eine anhaltende körperliche Arbeit nicht gestattet, nur als Unternehmer und Leiter der Produktion auf, während für die körperlichen Arbeitsleistungen die eingeborene Bevölkerung oder Arbeiter aus andern Tropengegenden (Kulis in Australien und Westindien, Neger in den Südstaaten von Amerika) verwendet werden.
Von untergeordneter Bedeutung sind 5) die Verbrecher- oder Strafkolonien, in welche verurteilte Verbrecher verschickt werden, um sie für die Gesellschaft unschädlich zu machen oder zu bessern. Sobald die deportierten Verbrecher zu ordentlichen Ansiedlern werden, muß die weitere Deportation aufhören, und diese Kolonien verlieren ihren besondern Charakter. In übertragener Bedeutung spricht man auch von Wald- und Moorkolonien, wo es sich um Rodung oder Urbarmachung wüster Strecken des eigenen Landes handelt. (S. Kolonisation, innere.)
II. Bedeutung der Kolonien. Die Gründung von Kolonien erscheint als eine Äußerung der Expansionskraft des Mutterlandes, die durch kühne Unternehmungslust und Überfluß an unbeschäftigten Kapitalien, aber auch durch wirtschaftliche Not und proletarische Übervölkerung hervorgerufen sein kann. Die vorteilhaftesten Bedingungen für eine derartige Expansion bieten die Länder, die entweder nur sehr dünn bevölkert und völlig unkultiviert sind, oder deren Bewohner auf einer niedrigern Stufe der Gesittung stehen. Hier ist der Grund und Boden noch unentgeltlich oder sehr billig zu haben, und die Naturprodukte können noch zu günstigen Bedingungen eingetauscht werden. Dem fleißigen Arbeiter wird es leicht, einen eigenen Herd zu gründen, die Grundrente steht niedrig, der Arbeitslohn hoch, die überschüssigen Kapitalien des Mutterlandes finden bei hohem Zinsfuß eine gewinnbringende Anlage, Industrie und Gewerbfleiß einen sichern und vorteilhaften Absatzmarkt. Einem an Übervölkerung krankenden Staate gewähren solche Kolonien, deren Klima eine größere Auswanderung zuläßt, die nicht bloß wirtschaftlich, sondern auch aus Gründen der innern Politik höchst wichtige Ableitung seiner entbehrlichen Kräfte, ohne ihre produktive Leistungen zu verlieren (s. Auswanderung). Für den Kolonisten
^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.]
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ist es zudem ein Vorteil, wenn er seine neue Thätigkeit unter Landsleuten und im Zusammenhange mit dem Heimatlande ausüben kann. Andererseits wird auch das Mutterland auf dem Markte seiner eigenen Kolonien wegen der Gleichheit von Sprache, Recht u. s. w. einen Vorsprung besitzen, der sich auch nach polit. Loslösung erhalten wird. So sind die Vereinigten Staaten auch jetzt noch die bedeutendsten Abnehmer engl. Industrieprodukte geblieben. Aber auch solche Kolonien, nach welchen des Klimas wegen eine größere Auswanderung nicht stattfinden kann, können eine Quelle des Wohlstandes für jede thatkräftige Nation werden, da der Handel hochstehender Industrieländer nach unkultivierten, aber an Naturprodukten reichen Gebieten hohen Gewinn abwirft. Allerdings birgt eine energische Kolonialpolitik bei dem Wetteifer aller Mächte die Gefahr von polit. Verwicklungen und Kriegen in sich.
III. Geschichtliches. Die früheste aus dem Altertum bekannte Kolonisation ging von den Phöniziern aus, welche vorzugsweise die ältere asiat. Kultur nach dem Mittelmeerbecken trugen, nicht bloß Griechenland damit befruchteten, sondern auch Niederlaßungen an der nordafrik. Küste und im südl. Spanien begründeten. Kulturgeschichtlich noch wichtiger war die griech. Kolonisation, durch welche beträchtliche Abzweigungen der griech. Stämme nach dem Pontusgebiet, Unteritalien, Sicilien, Südgallien geführt wurden und hier blühende Sitze hoher Kultur gründeten (s. Griechenland, Bd. 8, S. 321 a, und Großgriechenland). In der Expansionspolitik der Römer spielte die Kolonisation nur eine untergeordnete Rolle; sie gründeten in eroberten Gebieten Militärkolonien, seit Unterwerfung Italiens auch um arme Bürger mit Grundbesitz zu versorgen, später, besonders in der Kaiserzeit, um die Veteranen anzusiedeln. Von der Bedeutung dieser Kolonien für die Kultur zeugen noch heute zahlreiche Städte Mittel- und Südeuropas.
Aus der Periode des Mittelalters sind die Handelskolonien der Hansa und die kolonisatorischen Eroberungen des Deutschen Ordens und der Schwertbrüder in den Baltischen Provinzen hervorzuheben, während im südl. Europa die kolonisatorischen Staatengebilde der Kreuzfahrer und Kolonien der ital. Städterepubliken in Syrien, Palästina und dem Pontusgebiet bemerkenswert sind.
Ein neues großes Gebiet wurde der Kolonisation der europ. Kulturstaaten zu Beginn der Neuzeit durch die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien und die Entdeckung Amerikas und Australiens eröffnet. Spanien nimmt zeitlich in der Reihe der neuern Kolonialmächte die erste Stelle ein. Die größte Ausdehnung erreichte sein Kolonialgebiet um die Mitte des 16. Jahrh., wo es die Küsten von ganz Südamerika mit Ausnahme des portug. Brasiliens, ganz Westindien, Centralamerika und den südl. Teil von Nordamerika bis hinauf nach Kalifornien, bis zu den Quellgebieten des Colorado und Rio Grande sowie Florida umfaßte. Die Kolonialpolitik Spaniens war aber fast nur auf wirtschaftliche Ausbeutung, besonders der reichen Mineralschätze, durch militär.-bureaukratische Verwaltung und durch Monopolisierung des Handels mit dem Mutterlande gerichtet. Das ganze Kolonialgebiet war in Vicekönigreiche und Generalkapitanate eingeteilt, welchen als oberste Behörde im Mutterlande der Rat von Indien vorgesetzt war. Der andauernde Zufluß von Reichtümern, besonders an Edelmetallen aus den Kolonien, führte zur Abwendung Spaniens von eigentlich produktiver Arbeit und damit auch zum Verfall der polit. Macht, während andererseits auch die Kolonien zu innerer Stärke nicht gelangen konnten. Als Spanien seine Herrschaft zur See an England und die Niederlande abtreten mußte, verlor es daher auch den größten Teil seiner Kolonien. Während des Napoleonischen Krieges und der folgenden Bürgerkriege sich selbst überlassen, lösten sich die mittel- und südamerikanischen Kolonien vom Mutterlande und verwandelten sich nach und nach in unabhängige Republiken. Aus dem 1810 abgefallenen Vicekönigreich Buenos-Aires bildeten sich die La-Plata-Staaten, aus dem Vicekönigreich Peru die Republiken Peru und Bolivia, aus dem Vicekönigreich Neugranada Columbia, Venezuela und Ecuador. Chile und Mexiko erkämpften ebenfalls ihre Unabhängigkeit. - Portugal hatte bei seinen Entdeckungsfahrten nach Ostindien vornehmlich die Absicht, den Handel mit den Ländern des Indischen Oceans und mit Ostasien zu monopolisieren. Es nahm daher hauptsächlich nur Küstengebiete in Besitz, so die Westküste und Südostküste von Afrika, die Westküste von Indien (Goa), Küstengebiete des Persischen Meers, die Molukken und einzelne Punkte in Hinterindien und an der chines. Küste. Auf das 1500 entdeckte und anfangs wenig beachtete Brasilien wurde erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. größerer Wert gelegt, nachdem man dort Gold- und Diamantfelder gefunden hatte. Von 1580 bis 1640 unter span. Herrschaft und in den Kampf dieser Macht mit England und den Niederlanden verwickelt, verlor Portugal einen bedeutenden Teil seiner Kolonien. Durch die 1822 erfolgte Losreißung Brasiliens, den Verlust einzelner Gebiete der afrik. Küste an die Eingeborenen und an die von Arabien hereindringenden mohammed. Seemächte wurde schließlich der ehemaligen Herrlichkeit portug. Kolonialmacht ein Ende gemacht. - Die Holländer benutzten ihren Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, um den mit Spanien vereinigten Portugiesen das mit bewaffneter Macht gehütete Monopol des ostasiat. Handels größtenteils zu entreißen. Die Ausbreitung der niederländ. Kolonialmacht erfolgte hauptsächlich durch die mit dem Privilegium des alleinigen Handels in allen Gegenden jenseit vom Kap der Guten Hoffnung und der Magalhãesstraße ausgestattete Ostindische Compagnie, welche die Portugiesen (seit 1605) von den Molukken, Ceylon Malaka und den Sundainseln vertrieb, dort Handelsniederlassungen begründete und die einheimischen Fürsten allmählich in Abhängigkeit brachte. In Nordamerika gründeten die Niederländer die Kolonie Neu-Niederland, verloren sie aber 1667 an die Engländer. Vorübergehend nahmen sie auch Teile der brasil. Küste in Besitz, die sie 1661 an die Portugiesen verkauften. Dauernde Spuren haben die Niederlassungen holländ. Kolonisten in Südafrika hinterlassen, die zwar zum Teil unter engl. Herrschaft gekommen (s. Kapkolonie), zum Teil aber zu selbständigen Gemeinwesen (Oranje-Freistaat, Südafrikanische Republik) erwachsen sind. Im Gegensatz zu Spanien haben die Niederlande ihren kolonialen Besitzungen einen großartigen wirtschaftlichen Aufschwung, das Emporblühen einer einheimischen Industrie und eines lebhaften Handels zu verdanken. Noch jetzt beruht die Macht Hollands vorwiegend auf seinen überseeischen Besitzungen. - Frankreichs Kolonialpolitik war bis zur Regierung Ludwigs XIV.
^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.]
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von untergeordneter Bedeutung. Erst 1608 begann mit der Gründung Quebecs die Kolonisation von Canada, welcher dann die Besitznahme von Acadia und Neufundland, vor allem aber die Niederlassungen in dem Stromgebiete des Mississippi (Gründung von Louisiana 1682) folgten. In Indien erwarb die Französisch-Ostindische Handelscompagnie Pondichéry an der Koromandelküste, Chandarnagar in Bengalen und Madras. Die Insel Haïti erhielt Frankreich von Spanien und faßte vorübergehend auch in Südamerika Fuß. Bereits im 18. Jahrh. aber mußte es den größten Teil seiner nordamerik. Besitzungen infolge unglücklicher Kriege an England abtreten und wurde von diesem auch aus Ostindien verdrängt. Erst im 19. Jahrh. begann wieder eine sehr energische Kolonialpolitik. Die Nordküste von Afrika unterwarf es durch die Eroberung von Algerien (1830) und die Übernahme der Schutzherrschaft über Tunis seinem vorherrschenden Einfluß. An der Westküste dehnte es die alten Besitzungen in Senegambien aus, occupierte die ganze Elfenbeinküste und erwarb Gebietsteile am Kongo. Neuerdings hat es das Königreich Dahome seiner Schutzherrschaft unterworfen und 1885 das Protektorat über Madagaskar übernommen. In Hinterindien erwarb Frankreich Cochinchina von Annam und (1883 und 1884) das Protektorat über ganz Annam und Tongking. - England schritt erst im Anfang des 17. Jahrh. zur Erwerbung von und zwar zuerst in Ostindien, wo die 1602 mit einem Freibrief versehene Ostindische Compagnie die ersten Niederlassungen begründete. Schon vorher hatten zwar Besitzergreifungen in Nordamerika stattgefunden, eine Ansiedelung engl. Auswanderer erfolgte jedoch erst im Anfange des 17. Jahrh. Bald faßte es auch in Westindien (Barbados 1605) und in Afrika (erste Niederlassung am Gambia 1631) festen Fuß und richtete, nachdem es den Spaniern und Holländern die Vorherrschaft zur See entrissen hatte, seine gesamte auswärtige und Wirtschaftspolitik auf die Erwerbung überseeischer Gebiete. Die kriegerischen Verwicklungen der Kontinentalmächte verstand England stets mit großem polit. Geschick zur Erweiterung seiner Kolonialmacht zu benutzen. So entriß es den Spaniern Jamaika (1655), den Holländern Neu-Amsterdam (Neuyork 1667), verdrängte die Franzosen aus Ostindien und zwang diese Macht im Pariser Frieden von 1763 zur Abtretung von Canada und Kap Breton. Einen größern Verlust erlitt England nur durch den Abfall der später zu den Vereinigten Staaten zusammengetretenen 13 nordamerik. Provinzen; es glich diesen Verlust jedoch bald wieder aus im 19. Jahrh., in welchem der engl. Kolonialbesitz durch zahlreiche Erwerbungen, von denen nur Australien mit Neuseeland und Tasmanien, die Besitzergreifungen in Indien und Afrika und zahlreicher Inseln in der Südsee genannt seien, eine solche Ausdehnung erhalten hat, daß England heute mit seinen Besitzungen den vierten Teil der Menschheit beherrscht. Bis Ende des 18. Jahrh. befolgte auch England das ältere monopolistische Kolonialsystem (s. d.). Seit dem Abfall der Vereinigten Staaten jedoch gab England die Engherzigkeit dieses Systems auf und befreite besonders seit dem Siege des Freihandelssystems im Mutterlande die Kolonien nicht bloß von allen künstlichen Fesseln, sondern gewährte mehrern der wichtigsten auch polit. Selbständigkeit. Über die staatsrechtliche Stellung der englischen s. Großbritannien und Irland (Bd. 8, S. 416). - Erst 1884 ist auch Deutschland, 200 Jahre nach einem ersten Versuche des Großen Kurfürsten von Brandenburg, in die Reihe der Kolonialmächte eingetreten. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 208 b fg., Deutsche Kolonien, Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Neuguinea-Compagnie und die Artikel der einzelnen Kolonien). - Auch Italien hat seit seiner nationalen Vereinigung wieder koloniale Thätigkeit entfaltet. (S. Erythräa und Italien, Bd. 9, S. 771.) - Von den übrigen europ. Staaten besitzt, abgesehen von Rußland, das in Asien seine besondere kolonisatorische Aufgabe hat, nur Dänemark einige Kolonien. Eine eigenartige Schöpfung der modernen Kolonialpolitik ist der Kongostaat (s. d.). - Genauere Nachweise über die Größe und Bevölkerung der Kolonien der europ. Mächte sind unter den Artikeln: Großbritannien und Irland, Französische Kolonien, Niederlande, Deutsche Kolonien, Spanien u. s. w. gegeben. (Hierzu eine Karte: Kolonien europäischer Staaten, mit drei die histor. Entwicklung der Kolonien darstellenden Nebenkarten.)
Litteratur. Roscher, Kolonien, Kolonialpolitik und Auswanderung (2. Aufl., Lpz. und Heidelb. 1856; 3. Aufl. von Roscher und Jannasch, Lpz. 1885); Hübbe-Schleiden, Überseeische Politik (2 Tle., Hamb. 1881 u. 1883); Jung, Deutsche Kolonien (2. Ausg., Lpz. 1885); Schäffle, Kolonialpolit. Studien (in der «Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft», Jahrg. 42, 43, 44, Tüb. 1886-88); Leroy-Beaulieu, De la colonisation chez les peuples modernes (3. Aufl., Par. 1887); Cerisier, Impressions coloniales 1868-92. Étude comparative de colonisation (ebd. 1893); Artikel: und Kolonialpolitik im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 4 (Jena 1892).