Kohlenteer
,
s. Teer.
Kohlenteer
6 Wörter, 53 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Kohlenteer,
s. Teer.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Kohlenteer,
s. Steinkohlenteer. ^[= auch Kohlenteer genannt, ein Teer (s. d.), der sich bei der trocknen Destillation der Steinkohlen ...]
Produkt der trocknen Destillation [* 4] vieler organischer Körper, entsteht stets neben einer wässerigen, sauren oder ammoniakalischen Flüssigkeit und einem Gasgemisch. Man gewinnt den Teer häufig als Nebenprodukt, wenn es sich um die Darstellung andrer Produkte der trocknen Destillation handelt, z. B. bei der Leuchtgasfabrikation, bei der Darstellung von Holzessig etc.; in andern Fällen ist der Teer das Hauptprodukt, und stets besitzt er großen Wert, seitdem man zahlreiche in verschiedenster Weise verwertbare Substanzen in ihm entdeckt hat. Je nach der Natur des der Destillation unterworfenen Körpers ist der Teer von sehr verschiedener Beschaffenheit; stets aber ist er braun bis schwarz, dickflüssig, von empyreumatischem Geruch, schwerer als Wasser, entzündlich, er brennt mit rußender Flamme [* 5] und gibt an Wasser und Alkohol lösliche Stoffe ab. Alle Teere sind Gemenge verschiedenartiger Körper und enthalten stets Kohlenwasserstoffe, sowohl flüssige als starre, von sehr verschiedener Flüchtigkeit (wie Benzol, Toluol, Paraffin, [* 6] Naphthalin etc.), ferner säureartige Körper (die Phenole, Karbolsäure etc.) und Basen (Anilin, Chinolin etc.), dann auch pech- oder asphaltbildende Substanzen von nicht näher bekannter Beschaffenheit. Wegen ihres Gehalts an Phenolen wirken die Teere stark fäulniswidrig. Holzteer gewinnt man als Nebenprodukt bei der Darstellung von Holzkohle, Holzgas (s. Leuchtgas, [* 7] S. 735) und Holzessig; doch ist die Teerschwelerei bisweilen auch Hauptzweck und verarbeitet dann harzreiche Nadelhölzer [* 8] teils in Meilern mit trichterförmiger Sohle, von welcher der Teer in ein Sammelgefäß abgeleitet wird, teils eingemauerte, stehende große eiserne Kessel, in welchen das Holz [* 9] erhitzt wird, während man die Teerdämpfe in einem durch Luft gekühlten Apparat zur Verdichtung bringt.
Man erhält etwa 17 Proz. Teer. Der Holzteer ist dunkelbraun, riecht durchdringend, schmeckt widrig scharf und bitter, vom spez. Gew. 1,075-1,160, löst sich größtenteils in Alkohol und Äther, mischt sich mit Fetten und gibt an Wasser Essigsäure und brenzlige Stoffe ab. Man benutzt ihn zu konservierenden Anstrichen, zum Kalfatern der Schiffe, [* 10] zum Teeren der Taue etc.; zur Darstellung von Pech und Ruß, auch wird er destilliert, und man gewinnt hierbei leichte Teeröle (Holzöl), die wenig Benzol enthalten und meist als Fleckwasser benutzt werden, schwere Öle, [* 11] die man auf Ruß verarbeitet oder zum Imprägnieren von Holz verwertet, auch wohl Paraffin und Kreosot.
Letzteres wird besonders aus Buchenholzteer dargestellt. Birkenholzteer dient zur Bereitung des Juftenleders.
Torfteer wird durch trockne Destillation des Torfs in Schachtöfen oder Retorten, ähnlich wie Braunkohlenteer
, dargestellt,
auch bei der Verkohlung des Torfs als Nebenprodukt gewonnen. Er ist ölartig, braun bis schwarzbraun, von sehr unangenehmem
Geruch und dem spez. Gew. 0,896-0,965.
Man gewinnt aus demselben durch Destillation leichte Kohlenwasserstoffe, die wie Benzin und Photogen benutzt
werden (Turfol), schwere, noch als Leuchtöle verwendbare Öle, Schmieröle, Paraffin und sehr schwer flüchtige, flüssige
Kohlenwasserstoffe, aus welchen Leuchtgas bereitet wird, als Rückstand Asphalt.
Braunkohlenteer
ist sehr verschieden je nach der Beschaffenheit der Kohle. Im allgemeinen ist er dunkelbraun, riecht widerlich
kreosotartig und erstarrt leicht durch hohen Paraffingehalt. Der aus Pyropissit gewonnene Teer ist butterartig,
wachsgelb und bildet das Rohmaterial der Paraffinfabriken. Man gewinnt daraus durch Destillation leichte und schwere Öle (Benzin,
Photogen, deutsches Petroleum, Solaröl), Schmieröl und namentlich Paraffin (s. d.). In ähnlicher Weise gewinnt und verwertet
man aus bituminösen Schiefern. Am wichtigsten ist der Steinkohlenteer (Kohlenteer), den man in Leuchtgasanstalten,
bisweilen auch bei der Koksbereitung als Nebenprodukt gewinnt. Er ist schwarz bis braunschwarz, übelriechend, dickflüssig,
vom spez. Gew. 1,15-1,22.
Er besteht aus flüssigen und festen Kohlenwasserstoffen (Benzol, Toluol, Cumol, Cymol, Anthracen, Naphthalin etc.), Säuren (Phenol,
Kresol, Phlorol, Rosolsäure), Basen (Anilin, Chinolin, Toluidin etc.) und Asphalt bildenden Substanzen.
Die quantitative Zusammensetzung des Teers schwankt je nach der Beschaffenheit der Kohle und der Ausführung der Destillation. Im allgemeinen entsteht bei schneller Destillation in hoher Temperatur viel Gas und wenig Teer, welcher arm an Ölen, aber reich an Naphthalin ist. Die Bestandteile des Steinkohlenteers bilden das Rohmaterial für mehrere wichtige Industriezweige. Um sie zu gewinnen, unterwirft man den Teer in sehr großen Blasen, liegenden Cylindern oder kofferförmigen Retorten aus Eisenblech einer Destillation über freiem Feuer. Es entweichen zuerst Gase, [* 12] dann gehen mit steigender Temperatur ammoniakalisches Wasser, leichte Öle, schwere Öle und feste Kohlenwasserstoffe über, und als Rückstand bleibt Steinkohlenasphalt, welcher um so härter ausfällt, je weiter die Destillation bei immer gesteigerter Temperatur getrieben wurde. Bisweilen treibt man die flüchtigsten Öle durch Wasserdampf ab, den man ¶
direkt in den Teer leitet. Der Wasserdampf reißt die flüchtigen Kohlenwasserstoffe dampfförmig mit sich fort und wird mit
ihnen zugleich in Kühlapparaten verdichtet. Die erste Verwertung des Teers zur Gewinnung von Leuchtölen datiert von 1839,
wo Selligue und de la Haye in Autun den Teer von bituminösem Schiefer in dieser Weise verarbeiteten. Zu Ende
der 40er Jahre stellte Young bei Glasgow
[* 14] aus Bogheadkohlenteer
ein Mineralöl (Hydrokarbür) und Paraffin dar, und um dieselbe
Zeit entstanden die irischen Öl- und Paraffinfabriken, welche Torf verarbeiteten.
Seit 1850 entwickelte sich die Paraffinindustrie in Deutschland [* 15] (vgl. Paraffin). Steinkohlenteer wurde zuerst etwa 1846 destilliert, um karbolsäurehaltiges Teeröl zur Imprägnierung von Eisenbahnschwellen zu gewinnen. Das leichte Teeröl wurde nur von Brönner als Fleckwasser benutzt und galt als lästiges Nebenprodukt, bis es um 1856 durch die Entwickelung der Anilinfarbenindustrie allmählich der wichtigste Bestandteil des Teers wurde. Die erste größere Fabrik zur Verarbeitung von Steinkohlenteer in Deutschland wurde 1860 in Erkner bei Berlin [* 16] gegründet.
Erst später gewannen wieder die schwerer flüchtigen Teerbestandteile, wie Karbolsäure, Naphthalin und Anthracen, erhöhte
Bedeutung. Die leichten Steinkohlenteeröle
werden wegen ihres Gehalts an Benzol und Toluol hauptsächlich in der Farbenindustrie
benutzt, schwerere karbolsäurehaltige Öle dienen zum Imprägnieren des Holzes, schwere Kohlenwasserstoffe als Schmieröl, Naphthalin
und Anthracen finden Verwendung in der Farbenindustrie, ebenso das Phenol, welches aber auch zu sehr vielen
andern Zwecken, namentlich zur Darstellung von Salicylsäure und in der Medizin, benutzt wird. Aus Toluol und Naphthalin stellt
man auch Benzoesäure dar. Der Asphalt wird zur Darstellung von Asphaltröhren und Briketten, zum Belegen von Fußböden
etc. benutzt, außerdem dient Steinkohlenteer auch zu konservierenden Anstrichen, zum Vertreiben von Ungeziefer, und wo er
keinen Absatz findet, verbrennt man ihn in Gasanstalten zum Heizen der Retorten. Der Steinkohlenteer der Berliner
[* 17] Gasanstalten
liefert:
Benzol und Toluol | 0.80 |
Sonstige wasserhelle Öle | 0.60 |
Kristallisierte Karbolsäure | 0.20 |
Kresol etc. | 0.30 |
Naphthalin | 3.70 |
Anthracen | 0.20 |
Schwere Öle | 24.00 |
Steinkohlenpech | 55.00 |
Wasser und Verlust | 15.20 |
Die Teermenge beträgt bei der Leuchtgasfabrikation 5 Proz. vom Gewicht der Steinkohlen, und da nun in Berlin jährlich 6 Mill. Ztr. Kohle verarbeitet werden, so erhält man 300,000 Ztr. Teer, dessen Beschaffenheit aber von der Beschaffenheit der Kohle abhängig ist. In England verarbeitet man jährlich 3,5, in Frankreich 1, in Deutschland 0,75, in Belgien [* 18] und Holland 0,45, zusammen 5,7 Mill. Ztr. Teer, welche an Ausbeute ergeben: Anthracen 19,000, Benzol 57,000, Naphtha 42,700 Ztr. Von großer Bedeutung dürfte der Teer werden, welcher beim Raffinieren des Erdöls als Rückstand bleibt, insofern derselbe, wenigstens derjenige von südrussischem Erdöl, [* 19] Produkte liefert, die reich an Benzol, Toluol und Anthracen sind und daher für die Teerfarbenindustrie ein wertvolles Rohmaterial bilden.
Vgl. Lunge, [* 20] Destillation des Steinkohlenteers (Braunschw. 1867);
Derselbe, Industrie der Steinkohlenteer
fabrikation
(3. Aufl., das. 1888);
Bolley-Kopp, Chemische [* 21] Verarbeitung der Pflanzen- und Tierfasern (das. 1867-74);
Wagner, Übersicht der Produkte der trocknen Destillation der Steinkohlen (Würzb. 1873);
Schultz, Chemie des Steinkohlenteers (2. Aufl., Braunschw. 1887 ff., 2 Bde.),