Knochenbrüche
(Fracturae ossium), plötzliche
Trennungen des Zusammenhangs eines
Knochens, entstehen
in der Regel durch Einwirkung äußerer Gewalt, seltener durch heftige Muskelkontraktionen. Gesunde
Knochen
[* 2] besitzen eine
große Festigkeit,
[* 3] sodaß ein
Stoß oder
Schlag schon mit großer Kraft
[* 4] einwirken muß, wenn ein Knochenbruch
herbeigeführt
werden soll. Gewisse krankhafte
Veränderungen der
Knochen (Auflockerung und Brüchigkeit infolge von
Syphilis,
von
Englischer Krankheit, von
Knochengeschwülsten
u. dgl.) begünstigen das Entstehen der und bei alten Leuten brechen die
Knochen infolge der senilen
Atrophie des
Knochengewebes leichter als bei jungen.
Man teilt die Brüche ein in vollkommene und unvollkommene. Letztere sind diejenigen, bei welchen die Bruchenden noch in Verbindung gehalten werden, entweder durch die Beinhaut oder dann, wenn der Knochen bloß geknickt ist (infractio). Zu den unvollkommenen Brüchen zählt man auch die Spaltungen (Fissuren) der Knochen, die namentlich am Schädel häufig zu stande kommen. Ist der Bruch ein vollkommener, so haben sich die Bruchenden, schon durch den Zug der Muskeln, [* 5] meist gegeneinander verschoben (sie reiten aufeinander).
Manchmal keilt sich auch ein Bruchende in das andere ein. Eine andere
Einteilung der Knochenbrüche
ist die in einfache (ohne Verletzung
der
Haut,
[* 6] großer
Gefäße und Nervenstämme) und in komplizierte (mit solchen Verletzungen), welch letztere die gefährlichern
sind, weil durch die Hautwunde sehr leicht die Fäulniserreger der Luft zu der Knochenwunde gelangen
und in dieser
Entzündungen und
Vereiterungen, ja selbst lebensgefährliche Verjauchungen bewirken können. In der Regel bricht
der
Knochen nur in zwei
Stücke; sind mehrere
Stücke entstanden, so nennt man dies einen
Splitterbruch (fractura comminutiva).
Mit Rücksicht auf die
Richtung der Knochentrennung unterscheidet man ferner Querbrüche,
Schief- oder
Schrägbrüche und Längsbrüche. Auch bloße Absplitterungen von Knochenstücken (Lamellen) kommen vor.
Die falsche Stellung der Extremität, die beträchtliche Anschwellung, die Schmerzhaftigkeit, die Beweglichkeit der Bruchenden und das Knirschen (Krepitation) beim Bewegen der Bruchenden gegeneinander sowie die. Beeinträchtigung der Funktionen des betroffenen Gliedes zeigen die Fraktur an. In manchen Fällen ist die Erkennung schwer, namentlich wenn der Knochen in der Nähe eines Gelenks zerbrochen, wobei die Fraktur mit einer Verrenkung (s. d.) verwechselt werden kann.
Erleichtert wird die Diagnose durch eine große Regelmäßigkeit der Brüche unter gleichen Verhältnissen. So brechen Kinder beim Fallen [* 7] sehr häufig das Schlüsselbein, Erwachsene, wenn sie auf die vorgestreckte Hand [* 8] fallen, das vordere Ende der Speiche, alte Leute den Oberschenkelhals (den Teil zwischen dem Gelenkkopf und dem großen Rollhügel des Oberschenkelknochens). Dieser Schenkelhalsbruch heilt gewöhnlich am schwersten und hinterläßt meist Hinken.
Zur
Heilung der einfachen Knochenbrüche
ist nach der möglichsten
Annäherung der Bruchenden (oder Reposition) Festhalten
derselben in dieser
Lage (Retention) und vollständige Ruhe der
Gliedmaßen nötig. Man lagert daher das
Bein oder den
Arm zwischen
Schienen, legt einen
Verband
[* 9] aus
Pappe, die man mit
Watte füttert, und mit
Kleister oder Dextrin bestrichene
Binden an
(Watte-,
Kleister-, Dextrinverband) oder gipst die
Binden ein
(Gipsverband). Die
Heilung erfolgt um so schneller,
je jünger und gesünder das Individuum ist; Schlüsselbeinbrüche der
Kinder heilen oft ohne alle Behandlung, während Oberschenkelhalsbrüche
alter Leute häufig gar nicht heilen. In falscher
Stellung geheilte
Brüche müssen wieder gebrochen und neu eingerichtet werden.
In den meisten Fällen wird ein einfach gebrochenes
Glied
[* 10] wieder vollkommen brauchbar; der gebrochene
Knochen,
besonders z. B. der Extremitäten, erleidet jedoch infolge eines
Bruchs häufig eine Verkürzung. Während der Nachkur ist
die eingetretene
Steifigkeit und Schwäche des gebrochenen
Gliedes durch allmählich gesteigerte
Übung, spirituöse Einreibungen
und Massage, Elektrisieren und warme
Bäder zu behandeln.
Von ganz besonderer Wichtigkeit sind bei allen Knochenbrüche
die ersten Hilfeleistungen, welche
der Verletzte erfährt. Nachdem man Kleidungsstücke
bez. Stiefel so weit aufgeschnitten hat, daß die Verletzung
^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.] ¶
mehr
übersehen werden kann, befestige man das kranke Glied mit Binden oder mit Tüchern, zerschnittenen Hemden, Bettlaken u. dgl. auf einer festen Unterlage (Schienen aus Latten, Brettern, Cigarrenkisten, Pappstücken, Draht, [* 12] zusammengebundenen Zweigen u. ähnl.) derart, daß es nicht mehr schmerzt und sich nicht verschieben kann, und lege bis zur Ankunft des Arztes kalte Umschläge von Eis, [* 13] Schnee [* 14] oder Wasser auf die Bruchstelle auf. Im äußersten Notfalle kann man auch das gesunde Bein als Schiene benutzen, indem man das zerbrochene Bein mit Tüchern an dasselbe festbindet. Kann man das zerbrochene Glied nicht hinreichend fixieren, so mag man den Verletzten lieber noch längere Zeit bis zum Erscheinen des Arztes auf der Stelle, wo das Unglück geschehen ist, liegen lassen, als daß man ihn den Schmerzen und Gefahren eines längern Transports ohne hinreichende Sicherung der gebrochenen Knochen aussetzt.
Vgl. Esmarch, Die erste Hilfe bei Verletzungen (Hannov. 1875);
Hoffa, Lehrbuch der Frakturen und Luxationen (Würzb. 1888);
Esmarch, Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen (9. Aufl., Lpz. 1891);
Kiesewetter, und Verrenkungen (Wiesb. 1893).