Titel
Kleist
,
1)
Ewald
Christian von, namhafter Dichter, geb. auf dem väterlichen
Gut Zeblin unweit
Köslin
[* 2] in
Pommern,
[* 3] besuchte das
Gymnasium zu
Danzig
[* 4] und die
Universität zu
Königsberg,
[* 5] ward 1736 dänischer
Offizier, 1740 aber
von
Friedrich II. reklamiert und zum
Leutnant beim
Regiment des
Prinzen
Heinrich ernannt.
Gleim, der zu jener Zeit in
Potsdam
[* 6] lebte,
weckte zuerst Kleists
dichterische Begabung, und
Ramler, den derselbe 1749 kennen lernte, lehrte ihn die
Feile
[* 7] an seine Geisteswerke
legen, vielfach freilich ohne
Schonung der fremden Eigentümlichkeit.
Eine unglückliche
Liebe trübte früh die natürliche Heiterkeit von Kleists
Gemüt. Nachdem er 1744-45 den zweiten
Schlesischen
Krieg mitgemacht, rückte er 1749 zum
Stabskapitän vor, und zwei Jahre später erhielt er eine
Kompanie. Nach einer
Reise in
die
Schweiz,
[* 8] wo er fast ein Jahr lang auf
Werbung war, und nach einer überstandenen schweren
Krankheit
hatte er im Mai 1756 eben angefangen, eine
Kur in
Freienwalde zu gebrauchen, als ihn ein Befehl zum
Regiment zurückrief und
er ins
Feld zog.
Schon im folgenden Jahr ward er zum
Major und bald darauf zum
Direktor eines in
Leipzig
[* 9] errichteten
Feldlazaretts ernannt. In
letzterer Stadt begann er sein kleines
Epos »Cissides und
Paches« und gewann unter anderm auch die
Freundschaft
Lessings, welcher
ihn bestimmte, ein
Trauerspiel zu schreiben. Es entstand der
Entwurf des
»Seneca«, ein Fehlversuch, wofür ihn Kleist
selbst erkannte.
Im Mai 1758 folgte Kleist
dem
Korps des
Prinzen
Heinrich, welches die
Reichsarmee bis hinter
Hof
[* 10] zurücktrieb;
trotz mehrfacher Zurücksetzung vermochte er sich nicht dazu zu entschließen, seinen
Abschied zu nehmen.
In der
Schlacht bei
Kunersdorf
[* 11] drang
er an der
Spitze seines
Bataillons gegen eine feindliche
Batterie vor, ward an der
rechten
Hand
[* 12] verwundet, nahm aber den
Degen in die
Linke und stürmte weiter, als ihm drei Kartätschenkugeln
das rechte
Bein zerschmetterten. Ohnmächtig blieb Kleist
die
Nacht über auf dem Schlachtfeld liegen, wurde von
Kosaken ausgeplündert
und erst am 13. nach
Frankfurt
[* 13] a. O. gebracht. Hier erlag er seinen
Wunden und ward von der russischen
Garnison
ehrenvoll begraben.
Kleists
reines
Gemüt spiegelt sich in allen seinen
Poesien, vorzüglich in den
Erzählungen: »Die
Freundschaft« und »Arist«
sowie in dem
Idyll
»Irin«. Korrektheit des
Ausdrucks, glücklich gewählte
Bilder, in denen er gewöhnlich die
Natur mit frischem
Leben zeichnet, sowie
Fülle und Wohlklang der
Diktion charakterisieren seine Gedichte, unter denen sein
»Frühling«, welcher zuerst 1749 bloß für
Freunde gedruckt erschien und dann viele
Auflagen erlebte, hohen Beifall errang.
Neben dem beschreibenden Gedicht versuchte sich Kleist
auch in der
Fabel, im
Idyll und in der
Hymne. Seine »Sämtlichen Werke« sind
von
Ramler (Berl. 1760, 2 Bde.),
später von Wilhelm Körte (mit Biographie, das. 1803, 2 Bde.; 5. Aufl. 1853) und neuerdings mit den »Briefen« von A. Sauer (das. 1884, 3 Tle.) herausgegeben worden.
Vgl.
Einbeck,
[* 14]
Ewald
Chr. v. Kleist
(1861).
2)
Friedrich
Heinrich
Ferdinand
Emil Kleist
,
Graf von
Nollendorf, preuß.
General, geb. zu
Berlin,
[* 15] wurde 1774
Page des
¶
mehr
Prinzen Heinrich von Preußen
[* 17] und 1778 Offizier im Infanterieregiment v. Bülow. 1790 trat er als Quartiermeisterleutnant in den
Generalstab, und 1803 ernannte ihn der König zu seinem vortragenden Generaladjutanten und betraute ihn mit den wichtigsten
Aufträgen. So ward er unter anderm nach der Schlacht bei Jena
[* 18] vom König zu Napoleon I. gesandt, um auf
die durch den General Bertrand gemachten Friedensvorschläge zu antworten. Ende 1808 übernahm er bei der neuen Organisation der
Armee das Kommando der niederschlesischen Brigade, und 1809 ward er zum Kommandanten von Berlin ernannt. Im russischen Feldzug 1812 befehligte
er eine Brigade des Yorkschen Korps und nahm, zum Generalleutnant befördert, im letztern auch am ersten
Teil des Kriegs von 1813 teil; er focht mit Auszeichnung bei Halle
[* 19] 28. April und bei Bautzen
[* 20] 20. Mai. Als preußischer Bevollmächtigter
schloß er dann den Waffenstillstand von Poischwitz (4. Juni) ab und befehligte nach Ablauf
[* 21] desselben das 2. Korps, welches nebst
den Garden zum österreichischen Heer in Böhmen
[* 22] stieß. Nach der Schlacht bei Dresden,
[* 23] wo er ebenfalls ruhmvoll gekämpft, folgte
er dem allgemeinen Rückzug. Auf die Nachricht, daß Vandamme bereits auf nähern Wegen in Böhmen eingedrungen und so jeder
Rückweg abgeschnitten sei, faßte Kleist
den kühnen Entschluß, sich über Nollendorf in den Rücken des
Feindes zu werfen, rückte 30. Aug. in das Thal
[* 24] von Kulm hinab und entschied die Schlacht, welche dem Sieger die Erhebung zum Grafen
von Nollendorf erwarb. In der Schlacht bei Leipzig befehligte er den linken Flügel der böhmischen Armee und kämpfte bei Markkleeberg.
Nach der Schlacht mit der Blockade von Erfurt
[* 25] beauftragt, setzte er sich durch Konvention in Besitz der Stadt,
übergab die Einschließung der Citadellen dem General Dobschütz und folgte der Armee nach Frankreich, wo er sofort in
die Niederlage der schlesischen Armee bei Etoges verwickelt wurde, aber bei Laon 9. und 10. März wesentlich
zum Sieg beitrug. Nach der Schlacht bei Paris
[* 26] (30. März) ward Kleist
von den verbündeten Monarchen nach England zu Ludwig XVIII. gesandt.
Der König ernannte ihn hierauf zum General der Infanterie und verlieh ihm als Dotation die Domäne Stötterlingenburg im Fürstentum
Halberstadt.
[* 27] Beim Ausbruch des Kriegs von 1815 ward ihm der Befehl über das norddeutsche Armeekorps übertragen;
Krankheit nötigte ihn jedoch, denselben bald wieder abzugeben. Nach dem zweiten Pariser Frieden erhielt er das Generalkommando
der Provinz Sachsen,
[* 28] bis ihn die zunehmende Zerrüttung seiner Gesundheit 1821 nötigte, dem Dienst ganz zu entsagen. Er erhielt
seine Entlassung mit der Würde eines Feldmarschalls und starb in Berlin.
3) Heinrich von, deutscher Dichter, der hervorragendste und poetisch mächtigste unter den Vertretern der »romantischen
Schule«, ein Verwandter von Kleist
1), geb. zu Frankfurt a. O., Sohn eines preußischen Offiziers, verlor bereits früh
seine Eltern, nach deren Tod eine Tante das Haus aufrecht erhielt, trat in das Kadettenhaus zu Berlin, 1792 als
Junker in das 1. Garderegiment, avancierte 1795 zum Fähnrich und schließlich zum Leutnant. Er hatte ohne Widerspruch die Familienkarriere
eingeschlagen, auch als guter Soldat an den Rheinfeldzügen teilgenommen.
In der Eintönigkeit des Garnisonlebens nach dem Baseler Frieden ward ihm klar, daß der militärische Beruf seine Seele leer lasse; ein dunkler Drang, den er fälschlich für das Verlangen nach wissenschaftlicher Bildung und Erkenntnis hielt, erfüllte ihn. Mühsam rang er seiner Familie und seinen militärischen Gönnern die Zustimmung ab, auf der verfallenden Universität seiner Vaterstadt zu studieren, widmete sich während der Jahre 1799 und 1800 dem Studium der Mathematik, der Philosophie und der Kameralwissenschaften, verlobte sich auch während dieser Zeit mit einer Tochter des Generals v. Zenger.
Nach drei Semestern an der Philosophie irre geworden und dem Studium irgend einer »Brotwissenschaft« geringschätzig den Rücken
kehrend, verließ Kleist
die Universität mit dunkeln, unbestimmten Zukunftshoffnungen. Er hatte seinen Dichterberuf
entdeckt und glaubte ihn nach mannigfachem Wechsel seiner Entschlüsse und äußern Pläne durch ein gewaltiges, alles niederwerfendes
Werk mit Einem Schlag erweisen zu müssen. In rascher Folge unternahm er, um das, was eigentlich in ihm vorging, zu verbergen,
eine Reihe von Reisen, hielt sich längere Zeit in Paris auf, suchte vergebens seine Braut Wilhelmine zu bestimmen,
mit ihm in der Schweiz ein einfaches Bauerndasein zu führen, und dichtete während aller dieser hastig wechselnden Unternehmungen
und Pläne an einer Tragödie: »Robert Guiscard«, welche die höchste Vollendung und Wirkungsfähigkeit erreichen sollte. Im
Herbst 1803 gab er, das Mißverhältnis seiner Forderungen und seines augenblicklichen poetischen Vermögens
erkennend, den gewaltigen Plan auf.
Die Verzweiflung über das Scheitern seiner stolzen Hoffnungen glich einem Wahnsinnsanfall; auch die günstige Aufnahme, welche das zwischen der Arbeit an »Guiscard« gedichtete, groß angelegte, aber durch Willkür und bizarre Laune am Schluß entstellte Trauerspiel »Die Familie Schroffenstein« inzwischen gefunden, vermochte ihn darüber nicht hinauszuheben. Kleist ging nach Paris in der Absicht, sich der damals geplanten Expedition von Boulogne anzuschließen und dabei einen ehrlichen Soldatentod zu finden.
Wahrscheinlich würde er, paß- und mittellos, wie er war, eher als Spion erschossen worden sein; das Eingreifen des preußischen Gesandten in Paris, Lucchesini, rettete ihn für diesmal. Gebrochen an Leib und Seele, resigniert, ja gedemütigt, kehrte er nach Potsdam zurück, erhielt durch besondere Verwendung der Königin Luise eine kleine Pension und eine Anstellung bei der Domänenkammer zu Königsberg, wohin er im Herbst 1804 abging. Hier gewann er den Mut zu neuem poetischen Schaffen.
Ohne die überreizten Anforderungen an sich zu stellen wie beim »Guiscard«, wagte sich der Dichter zunächst an kleinere Formen und Stoffe, schuf seine ersten Novellen: »Die Marquise von O.« und das »Erdbeben [* 29] in Chile«, [* 30] eine freie Bearbeitung des Molièreschen »Amphitryon« und das einaktige Lustspiel »Der zerbrochene Krug«, welches im Detail zu breit ausgesponnen, sonst aber durch die Fülle echter Komik, die magische Charakteristik und das niederländische Kolorit ausgezeichnet war.
Aus diesen litterarischen Bestrebungen und Plänen ward Kleist im Herbst 1806 durch die Katastrophe des preußischen Staats gerissen. Zum erstenmal kam ihm zum Bewußtsein, wie tief er mit allen Lebensfasern in das Glück und Unglück des Vaterlandes verwachsen sei. Zugleich war das hereinbrechende Unglück auch ein persönlicher Schlag: Kleist verlor seine Pension und Anstellung und ward, als er sich im Herbst 1807 nach Berlin wagte, verhaftet, ohne Verhör nach Frankreich abgeführt, anfänglich im Fort De Joux gefangen gehalten, später mit preußischen kriegsgefangenen Offizieren in Châlons sur Marne interniert. Die Gefangenschaft lähmte ¶
mehr
seine dichterische Kraft [* 32] nicht; von den Eindrücken des Forts De Joux angeregt (wo der Negergeneral Toussaint l'Ouverture gefangen gesessen), schrieb er die Novelle »Die Verlobung auf San Domingo«, begann die Erzählung »Michael Kohlhaas« und die Tragödie »Penthesilea«, in welcher er die Erhebung, das leidenschaftliche Verlangen und den tiefen, tragischen Sturz seiner Seele in geradezu einziger Weise im Schicksal der Amazonenkönigin und ihrer Leidenschaft zu Achilleus plastisch und farbenprächtig verkörperte.
Trotz des entstellenden Schlusses ist »Penthesilea« in mehr als einem Betracht ein Meisterwerk. In demselben Jahr (1807) nach Deutschland [* 33] zurückgekehrt, ließ sich der Dichter in Dresden nieder, wo er im Verein mit Adam Müller die Monatsschrift »Phöbus« und eine Buchhandlung begründete, auf welche er große Hoffnungen setzte, die aber leider an der Ungunst der kriegerischen Zeitläufte scheiterten. Die Dresdener Zeit (bis Frühjahr 1809) war nichtsdestoweniger Kleists produktivste Periode: er vollendete nicht nur »Michael Kohlhas« und »Penthesilea« (Tübing. 1808),
sondern auch das Ritterschauspiel »Das Käthchen von Heilbronn« [* 34] (Berl. 1810), das populärste seiner Werke. Seltsam unwirklich und phantastisch in den Voraussetzungen, aber heimisch, traut, lebendig, voll echter Empfindung und naiven, quellenden Lebens, versagte das Schauspiel selbst in den Verballhornungen, in denen es auf die Bühne gelangte, seine Wirkung nicht. Schließlich entstand noch in Dresden das Drama »Die Hermannsschlacht«, in welchem Kleist seinen wilden patriotischen Zorn über die Schmach des Rheinbundes und der Fremdherrschaft, sein Rache- und Befreiungsverlangen durch die Darstellung der Varusschlacht verkörperte.
Das Drama ward in demselben Augenblick abgeschlossen, als sich Österreich [* 35] im Frühling 1809 gegen Napoleon erhob. Kleist teilte die Hoffnungen, die auf diese Erhebung gesetzt wurden, begab sich nach Prag [* 36] und in die Nähe des österreichischen Lagers und gedachte der großen Sache mit seiner Feder und, wenn es sein könne, mit seinem Degen zu dienen. Die Schlacht von Wagram [* 37] und der ihr folgende Waffenstillstand machten allen Hoffnungen und Plänen ein Ende; Kleists patriotisch-poetischer Aufruf »Germania [* 38] an ihre Kinder« sollte erst mehrere Jahre später zur Wahrheit werden.
Gebeugter, erbitterter als je, verließ er die österreichischen Staaten und kam im Herbst 1809 aussichts- und hoffnungslos nach Berlin zurück. Um nicht zu verhungern, gab er mit Ad. Müller die unbedeutende Zeitschrift »Berliner [* 39] Abendblätter« heraus und publizierte seine »Erzählungen« (Berl. 1810). Während er aber in düsterer Melancholie, äußerlich mannigfach gedrückt, dahinlebte, trieb seine Dichtung gleichwohl ihre schönste Blüte, [* 40] das Schauspiel »Prinz Friedrich von Homburg«, [* 41] ein echt vaterländisches Schauspiel, charakteristisch, kräftig, eigenartig, im ganzen trotz einiger bedenklicher Szenen von reiner, klarer Vollendung, dabei »eine Allegorie im edelsten Stil, denn im Charakterbild des Prinzen von Homburg bildete Kleist offenbar sein eignes Schicksal ab«.
Die Erwartung, das Stück in Berlin aufgeführt zu sehen, ward nicht erfüllt. Kleist, der seinen Lebensmut immer tiefer gebeugt fühlte, hatte zu seinem Unglück in dieser Zeit eine Freundin, Frau Henriette Vogel, gewonnen, die an einer unheilbaren Krankheit litt, bei sich wie bei dem Freund Selbstmordgedanken nährte und den begreiflichen Lebensüberdruß des unglücklichen Dichters zu einer That aufstachelte. Am erschoß Kleist die Freundin und sich selbst in der Nähe des Wansees bei Potsdam. Erst ein Jahrzehnt nach seinem Tod begann die Anerkennung von Kleists großem, kräftigem, auf das Höchste der Dichtung, auf echte Gestaltenschöpfung und volle Lebenswärme, gerichtetem Talent. Von der Herausgabe seiner »Hinterlassenen Werke« durch Ludwig Tieck (Berl. 1821) an war Kleists Wirkung und Geltung beständig im Steigen; von seinen Dramen eroberten sich »Der Prinz von Homburg«, »Der zerbrochene Krug«, »Das Käthchen von Heilbronn«, neuerlich auch die »Hermannsschlacht« die Bühne. Die »Gesammelten Schriften« Kleists wurden herausgegeben von Ludw. Tieck (Berl. 1826, 3 Bde.; revidiert von Jul. Schmidt, zuletzt 1874, 3 Bde.),
von Heinr. Kurz (Hildburgh. 1872, 2 Bde.),
von A. Wilbrandt (Berl. 1879),
von Grisebach (Leipz. 1884, 2 Bde.), von Zolling (Stuttg. 1884); die »Politischen Schriften« (hrsg. von Rud. Köpke, Berl. 1862) bilden eine Art Nachtrag dazu. Briefe Kleists wurden von E. v. Bülow (»Kleists Leben und Briefe«, Berl. 1848),
Koberstein (»Kleists Briefe an seine Schwester Ulrike«, das. 1860),
Zolling (in »H. v. in der Schweiz«, Stuttg. 1881) und Kleist Biedermann (»H. v. Kleists Briefe an seine Braut«, Bresl. 1883) veröffentlicht.
Vgl. Wilbrandt, Heinrich v. Kleist (Nördling. 1863);
Brahm, Heinrich v. Kleist (Berl. 1884).
4) Hans Hugo von, s. Kleist-Retzow.