Titel
Kirgisen
Bergen (Stadt in Belgi

* 2
Bergen. (Kirghisen), türk.
Volk in den
Steppen
Mittelasiens, dessen Gebiet nördlich etwa bis zum nördlichen Abhang
des transilischen Alatau oder Alexandergebirges, westlich bis zum obern
Lauf des
Amu Darja, südlich bis
zum
Kuenlün, also in die Umgegend von
Jarkand und selbst von
Chotan, östlich im
Thianschan bis zum
Meridian von
Kuldscha reicht.
Ihr
Name bedeutet türkisch so viel wie
Räuber; sie selbst nennen sich Kassak (Chazak). Die eigentlichen Kirgisen
sind nur die im
Thianschan wohnenden, die im 5. Jahrh. am
Jenissei und in den Sajanischen
Bergen
[* 2] ihren
Wohnsitz gehabt haben
sollen und von hier im 10. Jahrh. durch die Hokas vertrieben sind; dieselben werden von den
Russen Dikokammenije Kirghisy (»wilde Steinkirgisen«
),
Asiatische Völker

* 3
Völker. von den
Chinesen und
Kalmücken
Buruten, von den Kassaken
Karakirgisen
(»schwarze Kirgisen«
) genannt.
Alle andern kirgisischen
Völker außerhalb des Thianschangebirges führen die
Bezeichnung der
Kirgiskaisaken. Die äußere
Erscheinung des Kirgisen
(s. Tafel
»Asiatische
Völker«,
[* 3] Fig. 8) verrät die mongolische
Abstammung, obgleich es seine Schwierigkeiten hat,
einen konstanten
Charakter für
Typus und
Habitus herauszufinden. Die Kirgisen
scheinen
ein Gemisch der verschiedenartigsten
Elemente zu sein, deren hauptsächlichstes wohl das türkische ist;
ihre
Sprache
[* 4] ist ein rein türkischer
Dialekt.
Die ziemlich stark hervorspringenden Backenknochen, die in den Winkeln etwas schief herabgezogenen Augen, welche wegen der wulstigen Ränder schmal geschlitzt und blinzelnd erscheinen, die meist etwas abgeplattete, breitflügelige Nase, [* 5] der durchgehends große Mund mit besonders entwickelter wulstiger Unterlippe dürfen als die Rasseneigentümlichkeiten angesehen werden. Von Natur sind sie mittelgroß bis klein, aber gedrungen und kräftig gebaut; ihre Hautfarbe ist im ganzen dunkler als die der Europäer und hat einen mehr oder minder bräunlichen, zum Teil ins Gelbbräunliche ziehenden Ton. Sie sind Mohammedaner, von kriegerischem, wild unbändigem Charakter, noch vor 15 Jahren als Wegelagerer gefürchtet.
Die echten Kirgisen
zerfallen in zwei
Völkerschaften, die
Rechten (On) und die
Linken
(Sol), die wiederum in viele Hauptstämme und
Geschlechter auseinander gehen; ihre Zahl wird auf 850,000 angegeben, wovon 169,000 unter russischer Herrschaft stehen.
Die letztern zahlen keine Geldabgaben, sondern sind nur zu
Naturalleistungen,
Stellung von Transporttieren,
Treibern und Wegweisern verpflichtet; die
Verwaltung ist den Stammesoberhäuptern überlassen. Das
Gastrecht ist dem Kirgisen
heilig.
Horvatovic - Hosen

* 6
Hosen.
Der
Reiche unterscheidet sich nicht vom
Armen, auch nicht der
Herr vom
Diener. Die Kirgisen
verraten viel
Anlage zur
Musik, und die kriegerischen
Improvisatoren stehen bei ihren Nachbarn, den Kassaken, in großem Ansehen. Ihr Anzug besteht aus weiten
Hosen
[* 6] und
Röcken von
Wolle und aus hohen ledernen
Stiefeln.
Ihre
Religion ist der
Islam; seine
Gebote halten sie aber nicht streng,
und die
Priester
(Mullas) haben geringern Einfluß als unter den Kassaken. Als echte
Nomaden leben sie hauptsächlich von der
Viehzucht.
[* 7]
Ihre
Nahrung besteht aus Schaffleisch;
Pferde
[* 8] werden nur bei großen
Festen geschlachtet, und das
Rindfleisch
verachten sie. Wie alle mongolischen
Nomaden, sind sie zum Trunke geneigt; ihr Lieblingsgetränk ist der
Kumys (s. d.). Der
Ackerbau ist mehr Nebenbeschäftigung, wird aber, wo er betrieben wird, mit Umsicht unter
Anlage von
Bewässerungen ausgeübt.
Ihre
Industrie ist nur
Hausgewerbe, die
Frauen weben und spinnen
Wolle und wirken dauerhaften
Filz.
Fast alle
notwendigen Bedürfnisse erhalten die Kirgisen
durch den
Handel.
Die Kirgiskaisaken zerfallen in drei Hauptabteilungen oder Horden:
1) Ulu-dschus (»das große Hundert«),
Kirgisensteppe

* 10
Seite 9.785. 2)
Orta-dschus (»mittlere
Hundert«) und 3) Kitschi-dschus (»kleine
Hundert«); zur letztern
gehört noch die im
Gouvernement
Astrachan auf europäischem
Boden nomadisierende sogen. innere oder Bukeische
Horde.
Ihre Gesamtzahl wird von einigen auf etwas über eine
Million, von andern auf über zwei
Millionen angegeben. Der
Ackerbau
beginnt sich unter ihnen allmählich einzubürgern und gilt nicht mehr wie früher als fast entehrend; ihr Hauptreichtum
aber sind noch immer die
Herden, auf denen ausschließlich ihre
Existenz und ihr
Erwerb beruhen. Durch vorzügliche
Eigenschaften sind ihre
Pferde ausgezeichnet, die das
Material für die
Armee, das Transportwesen und die ungeheuern Frachtzüge
im sibirischen
Verkehr liefern. Einzelne Kirgisen
sollen mehr als 5000
Stück
Pferde besitzen. Das zweitwichtigste Herdentier der
Kirgisen
ist das
Schaf,
[* 9] von welchem einzelne
Reiche 20,000
Stück besitzen sollen. Im ganzen wird die Gesamtzahl
ihrer
Pferde
¶
mehr
auf 6-10 Mill. Stück, auf ebensoviel die Zahl ihrer Schafe
[* 11] und auf 2 Mill. die Zahl ihrer Rinder
[* 12] geschätzt. Eine eigentliche
Milchwirtschaft treiben sie nicht, doch bildet dieselbe insofern einen wichtigen Teil ihrer Ökonomie, als Milchprodukte die
Hauptnahrung ausmachen. Die Zelte (Jurten, Kibitken) der Kirgisen
sind zierlich aus Filz errichtet, ohne die Spitze 2 m
hoch und haben 7-9 m im Durchmesser; Tragstangen werden gekreuzt, das Ganze ist leicht ab- und aufgeschlagen; die Kibitken
der Reichen sind umfangreicher.
Die Zelte stehen in den zum Ackerbau geeigneten Flußniederungen meist dorfartig vereinigt. Im Winter sind die Kirgisen
auch Jäger
und wissen mit schlechten Feuerschloßgewehren vortrefflich zu schießen. Vom Handwerk verstehen sie nicht
viel, doch immerhin etwas Schmiederei und Sattlerei. Die Frauen beschäftigen sich mit Filzbereitung, Spinnen,
[* 13] Weben
[* 14] und Gerben.
Auf Tabakschnupfen sind die Kirgisen
sehr erpicht, weniger aufs Rauchen. Sie sind Mohammedaner und zwar Sunniten, aber im ganzen
nicht sehr eifrig und wenig mit dem Koran bekannt.
Knochen

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Knochen.Auch der Polygamie huldigen sie; doch ist es, da der Kalym, der Kaufpreis für die Braut, ziemlich hoch, nur den Reichen möglich, sich mehrere Frauen zu nehmen. In sozialer Beziehung unterscheidet man zwei Klassen, die vom »weißen Knochen« [* 15] und die vom »schwarzen Knochen«, wobei die erstere den Adel repräsentiert, jedoch nicht im feudalen Sinn. Ihre administrative Einrichtung sind Auls und Woloste. 30-200 Jurten oder Kibitken bilden eine Gemeinde (Aul), mehrere Auls ein Weidegebiet oder einen Kreis [* 16] (Wolost).
Die Kirgisen
haben selbstgewählte eingeborne Richter (Bii-en), die nach nationalem Gewohnheitsgesetz alle Streitigkeiten unter
den Kirgisen
selbst aburteilen, während die zwischen Kirgisen und Russen durch Zivilgerichte auf Grundlage der russischen
Justizverfassung entschieden werden. An der Spitze der Wolost steht ein eingeborner Kreischef, der auf drei Jahre gewählt wird.
Ihre Abgabe, der Jassak, beträgt pro Jurte von 3-5 Köpfen 3-3½ Rub. jährlich; Händler zahlen 2½ Proz. vom Import und
Export.
Haare der Pflanzen

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Haare.Das Kirgisenelement gewinnt seit kurzem in Sibirien große Bedeutung. Bis nach Biisk und Kusnetz hin sind fast alle Hirten der russischen Dörfer Kirgisen; zahlreich suchen sie Arbeit bei der Heuernte, Tausende auch in den Goldwäschen. Zwar bleiben auch diese Kirgisen Nomaden und wenden sich stets wieder nach der Heimat zurück; aber ihre außerhalb der Steppe gebornen Kinder tragen schon halbrussische Kleidung, lassen die Haare [* 17] wachsen und pflegen sich als Diener oder Arbeiter fest niederzulassen.
Ganz russifizierte nehmen selbst das Christentum an und leben dann außerhalb der Steppe meist als Landbauer. Anderseits übertragen sie ihre Stammeseigentümlichkeiten auf die kleinen Kosakenkolonien am Rande der Steppe: die Kosaken tragen das Oberkleid durchschnittlich nach kirgisischem Schnitt, reiten nach Art der Kirgisen und sprechen häufig besser kirgisisch als russisch. 1824 begann die russische Regierung die bisher nur dem Namen nach bestandene Unterwürfigkeit dieser Nomaden zur Wahrheit zu machen. - Mit dem Namen Dschatakkirgisen bezeichnet man ansässige Kirgisen; dieselben wohnen in allen Städten, Dörfern oder Kosakenstanizen des westlichen Sibirien, sprechen alle russisch und verheiraten ihre Töchter nur ungern an Steppenkirgisen.
Sobald sie etwas Geld verdient haben, fangen sie gern an, Handel zu treiben, zu welchem Zweck sie bei tatarischen Kaufleuten in die Lehre [* 18] gehen. Die über dieser Beschäftigung tatarisierten Kirgisen erhalten den Namen Tschala-Kassak, d. h. Halbkirgise oder unvollkommener Kirgise.
Vgl. Göbel, Reise in die Steppe der Kirgisen (Dorpat [* 19] 1837);
v. Helmersen in den »Beiträgen zur Kenntnis des russischen Reichs etc.«, herausgegeben von v. Baer etc., Bd. 5 u. 6 (Petersb. 1841, 1843);
A. de Levchine, Description des hordes et des steppes des Kirghiz-Kazaks (a. d. Russ., Par. 1840);
v. Köppen und Stein (in »Petermanns Mitteilungen« 1858) und Radloff (ebendas. 1864);
Atkinson, Oriental and Western Sibiria (Lond. 1857);
Schott, Über die echten Kirgisen (Berl. 1864);
Zaleski, La vie des steppes Kirghizes (Par. 1865);
Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzlande (a. d. Russ., Leipz. 1874);
Finsch, Reise nach Westsibirien (Berl. 1879);
Lansdell, Russisch-Zentralasien (a. d. Engl., Leipz. 1885);
Radloff, Aus Sibirien, Bd. 1 (das. 1884);
Derselbe, Kirgisische Mundarten (Petersb. 1870);
Derselbe, Der Dialekt der Karakirgisen (das. 1886);