Kirchmann
,
Julius von, publizistischer und philosoph. Schriftsteller, geb. zu Schafstädt bei Merseburg, [* 2] studierte die Rechte zu Leipzig [* 3] und Halle, [* 4] wurde 1828 Gerichtsassessor in Naumburg, [* 5] 1834 Kriminalrichter in Halle, 1835 Gerichtsdirektor in Querfurt und 1846 erster Staatsanwalt bei dem Berliner [* 6] Kriminalgericht. Seit 1848 fungierte er in gleicher Wirksamkeit bei dem Kammergericht zu Berlin [* 7] und wurde hier zum Abgeordneten in die preußische Nationalversammlung gewählt. Er nahm seinen Sitz im linken Zentrum, wurde aber bald als Vizepräsident des Appellationsgerichts nach Ratibor [* 8] versetzt, womit sein Mandat erlosch. Im Juli 1848 erschien er, von dem Kreis [* 9] Tilsit [* 10] gewählt, wieder in der Nationalversammlung und fungierte bei dem Antrag auf Steuerverweigerung als Berichterstatter.
Wegen
Ablehnung der
Anklage gegen den
Frankfurter Abgeordneten
Grafen
Reichenbach
[* 11] wurde er 1850 einem Disziplinarverfahren unterworfen;
von 1856 bis 1863 beurlaubt, blieb er bis 1867 in seiner
Stellung zu
Ratibor. Ein
Vortrag im
Berliner
Arbeiterverein über die
Notwendigkeit der Bevölkerungseinschränkung gab, als gegen die sittlichen Prinzipien verstoßend,
die Veranlassung zu seiner disziplinarischen Amtsentsetzung ohne
Pension. Kirchmann
lebte seitdem in
Berlin, teils philosophischen
Studien, teils politischer Thätigkeit als
Abgeordneter zum preußischen
Landtag und deutschen
Reichstag sich widmend. Er starb Seine
schriftstellerische Thätigkeit galt ursprünglich der
Jurisprudenz, in deren
Kreisen das
Pamphlet: »Die
Wertlosigkeit der
Jurisprudenz als
Wissenschaft« (1.-6. Aufl. Berl. 1848) besonderes Aufsehen
machte. Als philosophischer Schriftsteller trat Kirchmann
mit einer
»Philosophie des
Wissens« (Berl. 1864, Bd.
1) sowie einer anregenden
Schrift: Ȇber
Unsterblichkeit« (das. 1865),
und einer
»Ästhetik auf realistischer Grundlage« (das.
1868, 2 Bde.) auf. Grundlage derselben ist ein
Realismus, welcher im
Gegensatz zum
Idealismus am
Realen, im
Gegensatz zum
Materialismus am
Idealen, im
Gegensatz zur Identitätsphilosophie
am Unterschied zwischen
Wissen und
Sein festhält, zwischen welch letztern die (sinnliche)
Wahrnehmung und das daran sich anschließende
Denken die
Brücke
[* 12] bilden soll. Als
Herausgeber der unter dem
Titel: »Philosophische
Bibliothek« seit 1868 erschienenen
Sammlung der Hauptwerke der
Philosophen alter und neuer Zeit hat Kirchmann
Schriften von
Aristoteles,
Bacon,
Grotius,
Hume,
Leibniz und
Spinoza übersetzt und kommentiert und besonders eine
Ausgabe der Werke
Kants mit
Erläuterungen (8 Bde.) veröffentlicht.
Auch übersetzte er Hobbes »De cive« (Leipz. 1873). Von seinen kleinern Schriften sind noch zu erwähnen: »Die Grundbegriffe des Rechts und der Moral« (Leipz. 1873);
»Katechismus der Philosophie« (das. 1877, 2. Aufl. 1881);
»Zeitfragen und Abenteuer« (das. 1881);
»Die Lehre [* 13] vom Wissen als Einleitung in das Studium der Philosophie« (4. Aufl., Heidelb. 1886);
mehrere Vorträge (»Über die Wahrscheinlichkeit«, Leipz. 1878; »Die besondere Natur des öffentlichen Rechts«, Berl. 1881; »Über den Kommunismus in der Natur«, 3. Aufl., Leipz. 1882).
Vgl. Lasson und Meineke, J. H. v. als Philosoph (Halle 1885).