Kirchentöne
,
die verschiedenen möglichen Oktavteilungen der
Grundskala, welche in der Zeit der einstimmigen (homophonen)
Musik sowie auch noch in der
Blütezeit des
Kontrapunkts (der polyphonen
Musik) als besondere
Tonarten oder
Tongeschlechter, wie
jetzt unser
Dur und
Moll, angesehen wurden. Die
Entwickelung der harmonischen
Musik, die
Erkenntnis der Bedeutung der
konsonanten
Akkorde
(Dreiklänge) und ihre
Stellung in der
Tonart
(Tonika,
Dominanten,
Medianten) mußte die Kirchentöne
beseitigen und zur
ausschließlichen
Aufstellung der beiden
Tongeschlechter
Dur und
Moll führen.
Der
Name Kirchentöne
stammt daher, daß die mittelalterlichen Theoretiker, welche ausnahmslos dem geistlichen
Stand angehörten, die
Musiklehre durchaus nach diesem von den Griechen überkommenen
Schema abhandelten und nach ihm die
Gesänge
des Gregorianischen
Antiphonars klassifizierten; die
Aufstellung der Kirchentöne
wurde sogar auf
Gregor I. selbst zurückgeführt und
dadurch eine strenge Diatonik sozusagen kirchlich sanktioniert, nachdem das griechische Musiksystem in
Chromatik und
Enharmonik
entartet war. Die ältesten Schriftsteller, die von den Kirchentönen
reden (Flaccus Alcuin im 8. Jahrh.,
Aurelianus Reomensis im 9. Jahrh.), wissen von ihrem Zusammenhang mit der griechischen
Musik nichts und numerieren sie einfach als 1.-8.
Ton oder als 1.-4. authentischen und 1.-4. plagalen (s. unten). Erst bei
Hucbald (gest. 932) tauchen für die Kirchentöne
dieselben
Namen auf, welche die Oktavengattungen bei den Griechen
¶
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hatten, aber in verkehrter Anwendung, wie sie sich bis auf den heutigen Tag gehalten haben. Über die Bedeutung der Namen bei den Griechen vgl. Griechische Musik (Oktavengattungen).
Die Kirchentöne
waren:
1) Der erste Kirchenton oder erste authentische (Authentus protus) DEFGa^cd (unser: d e fgahc'd'), seit Hucbald der dorische Ton genannt.
2) Der zweite oder plagale erste (Plagius proti, plaga proti, lateralis, subsugulis proti) ABCDEFGa (= AHcdefga), der hypodorische Ton.
3) Der dritte oder zweite authentische (Authentus deuterus) EFGa^cde(=efgahc'd' e'), der phrygische Ton.
4) Der vierte oder plagale zweite (Plagius deuteri) BCDEFGa^ (=Hcdefgah), der hypophrygische Ton.
5) Der fünfte oder dritte authentische (Authentus tritus) FGa^cdef(= fgahc'd'e'f'), der lydische Ton.
6) Der sechste oder plagale dritte (Plagius triti) CDEFGa^c (=cdefgahc'), der hypolydische Ton.
7) Der siebente oder vierte authentische (Authentus tetartus) Ga^cdefg (= gahc'd'e'f'g'), der mixolydische Ton.
8) Der achte oder plagale vierte (Plagius tetarti) DEFGa^cd (=defgahc'd'), der hypomixolydische Ton (seit dem 11. Jahrh.). Die plagalen Töne (2. 4. 6. 8.) galten als bloße Verschiebungen der authentischen, sie hatten den Hauptton (Schlußton, Finalis) nicht als Grenzton der Oktave, sondern in der Mitte, als vierten Ton; Finalis des 1. und 2. Tons ist also D, des 3. und 4. E, des 5. und 6. F, des 7. und 8. G. Der 8. und 1. sind deshalb keineswegs identisch. Keiner der vier authentischen Töne hat den Schlußton C oder A; es fehlen daher die beiden Tongeschlechter, welche heute die einzigen sind: (C) Dur und (A) Moll.
Das 16. Jahrh., welches zuerst die Prinzipien der Harmonie begriff (vgl. Zarlino) und den Weg zu den modernen
Tonarten fand, stellte deshalb zwei neue authentische Töne nebst ihren plagalen auf, den ionischen cdefgahc' und äolischen
ahc'd'e'f'g'a', resp. hypoionischen GAHcdefg und hypoäolischen efgahc'd'e'; so daß nun 12 Kirchentöne
existierten
(vgl. Glareanus). Das Beste über die harmonische Behandlung der Kirchentöne
im 16.-17. Jahrh.
hat Kirchentöne
v. Winterfeld im 2. Band
[* 3] seines Werkes »Johannes Gabrieli und sein Zeitalter« (1834) geschrieben.