Kirchenjahr
,
im Unterschiede vom bürgerlichen Jahr derjenige ein Jahr umfassende Zeitraum, in
dem die christl. Gemeinde den ganzen
Umfang ihres gottesdienstlichen Lebens entfaltet und feiernd darstellt. Nach mancherlei
Schwankungen in den ersten christl. Jahrhunderten (s. Festtage und
Kultus) hat das Kirchenjahr
folgende Gestalt gewonnen. Es beginnt mit dem ersten Adventsonntage und zerfällt
in die festliche und die sog. festlose Hälfte. Die festliche Zeit hat drei
Festkreise oder Festcyklen: den Weihnachts-,
Oster- und
Pfingstkreis, die das betreffende Hauptfest mit dessen Vor- und Nachzeiten
umfassen und zusammen das Leben Christi nach seiner zeitlichen
Entwicklung zur
Darstellung bringen.
Der Weihnachtskreis beginnt mit der Adventszeit (s. Advent), deren Grundgedanke die Vorbereitung auf Christum ist, und gipfelt im Weihnachtsfeste, dem Geburtsfest Christi, an das sich am 1. Jan. das Fest der Beschneidung Christi, als Zeichen der Zugehörigkeit desselben zum Volke Israel, und am 6. Jan. Epiphania (s. d.) mit der Beziehung auf die Bestimmung Christi für die Heidenwelt und auf dessen Weihe zum Erlöseramte durch die Taufe anschließen. Die folgenden, wenigstens zwei, höchstens sechs, Sonntage nach Epiphania nebst den Sonntagen Septuagesimae und Sexagesimae sind der Erinnerung an den ersten Hauptteil der öffentlichen Wirksamkeit Jesu gewidmet, und der Sonntag Quinquagesimä (Estomihi), der letzte dieses oder nach anderer Zählung der erste des nächsten Kreises (zu dem manche übrigens auch schon Septuagesimae und Sexagesimae rechnen), bildet mit der Verkündigung des Leidens Jesu den Übergang zum zweiten Festkreise. Denn dieser, der Osterkreis, beginnt mit der Fastenzeit (s. Quadragesimalfasten), die auch in der evang. Kirche nach Aufhebung der Fasten die bestimmte Beziehung auf das Leiden [* 2] Christi behauptet hat (Passionszeit). Zu ihr gehören die Sonntage Invocavit, Reminiscere, Oculi, Laetare,
Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen. ¶
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Judica, Palmarum (s. die Einzelartikel). Der letztere, als Tag des Einzugs Jesu in Jerusalem, [* 4] eröffnet die Leidens- oder Karwoche, die nach dem Gründonnerstag (s. d.) im Karfreitag (s. d.) gipfelt und mit dem Karsamstag (Stillen Sonnabend), als der Zeit der Grabesruhe und des Hingangs Jesu in das Reich der Toten, abschließt und Ostern, das Siegesfest über Leiden und Tod, vorbereitet. Die Zeit vom nächsten Sonntag bis zum Trinitatissonntag bildet den Pfingstkreis.
Dieser gilt der Feier des auferstandenen Christus und seiner fortdauernden Wirksamkeit für die Gemeinde. Ihm gehören die
Sonntage Quasimodogeniti, Misericordias Domini, Jubilate, Cantate, Rogate und Exaudi an. Vor dem letztgenannten, 40 Tage
nach Ostern
(Apostelgesch. 1, 3),. liegt das Fest der Himmelfahrt Jesu, 10 Tage nach diesem Pfingsten, das Fest der Ausgießung
des Heiligen Geistes. Der nächste Sonntag faßt als Trinitatisfest oder Fest der heiligen Dreieinigkeit den Inhalt der drei Festkreise,
d. h. die Liebe Gottes, der als Vater den Sohn zum Erlösungswerke sendet, als Sohn dasselbe vollbringt
und als Heiliger Geist es den Gläubigen zueignet, in eins zusammen und schließt so mit dem Pfingstkreise zugleich die festliche
Hälfte des ab. Dessen zweite Hälfte, ohne kirchliche Hauptfeste, hat in ihren Sonntagsgottesdiensten die Entfaltung des
Lebens Christi in der Gemeinde, d. h. das christl.
Leben nach seiner Bethätigung und Bewährung in dem mannigfaltigen Reichtum der irdischen Verhältnisse zur Darstellung zu
bringen. Was diesen wenigstens 23, höchstens 27 Sonntagen nach Trinitatis oder Trinitatissonntagen an festlicher Weihe abgeht,
wird ersetzt durch das immer aufs neue angeregte Bewußtsein der Gemeinde, daß der christl. Glaube dem ganzen
Leben eine himmlische Weihe giebt. - In der griech. Kirche beginnt das Kirchenjahr
mit dem Feste Epiphania, in England mit Mariä Verkündigung
(25. März). -
Vgl. Bobertag, Das evangelische Kirchenjahr
(Bresl. 1853);
Alt, Der christl. Kultus, 2. Abteil. (Berl. 1860);
F. A. Strauß, [* 5] Das evangelische in seinem Zusammenhange dargestellt (2. Aufl., ebd. 1891).