Kirchenbuße
,
s. Buße.
Kirchenbuße
659 Wörter, 4'667 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Kirchenbuße,
s. Buße.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Kirchenbuße,
Bezeichnung der Genugthuungen und Strafen, welchen Christen, die wegen grober Vergehungen aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen waren, sich unterwerfen mußten, um wieder absolviert und in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen zu werden (s. Absolution). Im 3. Jahrh. hatten die Gefallenen, bevor sie die Wiederaufnahme erhalten konnten, vier Bußgrade (Bußstationen) zu bestehen:
1) Das Weinen und Flehen (proclausis), wobei die Gefallenen in Trauerkleidern an den Eingängen der Kirche stehen und die Ein- und Ausgehenden um Verzeihung und um Wiederaufnahme anflehen mußten.
2) Das Zuhören in der Kirche (acroasis), wobei die Gefallenen zwar in der innern Vorhalle der Kirche stehen und das Vorlesen biblischer Abschnitte und die Predigt mit anhören konnten, beim Gebete aber die Kirche verlassen mußten, eine Buße, die gewöhnlich drei Jahre dauerte.
3) Das Knien beim Gebet (hypotosis). Diese Buße dauerte oft noch länger; das Nicänische Konzil bestimmte sie sogar auf sieben Jahre. Die Gefallenen durften hier zwar dem Gottesdienste mit Ausschluß des Abendmahls beiwohnen, mußten aber beim Gebet und bei der Austeilung des Segens niederknien. Durften sie endlich wieder bei der Feier der Sakramente gegenwärtig sein (systasis), so erfolgte 4) mit dem öffentlichen Ablegen des Sündenbekenntnisses die Absolution durch den Bischof, gewöhnlich in der Karwoche.
Außer den sittlichen Vergehungen wurde seit der Ausbildung des kirchlichen Dogmas auch die Abweichung
von der «rechten Lehre»
[* 2] als Todsünde betrachtet und mit strenger Kirchenbuße
geahndet. Auch im Abendlande, besonders in der angelsächsisch-irischen
und dann durch Columban in der fränk. Kirche, gewann diese Bußdisciplin Verbreitung und wirkte anfangs sehr segensreich gegen
die sittliche Verwilderung und den heidn. Aberglauben. Bald aber entartete die ganze Einrichtung in bedenklichster
Weise und geriet dann gänzlich in Verfall. An ihrer Stelle bildete sich im Abendlande allmählich die Praxis, daß alle Sünden
ohne Unterschied dem Priester insgeheim gebeichtet und als Zeichen der Reue gewisse Leistungen übernommen werden mußten,
wie Gebet, Fasten, Almosen u. s. w. (S. Buße.) Als sich das Klosterwesen entwickelte, gehörte auch der
Eintritt in ein Kloster und die Übernahme klösterlicher Übungen zur Kirchenbuße.
Bald genug wurden diese Kirchenstrafen als förmliche
Genugthuung für die begangene Schuld und als Bedingung der göttlichen Sündenvergebung betrachtet. (S. Ablaß und Absolution.)
Seit dem 11. Jahrh. wurden zu den härtern Kirchenbuße
besonders Wallfahrten nach Rom
[* 3] oder Palästina
[* 4] gerechnet.
In der Lehre der kath. Kirche vom Bußsakrament bildet die Übernahme der Kirchenbuße
das dritte Stück, die sog. satisfactio operis,
welche von dem Priester auferlegt wird und in den schon erwähnten äußern Leistungen besteht, zu denen noch allerlei andere
Pflichten, wie die Verehrung der geweihten Hostie zu gewissen Tagen, Geschenke an Kirchen und Klöster
u. s. w. treten. Für Geistliche besteht die Kirchenbuße
meist in Klosterhaft, verbunden
mit strengen Fasten, eine Strafe, die dort, wo der Katholicismus durch die Staatsgewalt unterstützt wird, namentlich den der
Hinneigung zu ketzerischen Meinungen verdächtigen Priestern auferlegt wird.
Die protestantische Kirche verwarf zwar die Buße im Sinne der kath. Kirche, behielt aber die Kirchenbuße
mit Ausschließung
vom Abendmahl oder aus der kirchlichen Gemeinschaft (s. Kirchenbann) bei; die reform. Kirche handhabte sie unter dem Einflusse
Calvins viel strenger als die lutherische. Namentlich unterlagen ihr fleischliche Vergehen. Während der, welcher Kirchenbuße
thun mußte,
am Altar
[* 5] kniete, wurde sein Vergehen der versammelten Gemeinde bekannt gemacht. Dann mußte er sich öffentlich
als einen Sünder bekennen, und nun erst empfing er die Absolution, worauf er das Abendmahl meist allein feierte. Diese Art der
Kirchenbuße
besteht noch in Schweden,
[* 6]
Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen. ¶
in strenger Weise auch bei den Herrnhutern, Mennoniten und Socinianern, etwas milder bei den Quäkern. In Deutschland [* 8] war im 19. Jahrh. die in der evang. Kirche so gut wie ganz verschwunden. Durch die neueste Entwicklung, insbesondere durch die von Reichs wegen erfolgte Aufhebung des Taufzwanges und der kirchlichen Eheschließung hat sich auch in der evang. Kirche die Überzeugung mehr und mehr festgestellt, daß eine Wiederherstellung der Kirchendisciplin zur Aufrechthaltung der kirchlichen Ordnung, besonders in Bezug auf Taufe und kirchliche Trauung (s. d.), notwendig sei. Demgemäß sind mehrfach neuere Vorschriften hierüber erlassen worden. (S. Kirchenstrafen und Kirchenzucht.)