Kinētische
Gastheorie
, auch
dynamische Gastheorie, die
Anschauung, daß der gasförmige
Aggregatzustand darin besteht,
daß die Gasmoleküle
sich in fortschreitender
Bewegung befinden.
Gay-Lussac und Joule haben gezeigt, daß ein
Gas, das aus
einem
Gefäß
[* 2] in ein leeres überströmt, also ohne einen
Widerstand zu überwinden und
Arbeit zu leisten,
keine Temperaturänderung erfährt. Nimmt man an, daß die Wärme
[* 3] des
Gases in der kinetischen
Energie der
Moleküle liegt,
so ändert sich also letztere bei dem erwähnten Vorgang nicht, es können also keine Kräfte wirksam gewesen sein, welche
die
kinetische Energie vermehrt oder vermindert hätten.
Demnach erscheint auch die ältere
Vorstellung, nach der sich die
Moleküle des
Gases abstoßen, woraus
eben die Expansivkraft hervorgehen soll, nicht haltbar.
Daniel
Bernoulli, Krönig,
Clausius u.a. stellen sich die Gasmoleküle
mit großen
Geschwindigkeiten fortschreitend bewegt vor und leiten den Druck auf die Gefäßwände von den zahlreichen
Stößen
der
Moleküle her. Die
Bahnen der
Moleküle sind nach
Clausius geradlinig, da wegen der geringen
Dichte des
Gases die
Moleküle relativ sehr weit voneinander entfernt sind und daher keine Kräfte wirksam sind.
Nur wenn ein Molekül an die Wand oder gegen ein anderes Molekül stößt, ändert sich die Bewegungsrichtung plötzlich, sodaß Zickzackbahnen entstehen. Denkt man sich n Moleküle von der Geschwindigkeit u und der Masse m in einem Würfel vom Volumen v, also von der Seite 3√v bewegt und zwar je n/3 Moleküle parallel einer Würfelseite, so ist die Stoßzahl dieser n/3 Moleküle auf eine Würfelfläche 1/2·n/3·u/3√v in der Sekunde und daher die auf die Wand in der Sekunde übertragene Bewegungsgröße 1/2·n/3·u/3√v·2mu, die zugleich den Druck p·3√v·3√v auf die Wandfläche vorstellt, wenn p der Druck auf die Flächeneinheit ist.
Hieraus folgt 3/2·p·v=(n·m·u²)/2, was dem
Mariotte-Gay-Lussacschen Gesetz entspricht, wenn die (rechts stehende)
kinetische Energie
proportional der absoluten
Temperatur gesetzt
wird. Die
Geschwindigkeiten, die man den Gasmolekülen
nach
dieser
Theorie zuschreiben muß, lassen sich aus der letzten Formel ersehen. Dieselben sind bei 0° C. für Sauerstoff 461,
Stickstoff 492,
Wasserstoff 1844
m in der Sekunde. Ein
Gas stellt sich nach dieser
Theorie als eine Staubwolke von nicht zusammenhängenden,
sich regellos in Zickzacklinien durcheinander bewegenden
Molekülen dar. Das von Dalton gefundene Gesetz,
nach dem sich bei der Diffusion,
[* 4] Mischung,
Absorption zwei verschiedene
Gase
[* 5] wie leere Räume gegeneinander verhalten, wird
hierdurch verständlich. (S. Daltonsches Gesetz und Diffusion der
Gase.) –
Vgl. O. E.
Meyer, Die kinetische
Theorie der
Gase
(Bresl. 1877);
van der Waals, Die Kontinuität des gasförmigen und flüssigen Zustandes (deutsch von Roth, Lpz. 1881).