Titel
Kindesmord
(Kindestötung, Infanticidium), die vorsätzliche Tötung eines unehelichen Kindes durch dessen Mutter in oder gleich nach der Geburt. Während die frühere Gesetzgebung und namentlich die peinliche Gerichtsordnung Karls V. (die sogen. Carolina) den als Mord bestrafte, zog die gemeinrechtliche Praxis und die moderne Gesetzgebung die besondern Thatumstände dieses Verbrechens in mildernde Berücksichtigung, namentlich die Aufregung der Mutter zur Zeit der That, die Furcht vor Entdeckung ihres Fehltritts und vor einer traurigen Zukunft und das noch unentwickelte Bewußtsein des Neugebornen, den die Mutter noch mehr als einen Teil ihrer eignen Existenz denn als selbständige Persönlichkeit zu betrachten geneigt ist.
Dagegen unterscheidet das englische
Recht ebensowenig wie das französische den Kindesmord
von den sonstigen
Fällen des
Mordes und
bestraft denselben daher wie den
Mord mit dem
Tod. Nach dem deutschen
Strafgesetzbuch ist der
Thatbestand
der Kindestötung folgender:
1) Objekt des Verbrechens ist ein uneheliches Kind; sei es auch von einer Ehefrau, jedoch im Ehebruch, empfangen und geboren. Dasselbe muß aber gelebt haben, gleichviel, ob es zum Fortleben geeignet war. Ob dies der Fall gewesen, ist nötigen Falls durch Sachverständige, namentlich durch Anwendung der sogen. Lungenprobe (s. d.), festzustellen.
2) Subjekt der That kann nur die außereheliche Mutter selbst sein, indem bei andern Thätern, Anstiftern oder Gehilfen jene oben hervorgehobenen mildernden Umstände nicht in Anbetracht kommen, daher für diese lediglich die Strafbestimmungen über Mord und Totschlag maßgebend sein können.
3) Die
Handlung selbst muß vorsätzlich geschehen; bei fahrlässiger Kindestötung sind die
Grundsätze
über fahrlässige
Tötung überhaupt entscheidend; sie muß auch in oder gleich nach der
Geburt geschehen.
Manche
Strafgesetzbücher,
z. B. das thüringische, hatten in letzterer Beziehung einen bestimmten Zeitraum, die nächsten 24
Stunden nach der
Geburt,
angenommen. Das
Reichsstrafgesetzbuch stellt jedoch keine solche
Grenze auf; die That wird als Kindesmord
bestraft,
wenn sie in oder gleich nach der
Geburt, d. h. solange noch die
oben bezeichneten, mit der
Geburt zusammenhängenden Umstände
andauern, begangen wird. Die
Strafe der Kindestötung ist eine geringere als die des
Mordes und des
Totschlags, nämlich Zuchthausstrafe
von 3-15
Jahren und, wenn
mildernde Umstände vorhanden, Gefängnis von 2-5
Jahren. Auch der
Versuch wird
bestraft.
Vgl.
Deutsches
Strafgesetzbuch, § 217, 43 ff.; v.
Fabrice, Die
Lehre
[* 2] von der
Kindesabtreibung und vom Kindesmord
(Erlang. 1868).