Kind
(infans), das menschliche Individuum von seiner
Geburt an bis zum Eintritt der geschlechtlichen
Entwicklung. Das
Kind es alter oder die Kindheit
(infantia, aetas infantilis) läßt sich in mehrere
Abschnitte oder Epochen
einteilen, in das
Alter des Neugeborenen, die ersten 6-8
Tage nach der
Geburt bis zum
Abfall der Nabelschnur umfassend, in das
Säuglingsalter, die ersten 9-12
Monate in sich begreifend und bis zum Entwöhnen
¶
mehr
des Kindes
von der Mutterbrust reichend; in das eigentliche Kindesalter vom Zahnausbruch bis zum Zahnwechsel (Milchzahnperiode,
vom Ende des 1. bis zum 7. Jahre), und in das Knaben- und Mädchenalter, vom Zahnwechsel bis zur Pubertätsentwicklung, die
in Mitteleuropa bei Knaben um das 16. bis 18. Jahr, bei Mädchen schon um das 14. bis 16. Jahr erfolgt.
(S. Pubertät.)
Mit der Geburt des Kind
tritt eine völlige Umgestaltung der Lebensthätigkeit ein. Während der Fötus das Ernährungsmaterial
vom mütterlichen Organismus fertig zugeführt erhält, beginnt beim Neugeborenen mit dem Moment der Geburt die selbständige
Respiration sowie die mit der Unterbrechung des Placentarkreislaufs gegebene Umgestaltung des gesamten
Kreislaufs, und die selbständige Ernährung durch Nahrungsaufnahme in den Verdauungskanal, Verdauung und Aufsaugung der Nahrungsstoffe.
Ferner befindet sich das geborene Kind
nicht mehr in einem gleichmäßig warmen Raume von der Temperatur seines eigenen Körpers,
sondern es muß für die Regulierung zwischen der Wärmeerzeugung und Wärmeabgabe selbst sorgen. Die
für das Leben wichtigen Organe haben im Neugeborenen, welcher im Durchschnitt eine Körperlänge von 50 cm und ein Gewicht
von 3 bis 3,5 kg besitzt, bereits eine hohe Ausbildung erlangt. Das Gehirn
[* 3] und Rückenmark beträgt ein Achtel bis ein Siebentel
des Körpergewichts, beim Erwachsenen nur ein Fünfundvierzigstel; das Herz, die Leber sind gleichfalls
verhältnismäßig größer, während die untergeordnetern Organe (Muskulatur, Extremitäten u. s. w.)
noch weit zurückgeblieben sind; die Herzthätigkeit ist sehr lebhaft, im Durchschnitt macht das Herz 140 Schläge in der Minute.
Einzelne Verdauungsorgane zeigen sich noch nicht so ausgebildet wie bei ältern Individuen; so sind z. B. die Speicheldrüsen noch nicht in Thätigkeit; es werden noch keine Stärkemehl verdauenden Fermente gebildet. Den Sinnesorganen (Gesicht, [* 4] Gehör) [* 5] fehlt die nötige Übung; am meisten entwickelt scheint noch der Geschmackssinn zu sein. Das Blut des Neugeborenen ist reicher an festen Bestandteilen, besonders an Blutkörperchen, [* 6] Eisen [* 7] und Extraktivstoffen, als das der Erwachsenen, dagegen ärmer an Fibrin und Salzen; seine Gesamtmenge beträgt nur ein Neunzehntel, nicht wie beim Erwachsenen ein Dreizehntel des Körpergewichts. Das Körperwachstum ist in der ersten Lebenszeit nach der Geburt am lebhaftesten. Im ersten Jahre verdreifacht sich das Körpergewicht (bis auf 10 kg), sodaß es später nie mehr um so viel zunimmt.
Die geistige Thätigkeit des Neugeborenen ist auf das geringste Maß beschränkt; es giebt nur Zeichen
des Behagens und Unbehagens von sich. Erst etwa von der 10. Woche an schenkt das Kind
einzelnen Gegenständen seine
Aufmerksamkeit, und vom 5. bis 6. Monat an erkennt es seine Umgebung mit Sicherheit. Im 6. bis 9. Monat
treten die ersten Zähne
[* 8] Milchzähne) auf (s. Zahn und Zahnen der Kinder). Um das Ende des 1. oder im Anfange des 2. Jahres sind
die Kind
im Gebrauch ihrer Muskeln
[* 9] so weit fortgeschritten, daß sie allein stehen können und Gehversuche machen; um die Mitte
des 2. Jahres lernt auch das Kind
allmählich seine Sprechorgane gebrauchen.
Das Wachstum ist noch lebhaft, das Knochensystem noch unvollkommen entwickelt, die Enden (sog. Apo- oder Epiphysen) der langen
Röhrenknochen noch durch Knorpel
[* 10] mit dem Mittelstück, der sog. Diaphyse, verbunden; ebenso bestehen die
meisten platten
Knochen
[* 11] (Becken, Kopfknochen) aus mehrern durch Knorpelmasse verbundenen Stücken. Der Stoffumsatz ist bei
den Kind
während der ganzen Wachstumsperiode bedeutender als bei dem Erwachsenen für gleiches Körpergewicht.
Allen Fleiß und die größte Sorgfalt hat man auf die Ernährung und körperliche Reinhaltung des Kind
zu richten, und den verkehrten
Maßregeln in dieser Hinsicht ist es zum Teil zuzuschreiben, daß von 100 Kind
25 vor Erreichung des ersten
Lebensjahres sterben. Die beste Nahrung für das Kind
ist die Milch der Mutter; bei Ammenmilch gedeihen die Kind
schon weniger
gut, indes viel besser noch als bei künstlicher Ernährung. (S. Kinderernährung.) Geringe Verdauungsstörungen verursachen
leicht Durchfälle, und diese erweisen sich den Kind
höchst mörderisch.
Mangelhafte Ernährung führt auch oft Knochenkrankheiten (Englische Krankheit), [* 12] Skrofulose sowie Tuberkulose herbei. Werden die Kind unsauber gehalten, so bekommen sie leicht Hautausschläge, selbst Hautgeschwüre; Feuchtigkeit in den Hautfalten (Schenkelfalten) macht die Haut [* 13] leicht wund (Zinksalbe). Aphthen oder Schwämmchen (s. d.) in der Mundhöhle [* 14] sind häufige Folgen der Unreinlichkeit (Saugbeutel). Schon bei leichten Unpäßlichkeiten (Verstopfung) bekommen Kind leicht Krämpfe, die indes selten von großer Bedeutung und leicht zu heben sind. Ferner sind wirkliche Nervenkrankheiten (Gehirnentzündung) nicht selten. Werden die Kind, bevor ihr Muskel- und Knochensystem kräftig genug, häufig aufrecht getragen, so tritt leicht bleibende Verkrümmung der Wirbelsäule ein.
Die geistige Entwicklung erfährt vom 2. Jahre an einen lebhaften Aufschwung. Schon früh soll man den Geist und das Gemüt des Kind ausbilden, ohne indes das Kind mit Arbeit zu belästigen; der anstrengende systematische Unterricht soll solange als möglich (bis in das 7. Jahr) aufgeschoben werden.
Aus dem Schulbesuch drohen dem Kind eine Reihe von Gefahren, deren Wichtigkeit erst in der neuesten Zeit hinreichend gewürdigt wurde. Daher bildet neuerdings die Anlage, Einrichtung und Beaufsichtigung der Schulen einen wichtigen Teil der öffentlichen Gesundheitspflege. (S. Schulhygieine.)
Litteratur. Bednar, Kinderdiätetik oder Pflege der in den ersten Lebensjahren (Wien [* 15] 1857);
Ploß, Das in Brauch und Sitte der Völker (2. Aufl., Stuttg. 1884);
Krug, Die Kindererziehung für das erste Lebensjahr (2. Aufl., Lpz. 1884);
Fürst, Das und seine Pflege im gesunden und kranken Zustande (3. Aufl., ebd. 1886);
Preyer, Die Seele des Kind (3. Aufl., ebd. 1890);
Ammon, [* 16] Die ersten Mutterpflichten und die erste Kindespflege (33. Aufl. von Winckel, ebd. 1892);
Brücke, [* 17] Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner K.? (4. Aufl., Wien 1892);
Bock, [* 18] Das Buch vom gesunden und kranken Menschen (15. Aufl., bearbeitet von M. von Zimmermann, Lpz. 1892-93);
Preyer, Die geistige Entwicklung in der ersten Kindheit (Stuttg. 1893).
Im rechtlichen Sinne heißt Kind zunächst eine Person, welche im Kindesalter steht (s. Alter und Minderjährigkeit), dann aber auch eine Person im Verhältnis zu den Eltern (s. d.). Das geltende Recht spricht aber auch nicht selten von Kind im Sinne von Abkömmlingen (s. d.). über uneheliche oder außereheliche s. Uneheliche Kinder. Wegen des Sprichwortes «Kind folgt der ärgern Hand» [* 19] s. Ärgere Hand.
^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.] ¶