Kasuistik
(lat.), früher eine Wissenschaft, die sich mit den Grundsätzen beschäftigte, nach welchen schwere Gewissensfälle, die sogen. Casus conscientiae, ¶
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besonders wo eine Kollision der Pflichten eintritt, zur Beruhigung des Gewissens entschieden werden sollten. Die ersten Spuren
der Kasuistik
, von Kant die »Dialektik des Gewissens« genannt, finden sich bei den Stoikern und den Talmudisten. Im Mittelalter teilte
man die Kasuistik
, welche Zweifel und Bedenklichkeiten über den Glauben sowie die Frage nach der Pflichtmäßigkeit
oder Pflichtwidrigkeit gewisser Handlungen zu lösen suchte, in drei Teile: eine philosophische Kasuistik
, welche nach den Moralgesetzen
der Vernunft unter streitenden Pflichten für die höchste und unerläßlichste entschied, eine theologische oder religiöse
Kasuistik
, welche die kirchliche Sittenlehre als göttliches Gesetz zu Grunde legte, und eine juristische Kasuistik
, welche
(im Gegensatz zur dogmatischen Methode) nach den im Staat gültigen Rechtsgesetzen entschied, indem sie die nach der verschiedenen
Beschaffenheit der Umstände modifizierte Anwendung derselben zu ermitteln suchte. Die bekannteste der kasuistischen
Schriften des Mittelalters ist die »Summa« des Raimundus de Pennaforte. Besonders galten die Jesuiten als eifrige Kasuisten;
Escobar, Sanchez, Busembaum u. a. stellten schwierige Kollisionsfälle auf und erteilten für dieselben
spitzfindig ausgesonnene Ratschläge, welche nicht immer mit dem Sittengesetz harmonierten.