Kaspisches
Meer (Kaspisee), der größte Binnensee der
Erde, auf der Grenzscheide
Europas und
Asiens, vom
Astura- im
SW.
bis zum Atrekfluß im SO. von
Persien,
[* 3] sonst von russischen
Landschaften umschlossen, ist von N. nach S. 1224 km
lang, 185-450 km breit, hat einen Küstenumfang von 6380 km und bedeckt ohne die
Inseln einen Flächenraum von 439,418 qkm
(7980,7 QM.). Merkwürdig ist die tiefe
Lage des
Kaspischen
Meers; es füllt nämlich die tiefste
Stelle
einer
Senkung der Erdoberfläche aus, die unter dem
Niveau des Meer
esspiegels liegt.
Diese ganze Vertiefung (Aralo-kaspische Erdsenke) war früher ein
Meer, aus dem nur einige Höheninseln emporragten, und das
sowohl mit dem
Arktischen als mit dem
Schwarzen
Meer in
Verbindung stand. Als Reste jenes
Meers, das bei einer die
Zuflußmenge noch übersteigenden
Verdunstungsmenge (nach
Aragos
Ansicht) stetig abnehmen mußte, sind das Kaspische Meer
und
der
Aralsee (s. d.) zurückgeblieben, zwei Wasserbecken mit stark salziger
Flut und ohne sichtbaren Abfluß, denen jedoch die
Fische
[* 4] und
Robben
[* 5] der offenen
See fehlen.
Die russischen Untersuchungen über den alten
Lauf des
Amu Darja haben zu dem
Schluß geführt, daß die
Isolierung des
Aralsees vom
Kaspischen
Meer früher stattgefunden habe als die Trennung des
Kaspischen vom
Schwarzen
Meer. Durch
die
Manytsch-Wasserrinne hing das Kaspische Meer
in geschichtlicher Zeit mit dem
Asowschen
Meer zusammen; noch jetzt fließt
zeitweilig etwas
Wasser aus dem
Manytsch in den Kumafluß ab, und noch im 17. Jahrh. muß der Wasserweg
zwischen den beiden
Meeren selbst für größere Fahrzeuge offen gewesen sein. 1859 hat
Bergsträsser einen
Kanal
[* 6] zur Benutzung
dieses von der
Natur vorgezeichneten Wasserwegs empfohlen; seit es wahrscheinlich ist, daß sich im
Schwarzen
Meer stets ein
Überschuß an
Wasser befindet, und daß sein
Spiegel
[* 7] über dem des
Ozeans steht, trägt man sich mit dem
kühnen
Gedanken, einst »diesen Überschuß an
Wasser (durch
Ableitung des
Don in einen künftigen
Manytsch-Kumakanal) dem
Kaspischen
Meer zu gute kommen zu lassen, wodurch alle zentralasiatischen
Steppen neu belebt würden; denn infolge der Vergrößerung
der Oberfläche des
Kaspischen
Meers würde sich seine
Verdunstung steigern und mit dieser der jetzt dort
so seltene
Regen« 1859 gab die
Regierung den Befehl, die
Frage auf sich beruhen zu lassen; 1876 nahm
sie der Amerikaner
Spalding
wieder auf, die russischen
Blätter besprachen aber seinen
Plan sehr abfällig.
Das Kaspische Meer
liegt 25,5 m unter dem
Asowschen
Meer, während der
Aralsee 74 m über dem
Kaspischen
Meer liegt.
Letzteres wird von dem größten
Strom
Europas, der
Wolga, außerdem vom
Ural,
Kuma,
Terek, Sulak,
Kur, Sefid
Rud,
Atrek
etc. gespeist, ohne daß sein Wasservolumen vermehrt würde. Man schreibt dies der mehrfach
erwähnten sehr starken
Verdunstung und der
Aufsaugung durch den sandigen
Boden zu, denen der Zufluß kaum
das
Gleichgewicht
[* 8] zu halten vermag.
Der Wasserstand des
Sees steigt zwar im Juni und Juli, wenn die
Flüsse
[* 9] ihr
Hochwasser bringen, sinkt jedoch im
Winter wieder
zurück, und ein allmählich fortschreitendes Sinken ist deutlich nachgewiesen. Die
Ufer des
Kaspischen
Meers sind meist sandig und niedrig, besonders im N. und
NO., wo jedoch der
Ust-Urt (das
Plateau zwischen dem
Kaspischen
Meer und
dem
Aralsee, das sich hinter der
Bai Kadam bis zu 232 m über das Kaspische Meer
erhebt) hohe Felswände bildet; bergig ist
der
Süden, wo die persischen
Landschaften
Gilan und
Masenderan
hoch und steil nach dem
See abfallen.
Die am meisten vorspringenden Küstenpunkte sind auf der Westseite das Kap Schachow (die Spitze der Halbinsel Apscheron) und südlicher bei der Kurmündung das Kap Kurinsk; ferner auf der Ostseite das Kap Tarta und Kap Tjup Karagan an der Halbinsel Mangischlak. An Baien sind zu nennen: an der Westküste die von Agrachansk, Baku, Kisilagatsch und Enseli;
an der Ostseite die Busen von Astrabad, Krasnowodsk, Balchan, Karabugas, Kenderli, Alexander, Kotschak, Mertwy-Kultuk und Kaidak. Es lassen sich zwei Abteilungen des Sees deutlich unterscheiden, die durch einen Bogen [* 10] von Petrowsk bis zum Vorgebirge Tjup Karagan gesondert werden.
Das nördliche Becken hat eine Ausdehnung [* 11] von W. nach O. und ist seicht, da seine Tiefe nirgends 21½ m übersteigt; dieser Teil des Sees friert im Winter zu, und erst Mitte April kann man ¶
mehr
zu Schiff [* 13] nach Astrachan gelangen. Das Wasser ist brackig, an der Nordküste mit sehr geringem Salzgehalt. Das südliche, mehr hochuferige Becken hat eine Ausdehnung von N. nach S. und schon an den Ufern große Tiefe, die größte Tiefe (896 m) ist etwas südlich von Derbent;
es ist stark salzhaltig, und der Salzgehalt soll noch im Zunehmen begriffen sein;
1000 Teile Wasser enthalten 15 Teile Salz [* 14] (der Atlantische Ozean dagegen 42 Teile);
den stärksten Salzgehalt sollen die Baien der Ostseite haben, besonders die Karabugasbai, die nur durch einen schmalen Eingang mit dem großen Meer in Verbindung steht und als eine natürliche Salzpfanne von gigantischen Dimensionen erscheint, wo durch die Steppenhitze die Sole verdampft.
Kleinere Inseln finden sich im S. des Meers, die bekannteste ist Adschur (s. d.). Im Klima [* 15] besteht ein merklicher Unterschied zwischen der Ost- und Westküste. In Krasnowodsk sind die Wintermonate kälter als in Baku, dagegen sind Frühjahr und Sommer dort wärmer; ein sehr mildes Klima hat die Südküste. Außerordentlich groß ist der Reichtum dieses Binnenwassers an vorzüglichen, den weitesten Transport lohnenden Fischen (Welsen, Stören etc.). Die Fischerei [* 16] beschäftigt allein bei Astrachan 50,000 Menschen und liefert im ganzen Meer und den unmittelbaren Zuflüssen (außer der mittlern und obern Wolga) einen durchschnittlichen Jahresertrag von 20 Mill. Mk.
Handel und Schiffahrt sind auf dem Kaspischen Meer ungemein rege, sowohl mit Segel- als mit Dampfschiffen; das Meer dient als Verkehrsweg für den direkten, jährlich zunehmenden Handel zwischen Rußland, Persien, den kaukasischen Provinzen und dem transkaspischen, von Turkmenen bewohnten Gebiet. Die persischen und turkmenischen Schiffe [* 17] haben flachen Boden und keinen Kiel, [* 18] ein plumpes, viereckiges Segel, eine Besatzung von 3-4 Mann und einen Gehalt von nur 16-50 Ton. (à 1000 kg). Diese Schiffe befinden sich im kläglichsten Zustand und brauchen von Astrachan bis Astrabad 2-3 Monate; Unglücksfälle sind häufig, die Führer aber waghalsige Männer.
Die bessern Schiffe der Perser, mit denen sie regelmäßige Fahrten nach allen Häfen des Kaspischen Meers unterhalten, sind meist zweimastige, regelrecht gebaute Schoner. Die Segelschiffe, deren sich die russischen Kaufleute bedienen, sind Schoner, meist auch Zweimaster, bis zur Größe von 500 Ton. Ladung. Regelmäßige Postschiffahrt unterhalten die Gesellschaften Kaukas u. Merkur [* 19] und Lebed (Schwan). Das Grundkapital beider Aktiengesellschaften beträgt 40 Mill. Mk.; sie führen Waren und Passagiere nach allen Häfen, dem Warentransport dienen ihre großen drei- und viermastigen Segelschiffe.
Die wichtigsten Häfen sind: Astrachan und Baku im W., Enzeli und Astrabad im S., Krasnowodsk und Alexandrowsk (das für den Handel mit Chiwa Bedeutung erlangen wird) im O., Gurjew im N. Die Zahl aller in russischen Häfen, unter welchen außer Astrachan und Baku noch Lenkoran und Petrowsk bemerkenswert sind, einlaufenden Schiffe betrug 1883: in Küstenschiffahrt und auswärtiger Fahrt zusammen 8024 mit 1,090,131 Lasten;
die Zahl der auslaufenden war 7741 mit 1,069,905 Lasten.
Von den 962 Schiffen mit 98,415 Lasten, welche von auswärts kamen, stammten 473 mit 66,137 Lasten aus russischen Häfen und 489 mit 32,278 aus Persien. Die Küstenschiffahrt umfaßte im Eingang 7062 Schiffe mit 991,716 Lasten, von welchen 2660 mit 280,286 Lasten Segel- und 2012 mit 377,053 Lasten Dampfschiffe waren. Vom transkaspischen Gebiet wird Salz, rohes Petroleum, Baumwolle [* 20] und Wolle ausgeführt, von Persien Baumwolle, getrocknete Früchte, Reis und Teppiche, vom Hafen von Baku rohes und raffiniertes Petroleum, Kupfer [* 21] und Fische, von Astrachan nach allen Häfen Eisen, [* 22] Manufakturwaren, Zucker, [* 23] Fische etc. Leuchttürme sind in genügender Menge errichtet.
Durch die Eröffnung der Eisenbahn Baku-Tiflis ist eine Verbindung mit dem Schwarzen Meer (Linie Tiflis-Batum, resp. Poti) hergestellt. Die Flotte bestand 1882 aus 16 ungepanzerten Dampfern mit 669 Pferdekräften, 2605 Ton. und 26 Kanonen sowie 7 Segelschiffen mit 1075 T. und 22 Kanonen. Der russisch-persische Vertrag von Turkmantschai vom 10. (22.) Febr. 1828 gewährt nur den Russen das Recht, Kriegsschiffe auf dem Kaspischen Meer zu halten, und schließt alle andern Nationen hiervon wie von der Unterhaltung von Dampfern aus.
Die russische Flottenstation lag bis 1843 auf der Insel Sara, nahe bei Lenkoran an der Westküste; damals wurde sie zu großem Schrecken der Perser nach Adschur am Eingang zum Golf von Astrabad verlegt, im April 1875 aber nach Krasnowodsk am Ostufer, dem Hauptort des neuen transkaspischen Gebiets, übergeführt (s. die Karten »Rußland« und »Persien«).
Vgl. v. Baer, Kaspische Studien (Petersb. 1857);
Marvin, Region of the eternal fire. A narrative of a journey to the Caspian (Lond. 1884);
Radde, Fauna und Flora des südwestlichen Kaspigebiets (Leipz. 1886);
»Petermanns Mitteilungen« 1859-1862; »Russische [* 24] Revue«, Bd. 5. und 6.