Kasan
russ.
Gouvernement, welches nördlich an das
Gouvernement
Wjatka, östlich
an
Ufa, südlich an
Simbirsk und
Samara, westlich an
Nishnij Nowgorod grenzt, mit einem Flächenraum von 63,714,8 qkm (1157 QM.).
Das Land, dem untern Wolgagebiet angehörig, wird von der
Wolga und deren Zuflüssen:
Wetluga, Swiaja,
Kama, Kasanka
,
Wjatka
(auf der Ostgrenze) etc., bewässert und ist von welliger
Beschaffenheit. Die
Wolga friert meistens Mitte
November zu und geht Mitte April auf; die
Schiffahrt dauert also etwa 200
Tage. In wasserreichen
Jahren steigt der
Fluß im
Frühling
oft um 21
m und überschwemmt auf weite
Strecken die
Ufer.
Rechts von der
Wolga erhebt sich das Land zu 16-33
m, links ist es von unübersehbaren
Wiesen und
Morästen erfüllt; in der
Nähe der Stadt Kasan
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steigt es zu einem wirklichen Hügelland an, dessen Höhen fast 200 m erreichen. Fast das ganze Gebiet gehört der permischen Formation an, nur im äußersten Süden tritt die Juraformation [* 4] zu Tage. Tertiäre Ablagerungen gibt es am linken Ufer der Wolga, besonders im NW. des Gouvernements. Von Mineralien [* 5] finden sich Lehm, Sandstein, Gips, [* 6] etwas Kupfer, [* 7] Alabaster, Kalk, sogen. brennender Schiefer. (½ kg davon gibt 80 Lit. Leuchtgas) [* 8] und einige Mineralquellen, besonders Schwefelquellen, an der Tscheremuschka und der Bystraja.
Der Boden ist lehmig oder sandig, bis auf den südlichen Teil aber vorherrschend aus Schwarzerde bestehend. Das Areal besteht aus 49 Proz. Ackerland, 11 Proz. Wiesen, 35 Proz. Wald und 5 Proz. Unland. Das Klima [* 9] ist meist streng, aber sehr veränderlich. Der Unterschied zwischen der mittlern Temperatur im Sommer und im Winter bewegt sich zwischen -29,4° und +36,5° C.; dabei kommen an einem Tag oft Unterschiede von 22° vor. Die Bevölkerung [* 10] beträgt (1883) 1,992,985 Seelen (28 pro QKilometer), in den Städten 206,239, auf dem Land 1,786,746, welche der Hauptmasse nach zur griechisch-orthodoxen Kirche gehören.
Der Rest setzt sich aus Mohammedanern, Sektierern, Römisch-Katholischen, Protestanten, Armeno-Gregorianern, Juden und Heiden zusammen. Die Zahl der Eheschließungen betrug 1883: 18,146, der Gebornen 92,010, der Gestorbenen 70,860. Der Acker- und Gartenbau ist die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung. Die Ernte [* 11] war pro Hektar der betreffenden Ackerfläche bei Roggen (1884) 11,9, bei Sommerweizen 5,5, bei Hafer [* 12] 11,7, bei Kartoffeln 53,2 hl. Der Viehstand belief sich 1883 auf 435,962 Pferde, [* 13] 374,236 Stück Hornvieh, 1,015,870 einfache, 7064 feinwollige Schafe, [* 14] 154,122 Schweine, [* 15] 44,437 Ziegen.
Der Fischfang ist ergiebig. An Fabriken und industriellen Anstalten bestanden 1882: 293 mit 7527 Arbeitern und 13,8 Mill. Rubel Produktionswert. Namentlich Getreidemüllerei (3,8 Mill. Rub.), Branntweinbrennerei (1,6 Mill. Rub.), Destillation [* 16] (1,1 Mill. Rub.), Talg-, Stearin-, Seife- (2,7 Mill. Rub.) und Lederfabrikation (1½ Mill. Rub.) wird getrieben; auch gibt es mechanische Werkstätten, Gießereien, Meiereien, Seilereien, Wachs- und Mattenfabriken u. a. Auf 72 abgehaltenen Jahrmärkten betrug der Umsatz 567,000 Rub., bei einer Zufuhr im Wert von 1,497,000 Rub. Die Zahl sämtlicher Lehranstalten ist (1883) 684, die der Lernenden 34,489; nämlich eine Universität mit 939 Studierenden, 670 mittlere und elementare Schulen mit 32,140 Schülern und 13 Fachschulen mit 1410 Lernenden.
Eingeteilt ist das Gouvernement in zwölf Kreise:
[* 17] Kasan
, Zarewokokschaisk, Kosmodemjansk, Tscheboksary, Jadrin, Zywilsk, Tetjuschi,
Swijashsk, Spask, Laischew, Mamadysch und Tschisstopol. Das Reich Kasan
wurde bis zum 13. Jahrh. von den Bulgaren bewohnt, dann kam
es unter die Herrschaft der Tataren. Als Grenznachbarn gerieten die Bulgaren mit den Russen in viele Streitigkeiten,
wovon die Kriegszüge Wladimirs d. Gr. (988) gegen die Bulgaren, des Georgi Wladimirowitsch (1123) und spätere (1166, 1171 und
1183) zeugen.
Interessant ist die Angabe der Historiker des 11-13. Jahrh., wonach der Schnee
[* 18] selbst im Sommer nicht überall auftaute und man
im Winter des hohen Schnees wegen nur mit Hunden fahren konnte. Von den mehr als 30 Städten aus jener Zeit
ist jetzt nichts mehr vorhanden, außer einigen Ruinen der Stadt Bolgar (s. Bolgary) u. a. Dafür sind in neuester Zeit viele
alte Münzen
[* 19] gefunden worden, namentlich aus den Jahren 789-913 und aus dem 12.-14. Jahrh. Um 1437 gründete
Ulu
Machmet aus dem alten Bulgarien
[* 20] das Zarenreich Kasan
, welches jedoch bald (1467) in Kriege mit Rußland geriet, die damit
endigten, daß ganz Kasan
1550 von Iwan Wasiljewitsch Rußland einverleibt wurde. Erst 1836 entdeckte man im Saratowschen Gouvernement,
nahe bei der Stadt Zarew, die Trümmer von Sarai, der alten Residenz jenes Reichs, welches sich ehemals noch
weit über Astrachan hin erstreckte und vom 13.-15. Jahrh. halb Europa
[* 21] in Schrecken setzte.
Die Stadt Kasan
(tscheremiss. Oson), Hauptstadt des ehemaligen Tatarenreichs und des jetzigen Gouvernements Kasan
, liegt 58 m ü. M.
und 4½ km vom linken Wolgaufer, von der Kasanka
und vier andern Flüßchen durchflossen, und ist auf
sieben Hügeln erbaut. Sie besteht aus dem Kreml, der eigentlichen Stadt und den Vorstädten oder Sloboden. Der Kreml liegt am
nördlichen Ende der Stadt auf einer Anhöhe und bildet ein längliches, von einer mit fünf Türmen geschmückten Mauer umgebenes
Viereck,
[* 22] das auf drei Seiten von schroffen Abhängen, auf der vierten von einem tiefen Graben umgeben ist.
Von den Mauertürmen sind zwei mit Thoren versehen, deren eins mittels einer steinernen Brücke
[* 23] die Stadt mit dem Kreml verbindet.
Innerhalb des Kremls befinden sich mehrere Kirchen, darunter die Kathedrale der Verkündigung Mariä (1552 gegründet) mit zahlreichen
Türmen und Kuppeln und dem wunderthätigen Bilde der »Mutter Gottes von Kasan«
, dabei ein prächtiges Kloster (1555 gegründet) und
ein Waisenhaus für Popentöchter; ferner ein Artilleriearsenal, das Haus des Generalgouverneurs etc. Die eigentliche Stadt
zerfällt in drei Viertel, hat kleine, einstöckige, von Gärten umgebene Häuser, 41 griechisch-kath. Kirchen und 5 Klöster, 2 Kirchen der
Altgläubigen, eine lutherische und eine römisch-kath. Kirche sowie 12 mohammedanische Moscheen; sie wird vorzugsweise von
Russen bewohnt, während in den Vorstädten meist Tataren zu Hause sind.
Die Zahl der Bewohner beträgt (1883) 140,726. Die Industrie Kasans
erstreckt sich auf Fabrikation von Juften, Seife, Matten
und Stricken, Stearin- und Talglichten, Leder (besonders Saffian), Branntwein, Bier, Wachslichten, Tuch, Kattun,
Heiligenbildern und geistlichen Gewändern, Goldwirkerei auf Leder, Flachsspinnerei, Mühlenbetrieb, Glockengießerei. In der
Nähe befindet sich auch eine große Werfte, auf welcher Peter d. Gr. seine kaspische Flotte bauen ließ.
Der Handel ist besonders nach Vorderasien bedeutend, und der Bazar von Kasan
bildet ein überaus buntes Bild.
Kasan
hat 5 Buchhandlungen, eine Pulvermühle und eine Bank (eine der größern in Rußland). An Bildungsanstalten besitzt Kasan
eine
Universität (1804 von Alexander I. gestiftet) mit einer historisch-philologischen, physiko-mathematischen, juristischen und
medizinischen Fakultät (1883 Zahl der Zuhörer: 939), einer Bibliothek von 78,000 Bänden, einer Sternwarte,
[* 24] einem botanischen Garten
[* 25] und verschiedenen Sammlungen;
5 Gymnasien (eins davon mit adliger Pension, 2 für Mädchen);
2 geistliche Akademien, 3 Lehrerseminare, eins zur Ausbildung von Lehrerinnen, eine Infanterie-Junkerschule, eine Realschule, ein Institut adliger Fräulein;
außerdem ein Irrenhaus, ferner ein Theater
[* 26] und mehrere Hospitäler. Kasan
ist Sitz eines griechisch-katholischen Erzbistums
(Kasan
und Swiaschk) und eines Militärbezirks.
Die malerischen Umgebungen der Stadt werden als die Kasansche
Schweiz
[* 27] bezeichnet.
- Kasan
bestand wahrscheinlich schon vor dem 13. Jahrh., lag aber ursprünglich 45 km
nordöstlich von der jetzigen Stadt, wo noch jetzt ein ovaler
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Erdwall mit Graben zu sehen ist. Nach Zerstörung dieser alten Stadt durch den Großfürsten Wasilij Dimitriewitsch (1399)
wurde Kasan
40 Jahre darauf durch den Chan der Goldenen Horde, Ulu Machmet, an seiner jetzigen Stelle neugegründet und Hauptstadt
des Kasanschen Reichs (s. oben). Schon im 15. Jahrh. machten die Großfürsten von Moskau
[* 29] Anstrengungen, die
Stadt zu erobern. Der Kampf währte mehrere Jahrzehnte. Endlich fiel Kasan 1552 endgültig in die Hände der Russen. Wiederholt
litt Kasan von starken Feuersbrünsten, unter anderm auch in der Zeit des Aufstandes Pugatschews. Ein neuer Brand legte 1815 die
Festung,
[* 30] 17 Kirchen, 3 Klöster und 1000 Häuser in Asche; 1842 brannten abermals 1300 Gebäude ab. Im ganzen
ist die Stadt schon zwölfmal abgebrannt.
Die Kasanschen Tataren haben sich im Lauf der Jahrhunderte zu einer ganz besondern Rasse ausgebildet und durch Mischung sowie Zusammenleben mit finnischen Stämmen und Russen viel von ihrem eigentlichen mongolischen Typus verloren. Sie sind ein aufgewecktes Volk, nüchtern, arbeitsam, gastfrei, dabei aber ehrgeizig und die Reichen sehr stolz. Fast jeder kann lesen und schreiben; allgemein unter ihnen verbreitet ist die Kenntnis orientalischer Sprachen, namentlich des Arabischen, des Bocharischen und des Persischen.
Ihre Lieblingsbeschäftigung ist der Handel. Der Haupthandel Kasans befindet sich ganz in ihren Händen. Eine Menge dieser Tataren bereist beständig nicht allein das ganze russische Reich, sondern auch Chiwa, Bochara und Persien, [* 31] um ihre Waren im Kleinhandel an den Mann zu bringen. Bettler kommen gar nicht unter ihnen vor. Der Religion nach gehören sie zum Islam; in Vielweiberei leben aber nur die Reichen, und auch diese haben nie mehr als zwei oder drei Frauen.